Das Ende der Regierung ist besiegelt. Doch wie geht es jetzt weiter? Hat Sebastian Kurz tatsächlich so ein starkes Netzwerk und kann bei den Neuwahlen überzeugen? Der designierte ÖVP-Obmann wird sich mit einem Vizekanzlerposten wohl kaum zufrieden geben. Der ORF-Report analysiert die aktuelle Situation.

Mehr aktuelle News


Nun verhandeln SPÖ-Chef Kern und ÖVP-Chef Kurz über die weitere Vorgehensweise. Gewählt wird entweder am 8. oder 15. Oktober 2017. Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) geht davon aus, dass einer der beiden Termine am Dienstag vereinbart werden kann. Das sagte er im Interview mit Susanne Schnabl im ORF-"Report Spezial" am Montag. Präferenz gäbe es laut Drozda keine, ihm gehe es um eine gute weitere Zusammenarbeit über die kommenden fünf Monate. Eine wesentliche Bedingung dabei: "Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Kurz auch die Verantwortung in der Regierung als Vizekanzler übernimmt. Ich gehe davon aus, dass er sein Zugeständnis zum Arbeitsübereinkommen übernimmt."

Wien ÖVP-Chef Blüml: "Sind im Wahlkampf"

Naturgemäß anders sieht das der Chef der Wiener ÖVP, Gernot Blüml. Er stellte im "Report"-Studio klar: "Wer Vizekanzler wird, ist Sache der ÖVP. Diese Entscheidung nehmen wir uns heraus." Zu Kurz möglichen Eintritt ins Regierungsteam meinte er jedenfalls: Unlängst sei Kurz von Kanzler Kern als "das Böse" bezeichnet worden, weshalb man sich gut überlegen müsse, ob man in einem solchen Klima noch zusammenarbeiten möchte. "Denn Faktum ist: wir sind im Wahlkampf", ergänzte der Politiker. Sollte Kern eine Minderheitsregierung anstreben, werde man Konsequenzen ziehen. Wie diese aussehen könnten? "Unter Umständen, dass man das gesamte Regierungsteam zurückzieht." Er gehe aber davon aus, dass die Vorschlagsmöglichkeit für den Vizekanzler bei der ÖVP bleibe. Einen Namen für das Amt des Vizekanzlers und Wirtschaftsministers wollte Blüml nicht explizit nennen.

Kurz als "allmächtiger" ÖVP-Obmann?

Der designierte ÖVP-Obmann Sebastian Kurz wird sich mit einem Vizekanzlerposten wohl kaum zufrieden geben. Gerade erst hat er in der ÖVP geschafft, was vor ihm noch niemandem gelang: die gesamte Macht in seinen Händen als Parteichef zu bündeln. Er bekommt das volle Durchgriffsrecht bei Personal und Programm, sowie über künftige Koalitionspartner. Doch was macht der mit 30 Jahren bisher jüngste Obmann der ÖVP damit? Der erste Schritt: die Schaffung einer eigenen Liste. "Wir haben beschlossen eine Bewegung zu starten, diese wird als Liste Sebastian Kurz die neue Volkspartei ziehen", erläuterte Kurz bei der Pressekonferenz vergangene Woche.

Durchgehend lobende Töne dazu kommen aus den eigenen Reihen: "Wir wollten immer einen Aufbruch und soweit wie jetzt waren wir noch nie", lobte etwa Blüml. Auch Wilfried Haslauer, Salzburger Landeshauptmann meinte gegenüber dem ORF: "Ich sehe keine Entmachtung, sondern einen neuen Weg." Und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner stellte klar: "Da geht es nicht um Eitelkeiten, sondern um neue Möglichkeiten." Ganz anders beurteile Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), die Situation: "Auch wenn Kurz drauf steht, ist ÖVP drinnen."

Politikwissenschaftler Fritz Plasser ist der Meinung, dass die ÖVP sich mit der starken Konzentration auf den 30-Jährigen nichts Gutes tut: "Die Hoffnungen sind auf eine Person projiziert und teilweise unrealistisch." Allerdings: In der ÖVP stehe man auch hinter Kurz, sofern er das Kanzleramt nicht gewinnen sollte. So meinte Blüml, dass es dann auch einen Oppositionschef Sebastian Kurz geben werde.

Kurz steiler Aufstieg

Hat Kurz tatsächlich so ein starkes Netzwerk? Die Antwort lautet: Ja. Insgeheim gilt er bereits seit vielen Jahren als Retter der ÖVP. Angefangen hat seine Karriere 2003, als er von Bezirksvorsteher des 1. Bezirks in Wien Markus Figl in die Partei geholt wurde. Danach arbeitete er sich mit Ehrgeiz und Taktik nach oben. Ins mediale Rampenlicht kam er mit seiner "Geilomobil"-Kampagne. Und später, als JVP-Obmann, sparte er nicht mit Kritik an der Mutterpartei ÖVP. Allerdings schaffte es Kurz, den großen und Mächtigen der Partei dabei nicht auf die Füße zu treten. Er pflegte enge Kontakte zu den Granden, etwa zum ehemaligen Landeshauptmann von Niederösterreich Erwin Pröll. 2011 wurde er dann schließlich vom damaligen Vizekanzler Michael Spindelegger in das Regierungsteam geholt. Sechs Jahre später hat er die eigene Partei völlig umgebaut, den Chefsessel erobert und greift nun nach dem Kanzleramt.

Der Dreikampf hat begonnen: Personenwahl zwischen Kern, Kurz und Strache

Seine Chancen stehen nicht schlecht. Denn Kurz ist geübt in Wahlkämpfen. Seine Aussagen kommen bei der Bevölkerung an, das belegen steigende Umfragewerte. Allerdings schadet das wiederum einem: Heinz-Christian Strache (FPÖ). Fritz Plasser, Politikwissenschafter, geht davon aus, dass Kurz auf gleicher Höhe mit Kern um den Kanzlerposten kämpfen wird. Denn das Dilemma der FPÖ: Kurz hat viele Themen bereits übernommen. Kommunikationsexperte Wolfgang Rosam im ORF-Interview dazu: "Für viele Strache-Sympathisanten ist Kurz die sanftere Version."

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.