Wladimir Putin besucht Österreich, und das halbe Land ist in Aufruhr. Schon im Vorfeld hagelte es - auch internationale - Kritik. Wie ist Österreichs Verhältnis zu Russland einzuschätzen?

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Russlands Präsident trägt Hitlerbärtchen und Seitenscheitel - zumindest auf Plakaten, die derzeit an zahlreichen Wiener Wänden kleben. Heute Dienstag kommt Wladimir Putin auf einen Arbeitsbesuch nach Österreich. Auf dem Programm stehen Treffen mit Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Werner Faymann. Im Schlepptau hat Putin Vertreter des russischen Staatskonzerns Gazprom, die einen Vertrag über den Bau der Gaspipeline "South Stream" unterzeichnen wollen.

Nur sechseinhalb Stunden wird Putin in Wien verbringen. Ein Kurzbesuch, der nicht nur angesichts der Ukraine-Krise seit Wochen auf Kritik stößt. Laut Kreml soll auch eine Vereinbarung unterzeichnet werden, um "South Stream Austria" zu gründen - ein Planungs-Joint-Venture von Gazprom und der OMV, das auch in Brüssel heftig umstritten ist. Mehrere Organisationen haben Proteste angekündigt, Teile der Wiener Innenstadt werden abgesperrt.

Geplant ist zunächst ein Treffen mit Heinz Fischer in der Hofburg – Außenminister Sebastian Kurz und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner werden dem Gespräch beiwohnen – gefolgt von einer Visite im Bundeskanzleramt. Danach folgt ein Vortrag in der Wirtschaftskammer Österreich, und Putin trifft den Schweizer Bundespräsidenten Didier Burkhalter, in seiner Funktion als OSZE-Vorsitzender zurzeit in Wien.

Österreich gehört zu den "Russlandverstehern"

Österreich zählt in der EU zu den latenten "Russlandverstehern" – seit der Krise in der Ukraine und den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Russland ist das nicht unbedingt eine willkommene Auszeichnung. Bundespräsident Fischer betont, es sei wichtig, "Kanäle offen zu halten und miteinander zu reden" und den russischen Standpunkt "im Original kennenzulernen". Vom Treffen mit Putin erhofft er sich eine "friedliche Lösung der Probleme", wie er im "Ö1-Morgenjournal" betonte.

Die Präsidentschaftskanzlei unterstreicht jedoch gleichzeitig, dass der Besuch mit der EU abgestimmt ist, und das Österreich die Annexion der Krim nach wie vor als völkerrechtswidrig betrachtet. Der Hauptgrund für Österreichs Spagat auf dem diplomatischen Parkett liegt vor allem in den engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Russland und Österreich.

Die Zusammenarbeit ist eng

Russland zählt zu Österreichs zehn wichtigsten Handelspartnern. 2013 verzeichneten österreichische Exporte nach Russland ein Plus von 9,2 Prozent - das Gesamtvolumen betrug 3,48 Milliarden Euro. Importe beliefen sich auf 3,18 Milliarden Euro. Österreichische Unternehmen haben in den letzten Jahren mehr als acht Milliarden Euro in Russland investiert. Raiffeisen ist die neuntgrößte von rund 1.200 Banken im Land. Laut dem Wirtschaftsministerium wurden im Vorfeld der olympischen Winterspiele in Sotschi an rund 50 österreichische Unternehmen Aufträge im Wert von mehr als 1,4 Milliarden Euro vergeben.

Darüber hinaus sind russische Gäste eine wichtige Einnahmequelle für den heimischen Tourismus. Das Außenministerium zählte 2013 rund 515.000 Gäste aus der Russischen Föderation (im Mai 2014 Wien wurde laut Pressemitteilung wegen der Ukraine-Krise bereits ein Rückgang von 25 Prozent unter russischen Gästen registriert).

Im Energiesektor stark verbandelt

Die engste Verflechtung hat Österreich mit Russland jedoch im Energiesektor: Die Alpenrepublik importiert 60 Prozent ihres jährlichen Gasbedarfs aus Russland; der Vertrag der OMV mit dem russischen Staatskonzern Gazprom läuft bis 2027. 85 Prozent der Gesamtimporte aus Russland machen Energieträger (Öl und Erdgas) aus.

Dies ist mit einer der Gründe, warum die Bundesregierung dem Bau der "South Stream"-Gaspipeline prinzipiell offen gegenübersteht. Die voestalpine wird als einer der Lieferanten für deren Bau gehandelt. Die Pipeline soll ab 2017 jährlich bis zu 32 Milliarden Kubikmeter Gas im Gasknotenpunkt Baumgarten an der March in Niederösterreich anliefern.

Mit der andauernden Krise in der Ukraine ist die Unterzeichnung des Vertrags für den Bau des 50 Kilometer langen Teilstücks in Österreich diplomatisch brisant - "South Stream" würde die strategische Bedeutung der Ukraine erheblich reduzieren. Neben Österreich haben Bulgarien, Ungarn, Griechenland, Slowenien, Kroatien und Serbien mit Russland Übereinkünfte zur Errichtung der Pipeline getroffen.

Nach Ansicht der EU-Kommission verstoßen diese gegen EU-Wettbewerbsrecht. Die Kommission hat daher gefordert, die Abkommen vorerst aufs Eis zu legen. Sollte die OMV dennoch unterzeichnen, würde Österreich mit der EU-Linie brechen - angesichts der Lage in der Ukraine eine denkbar schlechte Idee.

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