Nicht nur die Opposition, auch republikanische Initiativen wie "The Lincoln Project" machen vor der US-Wahl Stimmung gegen Präsident Donald Trump. Wie stark sind die Gegner im eigenen Lager?

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"Heute sind wir ein gespaltenes Land. Und wir haben einen Präsidenten, der alles in seiner Macht Stehende tut, damit es so bleibt." Diese Worte vom Parteitag der US-Demokraten vergangene Woche stammen nicht von einem Vertreter der Opposition - sondern von Colin Powell. Der war unter George W. Bush Außenminister - und ist einer von mehreren Republikanern, die sich offen für Joe Biden und damit gegen Donald Trump positioniert haben.

Auch einige republikanische Initiativen machen Stimmung gegen den Präsidenten, darunter "The Lincoln Project", das sich Ende 2019 der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Dessen Mitglieder verstehen sich als weitgehend konservativ oder klassisch liberal. Doch trotz Differenzen zu den Demokraten halten auch sie Biden für die bessere Wahl.

Trump hat aus ihrer Sicht "weder den moralischen Kompass noch das passende Temperament", um das Amt des US-Präsidenten würdig auszufüllen. Um das zu beweisen, schneidet das Projekt beispielsweise Aussagen Trumps zu entlarvenden Kurzvideos zusammen.

Experte: "Das sind absolute Außenseiter"

Doch während dem US-Präsidenten auf Twitter 85,5 Millionen Menschen folgen, sind es beim "Lincoln Project" nur etwa zwei Millionen. Selbst Christoph Haas vom Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Freiburg kennt nur wenige der Republikaner, die sich darin zusammengeschlossen haben. Die Gegner in den eigenen Reihen sind aus seiner Sicht eine Randgruppe in der Partei: "Es gibt sie, aber es sind absolute Außenseiter."

Die Republikaner stehen im Wesentlichen ziemlich geschlossen hinter Trump, betont der Politikwissenschaftler. Sicherlich gebe es auch im Establishment Leute, die ihn längst nicht mehr so enthusiastisch unterstützten wie zu Beginn seiner Amtszeit. Und es gebe auch diejenigen, die sich auf eine Zeit nach Trump vorbereiteten. "Aber von denen würde sich niemand offen gegen den Präsidenten stellen", sagt Haas. Er findet es deswegen auch bemerkenswert, dass sich Larry Hogan dezidiert gegen den Präsidenten ausspricht. Der republikanische Gouverneur von Maryland hat Trump vor allem in der Corona-Krise zuletzt scharf kritisiert.

Viele Möglichkeiten hat das "Lincoln Project" aus Sicht von Haas nicht. "Sie können natürlich Werbespots schalten. Aber Trump nennt sie dann Verräter, redet sie klein, erniedrigt sie." Mit radikaleren Maßnahmen rechnet Haas nicht: "Weil die Gruppe zwar Trump loswerden, aber nicht der Partei schaden will."

"Einige traditionelle Konservative sind auf der Strecke geblieben"

Florian Böller, Juniorprofessor für Transatlantische Beziehungen an der TU Kaiserslautern, sieht das ganz ähnlich wie sein Freiburger Kollege: "Trump hat die Partei stark verändert - von den traditionellen Konservativen sind dabei einige auf der Strecke geblieben." Das zeige sich auch jetzt im innerparteilichen Widerstand, so der USA-Experte. "Insgesamt aber hat Trump die Partei auf seine Seite ziehen können."

Das "Lincoln Project" betreibe Negative Campaigning, die Gruppe setze auf persönliche Attacken. Die Mitglieder wollen Trump damit auf die Palme bringen oder ihn zu Aussagen bringen, die ihm schaden. "Diese Art von Campaigning kann grob sein und sehr persönlich werden - aber sie ist nicht neu. Sie wird genauso als Wahlkampfstrategie gegen die Demokraten angewandt", ordnet Böller ihr Engagement ein.

