Jetzt ist es fix: Die Grünen haben den Einzug in den Nationalrat verpasst. Wie konnte eine Partei, die den Bundespräsidenten entsandte und in zahlreichen Ländern mitregiert, derart abstürzen? Chefin Ulrike Lunacek ist jedenfalls nicht die Hauptschuldige.

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Am Montag machte in grünen Kreisen ein bissiger Witz die Runde. Endlich könne niemand mehr bestreiten, dass Alexander Van der Bellen parteilos sei. Schließlich gebe es "seine" Partei nun nicht mehr. Zumindest ein Gutes habe die Sache also.

Auch wenn der Bundespräsident von einer bunten Wahlbewegung in die Hofburg getragen wurde, äußern manche seiner Gegner bis heute Zweifel an Van der Bellens Überparteilichkeit. Immerhin war er viele Jahre lang Chef der Grünen und wurde von seinen ehemaligen Parteifreunden bei seiner Kampagne um das höchste Amt im Staat tatkräftig finanziell unterstützt.

Die launige Pointe bringt die besondere Tragik des verheerenden Wahlergebnisses der Grünen auf den Punkt: Eine längst etablierte, mittelgroße Partei, die in fünf von neun Landesregierungen sitzt, stellvertretende Landeshauptleute stellt und deren prominentester Ex-Chef Bundespräsident ist, hat den Wiedereinzug in den Nationalrat verpasst.

Noch vor Auszählung der letzten Briefwahlstimmen steht fest, dass die Grünen die Vier-Prozent-Hürde nicht überspringen werden.

"Wir fangen wieder bei Null an"

Die Grünen - eine Partei, die keine großen Skandale produziert hat und selbst nach Ansicht politischer Gegner im Parlament und in Landtagen wertvolle Arbeit leistet - wurde bei den Nationalratswahlen gedrittelt.

"Wir fangen wieder bei Null an", sagte die Salzburger Parteichefin und Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Rössler am Montag. "Es muss einen Neustart geben."

Aber wie konnte es so weit kommen? Mit Ulrike Lunacek wurde die Partei von einer erfahrenen Politikerin, die als EU-Abgeordnete mehrere erfolgreiche Wahlen geschlagen hat, angeführt.

Ihr wichtigstes Anliegen – der Klimawandel – ist alles andere als ein Nischenthema. Umfragen zeigen, dass die Österreicherinnen und Österreicher dem Kampf gegen die Erderwärmung großen Wert beimessen.

"Lunacek hat die Partei im Frühling kurzfristig übernommen. Dann passierten einige handwerkliche Fehler", sagt ein grüner Insider. Aber die Spitzenkandidatin trage keineswegs die Hauptschuld an dem desaströsen Ergebnis. Die Gründe dafür würden tiefer liegen.

"Es grenzt an Realitätsverleugnung"

Die Grünen hatten spätestens seit dem starken Ansteigen der Asylanträge vor zwei Jahren ein massives Problem in der Wahrnehmung von außen.

Während die öffentliche Meinung deutlich nach rechts schwenkte, beharrten die Grünen auf Positionen, für die selbst eingefleischte Wähler wenig Verständnis aufbrachten: "Es war intern kaum möglich, das Problem der begrenzten Kapazität anzusprechen", berichtet ein ehemaliger Funktionär. "Aber es grenzt eben an Realitätsverleugnung zu behaupten, dass das Problem mit europäischer Solidarität alleine zu lösen sei."

Ideologische Verengung und interne Streitereien

Bei den Grünen habe es in den letzten Jahren eine starke ideologische Verengung auf das Thema Menschenrechte gegeben. Andere Inhalte – wie etwa eine moderne Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik – seien dafür in den Hintergrund getreten.

Die Grünen seien zu einer prononciert linken Ein-Thema-Partei geworden, die sich zunehmend über ihre Gegnerschaft zum rechten Mainstream definiert habe.

Damit hätten die Grünen viele ihrer Wähler verprellt, die manches etwas anders sahen, der Partei aber bisher trotzdem die Treue hielten, weil sie deren Einsatz für Umwelt und Menschenrechte grundsätzlich schätzten.

Als die in der Vergangenheit erfolgsverwöhnte Partei dann schließlich von massiven internen Streitereien geschüttelt wurde, hätten sich viele abgewandt.

Erst recht, als mit Peter Pilz ein prominenter Grüner die Partei verließ, um mit einer eigenen Liste anzutreten.

Pilz schaffte, was den Grünen gründlich misslang

Pilz, der auch vor kritischen Tönen gegenüber dem politischen Islam nicht zurückschreckte und für eine etwas rigidere Migrationspolitik stand, verkörperte mit seinem bunten Team für viele die thematische Breite, die den Grünen abhanden gekommen war.

Dass es zur Abspaltung kam, haben die Grünen einem recht chaotischen System der Basisdemokratie zu verdenken, das den Parteioberen praktisch keine Handlungsmacht einräumt.

Lunacek wollte Pilz halten, aber die Delegierten machten ihr einen Strich durch die Rechnung.

Denn es entspricht dem Selbstverständnis der Grünen, dass es formal keinen Chef oder keine Chefin gibt. Wer auch immer an der Spitze der Partei steht, ist bloß "Sprecher" – und damit kaum mehr als ein Sprachrohr der Partei nach außen.

"Neustart" betrifft auch Grünen-Spitze

Der nun eingeforderte "Neustart" der Grünen wird ohne eine Diskussion über die Parteistatuten kaum auskommen.

Auch personell dürfte kein Stein auf dem anderen bleiben: Die Tirolerin Ingrid Felipe – formal Parteisprecherin – ist in den vergangenen Wochen bereits zugunsten der Spitzenkandidatin Lunacek in den Hintergrund getreten.

Aus grünen Kreisen ist zu hören, dass eine Ablöse der beiden an der Spitze wahrscheinlich ist.

Grünen drohen finanzielle Schwierigkeiten

Wer auch immer die Grünen in Zukunft anführen wird, muss sich mit einem anderen, massiven Problem herumschlagen.

Sollte die Bundespartei nämlich den Einzug in den Nationalrat verpassen, drohen ernste finanzielle Schwierigkeiten: Die Grünen haben bereits die beiden Kampagnen für Van der Bellen großzügig unterstützt, der lange Nationalratswahlkampf hat die Partei tief in die roten Zahlen geführt.

Ohne Parteienförderung sind die Bundesgrünen auf die Solidarität der einzelnen Landesgruppen angewiesen. Sonst würde ihnen der Konkurs drohen.

So oder so: In den nächsten Wochen muss die Partei ihre Räumlichkeiten im Parlament räumen, mehr als Hundert Mitarbeiter verlieren ihren Job.

Die Bundespartei wird künftig eine lose Organisation sein, ohne Geld, angewiesen auf das Engagement Ehrenamtlicher.

Deutsche FDP als Vorbild

Ist das nun das Ende für die Partei? Kaum. Die Grünen sind außerhalb des Nationalrats gut verankert und haben immer noch eine funktionierende Infrastruktur in den Ländern.

Wie ein erfolgreiches Comeback aussehen kann, zeigt ein Blick nach Deutschland. Dort flogen die Liberalen vor vier Jahren erst aus dem Bundestag, später aus zahlreichen Landtagen.

Sie haben die Zwangspause für eine organisatorische und inhaltliche Neuaufstellung genutzt. Bei der Bundestagswahl im September 2017 gehörte die FDP zu den großen Gewinnern.

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