Der Deutsche Bundestag soll kleiner werden – doch dafür müssten die Parteien Macht abgeben. Nun planen die Oppositionsparteien eine große Reform. Mathematiker könnten dabei eine wichtige Rolle spielen.

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Im Oktober hat das italienische Parlament mit großer Mehrheit einer Verkleinerung zugestimmt – seiner eigenen. Die Zahl der Abgeordneten sinkt von 630 auf 400, die Wahlkreise werden neu zugeschnitten und eine Änderung des Wahlrechts ist geplant. Die Regierung spricht von einem "großen Sieg des Volkes".

Der Deutsche Bundestag hat diese Reform zwar seit Langem auf der Tagesordnung, jedoch ist sie hierzulande immer wieder gescheitert.

Dass sie kommen muss, darüber sind sich die Oppositionsparteien und Teile der Regierung einig. Doch wie eine Reform aussehen könnte, wer unweigerlich Macht abgeben müsste und wie sich Deutschlands Wahlkreise neu zuschneiden lassen, darüber wird gestritten.

Das Parlament wird immer teurer

Seit Jahren wollen die Parteien die Zahl der Abgeordnetensitze verkleinern, denn der Bundestag platzt aus allen Nähten - sprichwörtlich: Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter haben keinen Platz mehr im Bundestag, in Berlin wurden deshalb zusätzliche Büros in fünf verschiedenen Häusern angemietet, verstreut durch das Regierungsviertel.

Saßen vor der Bundestagswahl noch 630 Abgeordnete im Parlament, müssen seit dieser Legislaturperiode 709 Abgeordnete und ihre Ansprüche aus der Staatskasse finanziert werden. Die Kosten für das Hohe Haus steigen deshalb kontinuierlich.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik kalkuliert der Bundesrechnungshof mit Ausgaben von mehr als einer Milliarde Euro für das Jahr 2020. Das ist ein Anstieg von 32 Prozent gegenüber dem Jahr 2016.

Verantwortlich für die Kostenexplosion sind vor allem die sogenannten Ausgleichs- und Überhangsmandate, die es erst seit sieben Jahren gibt. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 das bisherige Wahlrecht als verfassungswidrig beurteilt: Das Wahlergebnis dürfe nicht verzerrt werden, wenn eine Partei durch Erststimmen mehr Mandate gewinnt als ihr durch die Zweitstimme zustehen, urteilten die Richter damals.

Um die Bundestagswahl 2013 legal durchführen zu können, einigten sich Union, SPD und FDP auf die Einführung von Ausgleichsmandaten. Seitdem bekommt eine Partei, die mehr Direktmandate gewinnt als ihr laut Zweitstimmenergebnis zustehen, ein Überhangmandat zugesprochen. Die anderen Parteien werden durch ein Ausgleichsmandat kompensiert.

Experten prognostizieren, dass die Zahl der Volksvertreter in den kommenden Jahren auf mehr als 800 Abgeordnete steigen könnte – während sich die Bevölkerungszahl nur minimal erhöht.

Eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nahm sich dem Problem im vergangenen Frühjahr an. Ein möglicher Kompromiss sah vor, die Wahlkreise von 299 auf 270 zu reduzieren und erst ab 15 Überhangmandaten Ausgleichsmandate zuzuteilen. Die Opposition fühlte sich überrumpelt, der Vorstoß scheiterte.

Von einem "Bonus" für die CDU und CSU, die bei den vergangenen Wahlen stets die meisten Direktmandate gewann, war die Rede. Der Koalitionspartner SPD sah gar das "One man, one Vote"-Prinzip, also, dass jede Stimme gleich viel wert sein müsse, verletzt. Die Parteien trennten sich ohne Ergebnis und fanden seitdem nicht mehr an den Verhandlungstisch zurück.

Die Opposition arbeitet an einem gemeinsamen Plan

Im Oktober kam neuer, fraktionsübergreifender Schwung in die Sache. FDP, Grüne und Linke legten einen Antrag vor, der vorsieht, die Anzahl der Wahlkreise von 299 auf 250 zu senken. Zudem soll die Normalzahl der Parlamentssitze von bisher 598 auf 630 steigen. Insgesamt würde so die Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten sinken, rechnen sich die Antragssteller aus.

