Wenn das Parlament als letzten Ausweg Neuwahlen sieht, muss die politische Lage ganz schön verfahren sein. Im Hintergrund spielten tiefe politische Richtungsstreitigkeiten der jeweiligen Koalitionsparteien die Hauptrolle - manchmal war es auch einfach nur Taktik. Österreich blickt auf eine ganze Chronik von vorgezogenen Nationalratswahlen.

Mehr aktuelle News

Wolfgang Schüssel (ÖVP) versuchte sein Glück als Nationalrat gleich mehrmals, allerdings nicht immer mit Erfolg. Der größte Gewinner einer vorgezogenen Nationalratswahl war dagegen wohl Bruno Kreisky (SPÖ), der 1971 erstmals für die Sozialdemokraten eine absolute Mehrheit erreichte, die zwölf Jahre halten sollte. Insgesamt kam es sieben Mal zu vorgezogenen Parlamentswahlen, von denen jede ein Unikat war. Wir haben uns die Hintergründe angeschaut.

1953: Figls Große Koalition streitet ums Wirtschaftsprogramm

In der von Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) geführten Großen Koalition mit der SPÖ entbrannte ein Streit um das neue Wirtschaftsprogramm von Finanzminister Reinhard Kamitz (ÖVP). Dieser hatte einen harten Sparkurs zugunsten eines starken Schillings forciert. Anlass für den Bruch war die Budget-Planung für 1953.

Die SPÖ unter Vizekanzler Adolf Schärf bestand damals darauf, dass das Budget von 19,6 Milliarden Schilling um 400 Millionen Schilling aufgestockt werden sollte. Die Große Koalition zerbrach im Oktober 1952 - wurde von Bundespräsident Theodor Körner jedoch wieder gekittet. Die Regierung Figl/Schärf trat noch einmal an, unverändert, um möglichst schnell Neuwahlen anzuberaumen. Der Nationalrat wurde schließlich am 22. Februar 1953 gewählt. Die ÖVP verlor deutlich, hatte aber dennoch die meisten Sitze gewonnen. Bundespräsident Körner ernannte Julius Raab (ÖVP) zum neuen Bundeskanzler. Er bildete wieder eine Große Koalition mit der SPÖ.

1966: Klaus' ÖVP kämpft um absolute Mehrheit

Nach über zwanzig Jahren Großer Koalitionen unter Führung der ÖVP waren deutliche Abnutzungsspuren zu bemerken, auch beim Partner SPÖ. Spätestens seit 1962 reihte sich Krise an Krise. Zu nennen sind unter anderem der Fall Habsburg um die Frage, ob Otto von Habsburg ins Land einreisen darf oder nicht.

Auch die Bemühungen der SPÖ um eine kleine Koalition mit der FPÖ sorgten für Ärger - ebenso der Skandal um Innenminister Franz Olah (SPÖ), einem wichtigen Gewerkschaftsführer, der die FPÖ heimlich mit Gewerkschaftsgeldern finanziell unterstützte. Hinzu kam noch der Fall Fußach, in dem der sozialistische Verkehrsminister Otto Probst versuchte, ein neues Bodenseeschiff auf den Namen "Karl Renner" taufen zu lassen, nach dem ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik. Wegen massiver Proteste im Ort Fußach in Vorarlberg scheiterte die Taufe.

All diese Affären, Skandale und Krisen vergifteten die Stimmung in der Großen Koalition, die seit April 1964 von Bundeskanzler Josef Klaus geführt wurde. Im Streit um das Budget fürs darauffolgende Jahr zerbrach die Koalition im Oktober 1965, noch vor Ende der Legislaturperiode. Die Regierung trat zurück und der Nationalrat setzte vorgezogene Neuwahlen für den 6. März 1966 an. Erstmals seit 1945 erhielt die ÖVP wieder eine absolute Mehrheit.

1971: Kreiskys SPÖ schafft die absolute Mehrheit

Bundeskanzler Josef Klaus und die ÖVP verloren die Nationalratswahlen 1970. Die SPÖ war nun stärkste Partei mit einer relativen Mehrheit und ging in langwierige Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP. Als diese scheiterten, bildete Neu-Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) eine Minderheitsregierung mit Duldung der FPÖ. Bedingung war eine Wahlrechtsänderung, die die kleinen Parteien begünstigen sollte.

Bei der anschließenden Wahlrechtsreform wurde dieser Plan umgesetzt und die Zahl der Abgeordneten von 165 auf 183 erhöht. Im Juli 1971 beschloss der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ seine vorzeitige Auflösung und setzte Neuwahlen für den 10. Oktober 1971 an. Gewinner war die SPÖ, die erstmals die absolute Mehrheit errang. Bundeskanzler Kreisky führte die Alleinregierungen der SPÖ bis 1983.

