Die Grünen werden im kommenden Nationalrat nicht mehr vertreten sein. Was wird nun aus deren Themen? Sowohl der Abtrünnige Peter Pilz als auch Vertreter von SPÖ und NEOS wollen mit Fokussierung auf grüne Themen die Lücke künftig schließen.

Eine Analyse

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Zumindest bei der politischen Konkurrenz war von Häme keine Spur. Als die Grüne Abgeordnete Sigrid Maurer auf Twitter ein melancholisches Abschiedsfoto mit Prosecco-Gläsern am Balkon des Parlamentsklubs postet, mokierte sich ein Journalist über die seiner Meinung nach unglückliche Optik.

Doch Abgeordnete anderer Parteien schlugen sich auf die Seite Maurers, die mit ihren grünen Mitstreitern demnächst die Räumlichkeiten in der Löwelstraße räumen muss. Tenor: Nachtreten geht gar nicht.

Es herrscht Betroffenheit

31 Jahre nach ihrem erstmaligen Einzug wird in einigen Wochen der erste Nationalrat ohne grüne Abgeordnete angelobt. Die Ökopartei hat die verheerendste Wahlniederlage ihrer Geschichte eingesteckt und wird nun auf Bundesebene nur noch als außerparlamentarische Opposition vertreten sein.

Das bedrückt auch politische Mitbewerber, die die Grünen im Laufe der Zeit durchaus zu schätzen gelernt haben. Selbst die rechtspopulistische FPÖ, ideologisch ganz am anderen Spektrum angesiedelt und damit der Hauptgegner der Grünen, hielt sich nobel zurück.

Das liegt auch daran, dass die Grünen in den vergangenen drei Jahrzehnten die politische Landschaft geprägt und Themen gesetzt haben, die längst im politischen Mainstream angekommen sind. Die Verdienste der Ökopartei werden parteiübergreifend anerkannt.

Peter Pilz mit Idealen der Grünen Bewegung

Doch wer wird sich nun um Umwelt, Nachhaltigkeit und Menschenrechte kümmern? Wer füllt die Lücke, die die Grünen als Kontrollpartei übernommen haben?

Für Letzteres bietet sich wohl Peter Pilz an. Das grüne Urgestein hat den Ruf der Grünen als Aufdecker-Partei seit Jahrzehnten mitgeprägt: bei zahlreichen Skandalen – von Lucona, Buwog bis Eurofighter – machte er öffentlich Druck. Als die Grünen Pilz im Frühjahr bei der Erstellung der Kandidatenliste vergraulten, nahm er den Hut und kandidierte mit einer eigenen Liste, die prompt auf Kosten seiner ehemaligen Partei den Einzug schaffte.

Schon am Wahltag drängte Pilz die Vertreter der anderen Parteien, den Untersuchungsausschuss zum Ankauf der Eurofighter weiterzuführen.

Auch inhaltlich hat sich Pilz von seiner früheren Partei nicht weit entfernt. Er formuliert kantiger, schert sich weniger um politische Korrektheit. Aber im Kern vertritt auch die Liste Pilz die Ideale der Grünen Bewegung.

Freilich: Pilz und seine Mitstreiter haben knapp den Einzug in den Nationalrat geschafft. Von der einstigen Wirkmacht der Grünen – die mehr als doppelt so stark waren – kann auch er nur träumen.

Und auch wenn einige jener grünen Klubmitarbeiter, die nun ihre Jobs verlieren werden, zur Liste Pilz wechseln: der Aderlass ist groß. Ausgewiesene Experten für Korruption und Wirtschaftskriminalität wie Werner Kogler oder Gabriele Moser verlassen den Nationalrat.

NEOS: "Es wird jetzt sehr einsam für uns"

Doch nicht nur Pilz verspricht, sich um das Erbe der Grünen zu kümmern. Auch die liberalen NEOS möchten in Zukunft stärker auf deren Themen setzen. "Die Grünen waren sowohl in Umweltfragen als auch beim Thema Bildung unsere engsten Mitstreiter", sagt NEOS-Umweltsprecher Michael Bernhard.

Er bedauert den Abgang der Mitbewerber, denen er zugesteht: "Sie waren die einzige parlamentarische Kraft, der es nicht nur um Geld um Posten ging. Es wird jetzt sehr einsam für uns."

Bernhard betont die zahlreichen inhaltlichen Überschneidungen zwischen den linken Grünen und den liberalen NEOS: "Das betrifft den Klimawandel, Nachhaltigkeit oder den Umstieg auf CO2-freie Mobilität."

Geplant sei, dass die NEOS diese Themen künftig stärker in den Fokus rücken, um die Lücke nach dem Abgang der Grünen zu füllen. Das betreffe auch den Kampf für Menschen- und Bürgerrechte.

Bei SPÖ findet man Grünen-Ausscheiden "sehr schade"

Auch in den Reihen der SPÖ ist man über die neue Zusammenstellung des Parlaments ohne Grüne nicht glücklich. "Ich finde das persönlich sehr schade", sagt Oliver Stauber, einer der neuen Jungen bei der Sozialdemokratie.

Noch muss der Jurist und Obmann des SPÖ-internen Thinktanks "Sektion ohne Namen" um seinen Einzug bangen. Sollte ihm dieser gelingen, will auch er klassische grüne Themen weiterführen: "Ich werde mich bestmöglich dafür einsetzen, dass Themen wie grüne Jobs oder Elektromobilität auch auf Druck der SPÖ vorangetrieben werden", sagt er.

Grüne Ideen längst etabliert - auch bei ÖVP und FPÖ

Klare Bekenntnisse zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz gibt es auch von ÖVP und FPÖ – jenen Parteien, die mit den Grünen historisch die wenigsten Schnittmengen haben. Das zeigt, wie stark grüne Ideen längst in der Parteienlandschaft verankert sind.

Die Grünen mögen aus dem Nationalrat geflogen sein. Aber ihrer Botschaften der vergangenen drei Jahrzehnte sind zu einem großen Teil angekommen. Vorerst bleibt der Ökopartei nur die Hoffnung, dass andere Kräfte ihr Erbe gut verwalten.

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