Die Wahl von Werner Kogler zum neuen Bundesparteichef leitet eine Zeitenwende bei den Grünen ein: Mit dem steirischen Vollblutpolitiker will die Partei volksnäher werden.
Tag zwei nach der verheerenden Wahlniederlage, die den Grünen den Wiedereinzug in den Nationalrat verhagelte - und bei der Ökopartei bleibt kein Stein auf dem anderen.
Am Dienstag verkündete Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek den Rücktritt von allen Ämtern. Das betrifft in erster Linie ihr prestigeträchtiges Amt als EU-Abgeordnete.
Auch die Tirolerin Ingrid Felipe, seit einem halben Jahr Sprecherin der Partei, verkündete ihren Rückzug. Allerdings bleibt Felipe weiterhin Landeshauptfrau-Stellvertreterin in Tirol.
Zweieinhalb Rücktritte also. Denn Felipe ist in Tirol für ihre Partei unabkömmlich. Ihre Partei koaliert in Innsbruck einträchtig mit der Volkspartei.
Dieses Bündnis soll auch über die nächste Wahl halten und die in ihrem Bundesland populäre Felipe ist ein Garant dafür, dass die Tiroler Grünen auch in Zukunft an den Hebeln der Macht bleiben.
100 Mitarbeiter der Grünen verlieren Job
Dass die Partei ihre starke Verankerung in den Ländern hält, ist für die Grünen eine Überlebensfrage.
Denn bundesweit sind die Grünen mit dem Ergebnis vom Sonntag marginalisiert. Mehr als 100 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs, aus dem Parlamentsklub in der Löwelstraße müssen die Grünen demnächst ausziehen, auch die Parteizentrale dürfte in Zukunft zu groß und vor allem zu teuer für die Partei werden, die nach mehreren teuren Wahlkämpfen auf rund fünf Millionen Euro Schulden sitzen bleibt.
Nur die Solidarität der Länderorganisationen schützt die Bundespartei vor dem Gang zum Konkursrichter: Alle neun Landesparteien teilen sich nun die Verantwortung dafür, den Schuldenberg über viele Jahre abzutragen.
Die einst so stolze Bundespartei - die den Länderorganisationen einst gerne aus dem fernen Wien gute Ratschläge erteilte - ist diesen nun völlig ausgeliefert.
Auf den Grünen lastet Druck der Wahlniederlage
Dass sich die Machtverhältnisse geändert haben, zeigte sich rasch. Ungewöhnlich deutlich forderten die Machthaber aus den Ländern schon am Dienstag den Rücktritt der Parteispitze.
Cyriak Schwaighofer, Klubobmann in Salzburg, forderte einen "Wechsel", der Bezirksvorsteher von Wien Neubau, Thomas Blimlinger, wurde gegenüber der "Presse" noch deutlicher: "Ich rate dazu, dass der Bundesvorstand zurücktritt", erklärte er. Schon Dienstagnachmittag war es soweit, Lunacek und Felipe nahmen den Hut.
Es ist wohl auch kein Zufall, dass der interimistische neue Parteichef
Obwohl der Steirer sich als Aufdecker und profunder Wirtschaftsexperte parteiübergreifend einen Namen gemacht hat, galt er bei den Grünen nie als Mann für die erste Reihe.
In seiner Heimat freilich gehört Kogler zu den populärsten Politikern des Landes. Seine Kür zeigt, wohin die Reise geht: Die Aushängeschilder der Grünen sprechen Dialekt, haben ein offeneres Ohr für die Anliegen der Leute vom Land und kümmern sich weniger um political correctness.
Kogler ein Querdenker?
Außerhalb der Metropole Wien haben die Grünen auch bisher schon Klartext gesprochen: Der Kärntner Parteichef Rolf Holub - einer der Aufdecker des Hypo-Skandals - tourte im Wahlkampf landesweit durch Gasthäuser, um Interessierten am Stammtisch in kernigen Worten die Positionen seiner Partei zu erklären.
Auch der neue Parteichef Kogler ging im Unterschied zu den meisten anderen Abgeordneten bei Bundesländerveranstaltungen auf Tuchfühlung mit Andersdenkenden, um für seine Ansichten zu werben.
Seine Wahl ist nach Ansicht vieler Beobachter auch ein Zeichen für mehr Volksnähe einer Partei, die den Zugang zu potenziellen Wählern außerhalb ihrer Kernklientel in den letzten Jahren verloren hat.
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