Die FDP bangt um ihre parlamentarische Existenz: Die Liberalen stürzen am Wahlsonntag ab. Der Wiedereinzug in den Bundestag wird im Laufe des Abends immer unwahrscheinlicher. Parteichef Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki ziehen sich zurück.
Christian Lindner lässt sich Zeit. Um 19 Uhr ist der Parteichef noch immer nicht zu sehen. Die Ungeduld im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, der Parteizentrale in Berlin, wo sich die Unterstützer versammelt haben, nimmt merklich zu. Das Atrium ist voll, die Luft steht. Seit einer Stunde haben die Wahllokale bereits geschlossen. Und eines ist an diesem Wahlabend schon früh klar: Für die FDP wird es eng, verdammt eng.
Zu Beginn liegen die Liberalen – je nach Hochrechnung – noch bei 4,9 oder fünf Prozent. Es ist der befürchtete knappe Ausgang. Im Genscher-Haus überwiegt zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung: Wird schon gutgehen, irgendwie. Von
Gebannt blicken die FDP-Sympathisanten auf die aufgebauten TV-Bildschirme, wo jede Hochrechnung mit Jubel (5 Prozent) oder Totenstille (4,9 Prozent) begleitet wird. Dann endlich kommt Lindner. Knapp eineinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale zeigt sich die liberale Führung. Der Parteichef geht ans Mikro, hinter ihm die gesamte FDP-Prominenz. Von Fraktionschef
Lindner ruft den Wahlkämpfern zu: "An Euch hat es nicht gelegen"
Lindner lächelt, doch er sieht nicht glücklich aus. "Wir sind im letzten Herbst in das volle politische Risiko gegangen", sagt er und meint das Ampel-Aus. "Wir zahlen heute selbst einen hohen Preis dafür. Für Deutschland war diese Entscheidung aber richtig", sagt Lindner. Applaus brandet auf. Lindner spricht weiter. Es sei eine Niederlage für die FDP, aber keine für den politischen Liberalismus. Der werde weiterhin gebraucht. Den Wahlkämpfern im Genscher-Haus ruft Lindner zu: "An Euch hat es nicht gelegen".
Ein Satz, der bereits nach Resignation klingt. Und im Laufe des Abends zeigt sich: Ein liberaler Albtraum könnte wahr werden. In den Hochrechnungen rutscht die FDP immer weiter ab, 4,6 Prozent in der ARD, etwas bessere 4,7 Prozent im ZDF (Stand: 21.10 Uhr). Damit wäre die FDP draußen – und in der Partei könnte die Zeit nach Christian Lindner beginnen.
Deutschland hat gewählt: Friedrich Merz wird aller Voraussicht nach der nächste Bundeskanzler. Was erwarten Sie von seiner Kanzlerschaft und der kommenden Bundesregierung?
- Schreiben Sie uns! Mit Klick auf "Feedback" beziehungsweise "Feedback an die Redaktion" unter diesem Artikel können Sie uns Ihre Antwort zukommen lassen. Vergessen Sie dabei nicht anzukreuzen, dass wir Ihre Zuschrift veröffentlichen dürfen. Bitte geben Sie in Ihrer Nachricht an unsere Redaktion Ihren Vornamen, Ihr Alter und Ihren Wohnort an – wir veröffentlichen diese Angaben mit Ihrer Zuschrift und greifen nur Einreichungen auf, die diese Angaben enthalten.
In der "Berliner Runde" von ARD und ZDF kündigt Lindner selbst am Abend seinen Rückzug an, sollte es für den Wiedereinzug in den Bundestag nicht reichen. Am späten Abend, als das Aus der FDP immer deutlicher wird, bestätigt Lindner: Es ist Schluss. Parteivize
Christian Linder ist damit zur tragischen Figur der FDP geworden. Ausgerechnet er, der die Partei 2013 nach dem erstmaligen Bundestags-Aus übernommen, der sie praktisch im Alleingang wieder aufgerichtet hat, führt die FDP wieder zurück in die außerparlamentarische Opposition.
Dabei hat Lindner im Wahlkampf alles versucht. Der Parteichef reiste durchs ganze Land, kein Interview schlug er aus, rund um die Uhr versendete Lindner auf Social Media seine Botschaften. Am Anfang klangt das noch resolut. Die FDP wollte Schwarz-Gelb, einen klaren Lagerwahlkampf führen. Doch die Union und ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz ließen Lindner abtropfen. Schwarz-Gelb? Kein Interesse.
Lindner probierte es mit Provokationen, er empfahl dem Land, "mehr Musk und Milei" zu wagen. Eine Anspielung auf den Tesla-Boss und Donald Trump-Berater Elon Musk, der dann aber zur Wahl der AfD aufrief. Lindner setzte in der Migrationsfrage auf einen harten Kurs. Doch als CDU-Chef Friedrich Merz nach dem tödlichen Attentat von Aschaffenburg per Gesetz einen härteren Kurs im Bundestag durchsetzen wollte, wackelte die FDP-Fraktion. Die Mehrheit mit der AfD kam nicht zustande. Lindner wirkte nicht mehr wie der starke Parteichef.
Lesen Sie auch: Die Bundestagswahl im Live-Ticker
Am Ende will die FDP nur noch die Grünen in der Regierung verhindern
Zuletzt wirkte der liberale Wahlkampf nur noch verzweifelt. Die Umfragewerte waren bei 4 Prozent eingefroren und Lindner und Co. übernahmen die Rolle des Verhinderers. Um eine Regierungsbeteiligung der Grünen unmöglich zu machen, sollten die Deutschen die FDP wählen. Die liberale Rechnung: Wenn es die FDP in den Bundestag schafft, reicht es nicht für Schwarz-Rot und vor allem nicht für Schwarz-Grün. Ein Wahlkampf gegen den alten, neuen Lieblingsgegner: die Grünen. "Eine Stimme für die FDP verändert die Republik", lautete die entsprechende Losung der liberalen Führung.
Vom Selbstbewusstsein früherer Wahlkämpfe war nicht mehr viel geblieben.
Das Statement von Christian Lindner im Hans-Dietrich-Genscher-Haus am Sonntagabend dauert nicht lange. Geschlossen verlässt die Parteiführung im Anschluss das Atrium. Gut möglich, dass es sie in dieser Zusammensetzung nicht mehr lange gibt.


"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.