Immer mehr Politiker und Verbände warnen vor einer zunehmenden Radikalisierung der Gegner der Corona-Maßnahmen. Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei erklärt, die Bewegung habe bei der Demonstration am Wochenende in Berlin "endgültig ihre Unschuld verloren".
Nach den Ausschreitungen am Wochenende in Berlin mehren sich die Warnungen vor einer weiteren Radikalisierung der Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen. Rechtsextremisten seien dabei, die Bewegung "komplett zu kapern", sagte der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, in einem Interview vom Dienstag. Der Zentralrat der Juden warnte vor wachsendem Antisemitismus im Zuge der Protestbewegung.
Radek sagte, der Einfluss rechtsextremer Gruppen auf die Corona-Proteste verfestige sich. Er warnte in den Zeitung der Funke Mediengruppe vor einer ähnlichen Radikalisierung wie bei der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. Seit dem Wochenende habe die Corona-Protestbewegung "endgültig ihre Unschuld verloren", sagte der GdP-Vizevorsitzende auch. Wer weiterhin an diesen Demonstrationen teilnehme, müsse sich fragen, ob er sich mit den Rechtsextremen gemein machen wolle.
Zentralrat der Juden erkennt antisemitische Grundtendenz
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, appellierte an die Bürger, dass sie "wissen müssen, mit wem sie mitlaufen oder wer mit ihnen mitläuft".
Den Menschen müsse klar sein, "dass sie die Argumente von Antisemiten indirekt unterstützen, wenn sie sich an solchen Demonstrationen beteiligen", warnte Schuster in der "Bild"-Zeitung.
Der Zentralratspräsident sagte auch, bereits seit Monaten würden in der Corona-Debatte "Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt". Zwar seien nicht alle, die in Berlin demonstriert hätten, Rassisten oder Antisemiten: "Aber sie machen sich mit diesen gemein."
Bei den Protesten in der Hauptstadt gegen die Corona-Politik der Bundesregierung war die Lage am Samstagabend am Reichstag, dem Sitz des Bundestags, eskaliert: Hunderte Rechtsextreme stürmten auf die Treppe des Gebäudes, einige von ihnen schwenken die Reichsfahne. Die Eskalation löste allgemeines Entsetzen aus, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte die Vorgänge "verabscheuungswürdig".
Spahn will Bewegung nicht überschätzen
Bundesgesundheitsminister
Er sehe in Umfragen und auf Veranstaltungen, dass es "insgesamt eine große Unterstützung für unsere Politik" gebe.
Seit der jüngsten Eskalation wird auch über mögliche Verschärfungen von Gesetzen und Sicherheitsmaßnahmen debattiert. Politiker verschiedener Parteien im Bundestag sprachen sich jedoch nachdrücklich gegen Änderungen des Versammlungsrechts aus.
Keine Gesetzesänderung in Sicht
Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), sagte der Zeitung "Die Welt", bei vorhersehbaren Verstößen gegen die Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Krise lasse sich bereits nach heutigem Rechtsstand ein Versammlungsverbot aussprechen.
Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster hatte zuvor solche Rechtsänderungen gefordert. Er sagte der "Welt", die Gesetze seien angesichts der Pandemie-Lage "nicht mehr präzise und zeitgemäß genug". Eine Demonstration müsse sich verbieten lassen, wenn diese offensichtlich nur dazu diene, "mit Ordnungsverstößen wie dem Nichteinhalten der Corona-Regeln zu provozieren".
Krings hielt dem entgegen, dass bereits jetzt ein Demonstrationsverbot wegen absehbarer Verstöße gegen die Corona-Regeln möglich sei, wenn dieses "stichhaltig" begründet werde: "Die Entscheidungen von zwei Berliner Gerichten alleine rechtfertigen noch keine Grundgesetzänderung."
Der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte Verbote der Corona-Kundgebungen am Samstag verhängt, diese Verbote waren jedoch gerichtlich aufgehoben worden.
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte der "Welt", der bestehende rechtliche Rahmen reiche vollkommen aus, "um die hohen Rechtsgüter der Gesundheit und der Versammlungsfreiheit in einen guten Ausgleich zu bringen – auch in Zeiten einer Pandemie".
Der innenpolitische Experte der FDP, Konstantin Kuhle, sagte demselben Blatt, das Durchbrechen der Absperrung vor dem Reichstag sei nicht auf eine "rechtliche Lücke" zurückzuführen, sondern ein "mangelhaftes Sicherheitskonzept". (afp/ska)
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