1986: Vranitzky will nicht mit Haider

Eine komplizierte Gemengelage zeichnete sich 1986 ab. Die SPÖ befand sich unter Bundeskanzler Fred Sinowatz seit 1983 in einer kleinen Koalition mit der FPÖ. Im Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten entbrannte Anfang 1986 ein heftiger Streit zwischen den Parteien um die Nazi-Vergangenheit des ÖVP-Kandidaten Ex-UN-Generalsekretär Kurt Waldheim. Aus dem Streit, in dem sich Bundeskanzler Sinowatz stark engagierte, wurde die Waldheim-Affäre. Nach dem Einzug Waldheims in die Hofburg trat Bundeskanzler Sinowatz zurück, sein Nachfolger wurde Franz Vranitzky. Der ließ schon bald darauf die Koalition mit der FPÖ platzen.

Der Grund: Die Liberalen rückten massiv nach rechts. In einer Kampfabstimmung war FPÖ-Parteiobmann Norbert Steger durch den Rechtspopulisten Jörg Haider abgelöst worden. Haider jedoch wollten die Sozialdemokraten nicht als Vizekanzler installieren. Vorzeitige Neuwahlen wurden für den 23. November 1986 angesetzt. Die SPÖ verlor deutlich an Stimmen, die FPÖ gewann erheblich hinzu und die Grünen zogen erstmals in den Nationalrat ein. Doch Vranitzky blieb Bundeskanzler, SPÖ und ÖVP bildeten wieder eine Große Koalition.

1995: Neuwahlen stärken die SPÖ

Die Große Koalition unter Führung von Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) hatte bei den Nationalratswahlen 1994 erstmals keine Verfassungsmehrheit mehr erreicht. Die FPÖ mit Jörg Haider als ihrem Spitzenkandidaten war zur ständig wachsenden dritten Kraft in Österreich geworden.

Bei der ÖVP löste im April 1995 Wolfgang Schüssel Parteiobmann Erhard Busek ab, dessen Regierungsämter er im Mai ebenfalls übernahm. Bei den Verhandlungen über das Budget für 1996 konnten sich SPÖ und ÖVP nicht einigen. Schüssel provozierte den Koalitionsbruch, weil er hoffte, bei Neuwahlen Zugewinne zu machen.

Doch bei den Nationalratswahlen am 17. Dezember 1995 konnte die ÖVP nur leichte Gewinne machen, die Zahl ihrer Mandate blieb gleich. Die SPÖ legte um sechs Mandate zu. Vranitzky blieb Bundeskanzler und Schüssel sein Stellvertreter.

2002: Bundeskanzler Schüssel trickst FPÖ aus

Die Koalition zwischen FPÖ und ÖVP, unter Führung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, zerbrach nach der Knittelfelder FPÖ-Versammlung im September 2002. Dort hatte sich der rechte Flügel der FPÖ um Jörg Haider gegen den liberalen Flügel unter Parteiobfrau Susanne Riess-Passer durchgesetzt.

Daraufhin traten Vizekanzlerin Riess-Passer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser von ihren Ämtern zurück. Bundeskanzler Schüssel nahm das zum Anlass, auf Neuwahlen zu drängen. Er wollte die Schwäche der FPÖ nutzen, die zu diesem Zeitpunkt noch genauso stark im Nationalrat vertreten war wie die ÖVP. Die Neuwahlen wurden auf den 24. November 2002 terminiert. Schüssels Schachzug zahlte sich diesmal aus. Die FPÖ verlor Zweidrittel ihrer Mandate, die ÖVP verdoppelte ihre.

Auch SPÖ und Grüne profitierten von den Verlusten der FPÖ. Nach zähen Verhandlungen einigten sich FPÖ und ÖVP auf eine Fortsetzung ihrer Koalition unter Bundeskanzler Schüssel.

2008: Triumph für Faymann, Verlierer Molterer

Die Große Koalition unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP), die seit 2006 regierte, stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Zu viele Konflikte konnten von den beiden nahezu gleich starken Parteien nicht gelöst werden. Vor allem der Schwenk der SPÖ in der EU-Politik und bei der angestrebten Gesundheitsreform führten bei der ÖVP zu großem Verdruss.

Vizekanzler und ÖVP-Obmann Molterer gab im Juli 2008 mit den Worten "es reicht" bekannt, dass er die Koalition nicht fortsetzen werde. Er forderte "sofortige Neuwahlen". Der Nationalrat wählte den 28. September als Termin für die Wahl. Als Spitzenkandidat der SPÖ trat Werner Faymann an, der die Wahl auch gewann. Großer Verlierer war Molterer, der zurücktrat und durch Josef Pröll als Parteiobmann ersetzt wurde. Im Ergebnis bildeten SPÖ und ÖVP wieder eine Große Koalition unter Bundeskanzler Faymann.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.