Die AfD hat sich als einzige Oppositionspartei nicht angeschlossen. Sie liegt inhaltlich auf einer Linie mit dem Bund der Steuerzahler, der eine feste Größe des Bundestags vorschlägt. Dafür wollen die Rechten die Direktmandate quasi aberkennen, indem "diejenigen Bewerber, welche die relativ schlechtesten Ergebnisse erzielt haben, nicht zum Zuge kommen".

Sollten Grüne, FDP und Linke mit ihrem Antrag Erfolg haben, lautet die nächste Frage: Wie sollen die Wahlkreise reduziert werden? Die Union blockiert den Vorstoß mit dem Argument, dass größere Wahlkreise zu weniger Bürgernähe führten. Auch Sätze wie "Parteienstaat" oder "Kaderrepublik" fallen in der Debatte.

In einem Interview mit der "Zeit" warnte der CSU-Politiker Michael Frieser: "Wenn Sie den Bundestag durch eine Wahlkreisreduzierung verkleinern wollten, müssten Sie 100 Wahlkreise streichen. Das wäre eine andere Republik." Auch die USA werden immer wieder als Negativbeispiel angeführt: Beim sogenannten "Gerrymandering" maximiert die amtierende Mehrheitspartei ihre Wahlchancen, indem sie die Wahlbezirke zu ihren Gunsten verlegt.

Neue Wahlkreise sind eine mathematische Herausforderung

In Deutschland ist ein solches Szenario unwahrscheinlich. Das Bundeswahlgesetz sieht vor, dass eine unabhängige Wahlkreiskommission aktiv wird, wenn die Wahlkreise neu abgesteckt werden müssen. Das kommt gelegentlich vor, etwa, wenn die Unterschiede zwischen einzelnen Wahlkreisen aus demografischen Gründen zu groß werden.

Grundsätzlich gilt: Die Gesamtheit aller Wahlkreise in Deutschland muss ein zusammenhängendes Gebiet bilden, sie sollen jeweils ungefähr gleich viele Bürger beheimaten und dürfen Bundesländergrenzen nicht überschreiten. Jeder Wahlkreis sollte zudem nicht 15 Prozent kleiner oder größer als der Durchschnittswahlkreis sein.

Zudem bedürfen sie einer "gewissen Kontinuität der räumlichen Gestalt", um der persönlichen Beziehung zwischen direkt gewählten Abgeordneten und ihren Wählerinnen und Wählern gerecht zu werden. Hier wird es komplex: Denn sollte die Wahlkreiszahl reduziert werden, wäre das letzte Prinzip verletzt.

Mathematisch ist die Neuzuteilung der Wahlkreise eine Herausforderung – denn am Anfang stünde eine weiße Landkarte. Ein Algorithmus müsste die Geometrien der rund 11.000 Städte und Gemeinden, die Abweichungen vom Durchschnittswahlkreis und die Bevölkerungsdaten berücksichtigen. Zudem sollten im Optimalfall die Wahlkreise mit ihren entsprechenden Landkreisen übereinstimmen.

Um alle gesetzlichen Parameter einzuhalten, wäre viel Rechenleistung nötig

Sebastian Goderbauer, ein Mathematiker der RWTH Aachen, hat die Regeln des Wahlgesetzes in einen Algorithmus gegossen. Für den Bundeswahlleiter hat er im vergangenen Jahr mehrere Neuzuschnitte berechnet, die online auf der Website der Universität Aachen abgerufen werden können (https://www.or.rwth-aachen.de/wahlkreiskarte/).

Auf einer Landkarte hat der Wissenschaftler sechs mögliche Szenarien zwischen 125 und 299 Wahlkreisen visualisiert. Ein Beispiel: Gibt es im Saarland aktuell vier Bundestagswahlkreise, hätte das kleinste Bundesland bei 250 Wahlkreisen nur noch drei Direktmandate zu verteilen – das sind immerhin 25 Prozent weniger.

Sollte der Oppositionsantrag eine Mehrheit im Parlament bekommen, könnte Goderbauers Software zum Einsatz kommen. Denn der Gesetzentwurf der Opposition sieht eine Frist von drei Monaten für die Einteilung der Wahlkreise vor – ohne Software wäre das kaum zu bewerkstelligen.

Vor den Bundestagswahlen im Jahr 2002 wurde die Zahl der Wahlkreise schon einmal umfassend reduziert, von 328 auf 299. Rund ein Jahr hat es damals gedauert, bis ein neuer Zuschnitt gefunden worden war. Man arbeitete noch per Hand.

Verwendete Quellen:

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