Im EU-Parlament tobt ein Machtkampf zwischen Rechts und Links. Das Ergebnis: Fünfeinhalb Monate nach der Europawahl gibt es noch immer keine neue EU-Kommission. Die EU ist so nur eingeschränkt handlungsfähig. Wie lange noch?

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Im Schatten von Donald Trumps Comeback als US-Präsident und dem Scheitern der deutschen Ampel-Regierung spielt sich in Brüssel derzeit ein wenig beachtetes aber nicht minder relevantes Drama ab: Im EU-Parlament stecken Rechts und Links in einem Machtkampf fest, der verhindert, dass sich die neue EU-Kommission zusammenfindet. Eigentlich sollte diese am 1. November die Arbeit aufnehmen. Derzeit ist nicht einmal gesichert, dass sie es 2025 vor der neuen US-Regierung ins Amt schafft. Dabei liegt die Europawahl bald ein halbes Jahr zurück.

Das Prozedere stockt bei der Auswahl der EU-Kommissare. Die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP) hat auf Grundlage der Vorschläge aus den Mitgliedsstaaten für jedes Ressort eine Person als Kommissar oder Kommissarin nominiert. Diese müssen sich nun in Anhörungen den Fragen der Parlamentarier stellen und sich deren Unterstützung sichern. 19 der 26 Anwärter hat das Parlament bereits bestätigt. Am Ende braucht jedoch von der Leyens gesamtes Team eine Mehrheit im Parlament. Danach sieht es aktuell nicht aus: Das Mitte-Links-Lager wehrt sich gegen Raffaele Fitto, die konservative EVP-Fraktion gegen Teresa Ribera.

Streit um italienischen Rechtsaußen und spanische Sozialdemokratin

Fitto ist ein ehemaliger Minister aus der Partei der ultrarechten Fratelli d'Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni und soll den Bereich Kohäsion und Reformen verantworten. Von der Leyen will mit Fitto erstmals einen Rechtsaußen-Politiker zu einem der geschäftsführenden Vizepräsidenten machen. "Ein Beispiel dafür, wie die Rechte in ganz Europa die extreme Rechte reinwäscht", sagt die Grünen-Abgeordnete Ana Miranda Paz, die dabei, wie ihre Parteikollegen und die Sozialdemokraten, nicht mitmachen will.

Gegen Teresa Ribera haben die Konservativen Vorbehalte. © IMAGO/Belga

Die Sozialdemokratin Ribera, derzeit Umweltministerin in Spanien, soll Kommissarin für Wettbewerb und Energiewende und wie Fitto eine von sechs Vizes von der Leyens werden. Doch spanische Abgeordnete der EVP und der rechtsextremen Partei Vox werfen ihr vor, die Bevölkerung nicht rechtzeitig vor den Überschwemmungen in der Region Valencia gewarnt zu haben, bei denen Ende Oktober mindestens 222 Menschen ums Leben gekommen waren. "Sie sollten nicht in der Europäischen Kommission sitzen, sondern vor Gericht", sagte der rechtsextreme Abgeordnete Jorge Buxadé Villalba.

Raffaele Fitto bei seiner Anhörung im Parlament. © picture alliance/AP/Virginia Mayo

Die Entscheidung wurde vergangene Woche vertagt. Getan hat sich seitdem: nicht. Von der Leyen hat bereits mehrfach versucht, zu vermitteln, jedoch vergeblich. Die Zeit drängt: Die Sitzungswoche in Straßburg in der kommenden Woche ist die letzte Gelegenheit, die Kommission zum 1. Dezember ins Amt zu heben. Schaffen die Verantwortlichen es nicht, die Blockade bis dahin aufzulösen, verzögert sich der Prozess mindestens bis ins neue Jahr. Die EU wäre dann weiterhin nur eingeschränkt verhandlungsfähig.

Sozialdemokratin: EVP-Chef Weber "hinterlässt ein Trümmerfeld"

Im schlimmsten Fall, droht die Kommission ganz zu platzen. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union. Auszuschließen ist es nicht, denn unterm Strich geht es bei dem Streit um die Kommissionsposten auch um die Frage, wer im Parlament künftig mit wem paktiert.

Die neuen Mehrheitsverhältnisse bergen jede Menge Konfliktstoff: Die EVP kann – mit den Stimmen der drei rechts von ihr stehenden Fraktionen – erstmals am progressiven Lager aus Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Liberalen vorbei regieren. Zwar hat die EVP versprochen, mit den beiden Rechtsaußenfraktionen ESN und Patrioten für Europa nicht zusammenzuarbeiten. Anders hält sie es jedoch mit der gemäßigteren EKR. Die wiederum spricht sich mit ESN und Patrioten ab, sodass zuletzt mehrfach Mehrheiten aus EVP und extremer Rechter zustande gekommen sind.

Entsprechend sauer ist man links der Mitte. Die sozialdemokratische Fraktion S&D wirft EVP-Chef Manfred Weber "unverantwortliches Verhalten" vor. "Weber zermürbt gerade die politische Mitte und hinterlässt ein Trümmerfeld", zitiert der "Spiegel" eine führende Sozialdemokratin. Diese sagt auch, ihr falle es schwer, sich vorzustellen, "wie es die nächsten fünf Jahre hier weitergehen soll nach diesen vielfach auch persönlichen Verletzungen".

Unabhängig davon, wie der Streit um die Besetzung der Kommission ausgeht: Im Drama von Brüssel dürfte er kaum der letzte Akt gewesen sein.

Verwendete Quellen:

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