Er geht davon aus, dass die Gruppe vielleicht einzelne konservative Wähler davon überzeugen kann, nicht für Trump zu stimmen. Aber großen Einfluss räumt auch er ihr nicht ein.

Dass es derartige Kritik aus den eigenen Reihen gibt, hält keiner der beiden Experten für besonders ungewöhnlich. Innerparteiliche Widersacher gab es auch schon früher, betont Böller. Gegen den demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson zum Beispiel habe es 1968 sehr starken Widerstand gegeben: von Parteimitgliedern, die gegen den Vietnam-Krieg waren.

2016: Wunsch nach Regeländerung, um Trump noch zu stoppen

Können die innerparteilichen Kritiker Trump denn bei der Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur gefährlich werden? Sicher nicht, davon sind beide Politikwissenschaftler überzeugt: An Trumps Nominierung werde beim Parteitag an diesem Montag kein Weg vorbeiführen. "Die Republikaner werden schon dafür sorgen, dass keine kritischen Stimmen laut werden", glaubt Haas. Dass die digitale Form dabei besondere Kontrolle erlaubt, komme dem Präsidenten entgegen.

Bei Trumps erster Nominierung 2016 hatten Parteimitglieder noch versucht, die Abstimmungsregularien zu ändern. Die große Mehrheit der Delegierten ist an die Ergebnisse der Vorwahlen gebunden, die Trump damals - genau wie diesmal - klar gewonnen hatte. Seine Gegner forderten deshalb, dass alle Delegierten frei wählen sollten. Sie kamen damit jedoch nicht durch - und es gab lautstarke Proteste und Streitigkeiten.

Vergleich mit ehemaligen Präsidenten

Die Lage in den USA ist diesmal wesentlich angespannter als bei der letzten Wahl: Vor allem die Corona-Pandemie, die schwierige wirtschaftliche Lage und die Rassismus-Debatte machen Trump das Leben schwer. Wie beliebt ist der Präsident noch in der Bevölkerung?

Mit der Popularität ehemaliger und des amtierenden Präsidenten beschäftigen sich etwa das Meinungsforschungsinstitut Gallup oder das Datenprojekt FiveThirtyEight. "Donald Trump selbst ordnet sich natürlich ohne jeden Zweifel ganz oben auf der Beliebtheitsskala ein", sagt Christoph Haas. "Ganz nüchtern betrachtet, gehört er im Vergleich mit früheren US-Präsidenten hier allerdings eher in die untere Kategorie." Ronald Reagan zum Beispiel sei viel beliebter in der Bevölkerung gewesen.

Unbeliebter als Trump nach gleicher Zeit im Amt war beispielsweise 1992 George Bush senior. Böller erklärt: "Damals litt das Land ebenfalls unter einer schwierigen wirtschaftlichen Lage." Auch Jimmy Carter und Harry S. Truman waren weniger beliebt als der amtierende Präsident. Sie alle wurden nicht wiedergewählt.

Auch wenn Joe Biden in Umfragen weiter vorn liegt: USA-Experte Böller würde Donald Trump gut zwei Monate vor der Wahl noch lange nicht abschreiben.

Über die Experten:
Dr. Christoph Haas ist Wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Freiburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das politische System und das politische Denken in den USA.
Florian Böller ist Juniorprofessor für Transatlantische Beziehungen an der TU Kaiserslautern. Im Sommersemester 2020 gibt er ein Seminar zu "Wahlen in den USA: Kandidaten, Parteien, Policies".

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Christoph Haas
  • Gespräch mit Juniorprofessor Florian Böller
  • The Lincoln Project in der New York Times: We Are Republicans, and We Want Trump Defeated
  • Tagesschau.de: Republikaner werben für Biden
  • FAZ.net: Wahl in Amerika. Republikaner nominieren Trump
  • FiveThirtyEight.com: How (un)popular is Donald Trump?
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