Der Körpersprache-Experte, Autor und Coach Stefan Verra über den Zeigefinger von Sebastian Kurz, Christian Kerns Kapitalfehler, aggressive Wahlkampf-Gesten von Heinz-Christian Strache und Donald Trump sowie körpersprachliche Unsicherheiten von Politikern.
Herr Verra, welchen Einfluss hat die Körpersprache von Politikern auf Wähler?
Stefan Verra: Es ist belegt, dass Körpersprache einen enormen Einfluss auf das Wahlverhalten der Menschen hat. Meine Beobachtungen seit über zehn Jahren bestätigen das. Selbst das Wahlverhalten lässt sich anhand der Körpersprache gut vorhersehen.
Inwiefern?
Trump ist bei Wahlkampfauftritten meist aggressiv aufgetreten und hat lautstark gegen die in Washington gepoltert – und dabei zum Beispiel immer wieder mit der Faust das Rednerpult bearbeitet.
Die Wählerinnen und Wähler, die sich benachteiligt fühlten, weil sie etwa keinen Job hatten, gelangten dadurch rasch zur Ansicht, Trump habe ihre Ängste erkannt und sei quasi einer von ihnen.
Wie ist seine Körpersprache als Präsident?
Viel zu limitiert. Er gab im Wahlkampf den Aggressiven für die Benachteiligten. Jetzt ist seine Bühne allerdings das diplomatische Parkett, weshalb er seine Körpersprache adaptieren müsste. Daran wird er jedoch auch in Zukunft scheitern, ein solcher U-Turn ist für ihn nicht möglich.
Gibt es ein österreichisches Pendant zu Trump?
Gibt es. Die Körpersprache von HC Strache ist ebenso eine aggressive. Das Problem: Sie ist nicht wahnsinnig mehrheitsfähig, sondern kommt lediglich bei 20 bis 25 Prozent der Wähler gut an.
Das Gros der Menschen identifiziert sich lieber mit der zurückgenommenen, ruhigeren und, wenn man so will, seriösen Körpersprache – sie steht mehr für das verbindende Element.
Auch wenn sich die Ansichten und Vorhaben von ÖVP-Chef und Außenminister
Apropos: Der neue ÖVP-Chef ist in letzter Zeit auf Fotos immer wieder mit dem gestreckten Zeigefinger zu sehen, was stark an die Rekrutierungsgeste des 'Uncle Sam'-Sujets erinnert. Was will er uns damit sagen?
Ich erkenne darin eigentlich weniger eine "Uncle Sam"-Geste. Aber prinzipiell signalisiert der gestreckte Zeigefinger "Achtung!". Er soll einen größer machen.
Man kann den gestreckten Zeigefinger aber auch archaisch als eine der ersten Waffen des Menschen betrachten. Der Zeigefinger des Außenministers ist aber selten wirklich durchgestreckt, sondern immer etwas gebogen – und somit weniger aggressiv.
Ihr allgemeiner Befund zu Sebastian Kurz‘ Körpersprache?
Er ist körpersprachlich mit Sicherheit ein Talent, aber es fehlt ihm noch etwas die Selbstverständlichkeit, was aber vermutlich auch seinem jungen Alter geschuldet ist. Man merkt mitunter auch, dass er körpersprachlich ein wenig darum kämpft, ernst genommen zu werden.
Woran hapert es denn?
Er bewegt sich sehr viel und agiert dabei sehr stereotyp. So macht er etwa mit seinem Handrücken oft eine Bewegung in Richtung seines Gegenübers.
So agieren Menschen primär dann, wenn sie einen Bewegungsdrang haben, sich aber selbst reduzieren. Somit läuft der Außenminister ein wenig Gefahr, von der Vielfalt seiner Körpersprache einzubüßen.
Auch Kanzler
Christian Kern hat aus körpersprachlicher Sicht den kapitalsten Fehler gemacht, den man als regierendes Alphatier überhaupt machen kann. Eigentlich müsste er Souveränität, Kontinuität und Stabilität signalisieren.
Durch den ausgestreckten Zeigefinger und den aggressiven Blick auf dem Plakat hat er sich körpersprachlich in die Rolle des Herausforderers begeben.
Damit spricht er jedoch eigentlich primär alle Zurückgelassenen an und vergisst dabei darauf, Stabilität zu transportieren. Die Aggressivität mag ja gut dargestellt sein, passt jedoch mehr zu einem Oppositionspolitiker.
Gibt es für Politiker so etwas wie die perfekte Körpersprache?
Nein. Für Menschen ist immer die Körpersprache von Politikern ideal, die ihnen die Erfüllung ihrer Bedürfnisse in Aussicht stellt. Die aggressive Körpersprache – nur als Beispiel – ist für jene die richtige, die glauben, Flüchtlinge würden ihnen den Job wegnehmen.
Eine zurückhaltende Körpersprache, wie etwa die von Angela Merkel, ist wiederum die passende für Menschen, die im Grunde den Status quo beibehalten wollen. Im Falle einer neuerlichen großen Flüchtlingswelle hätte Merkel damit aber vermutlich nicht mehr das richtige Rezept.
Ist es für einen Politiker immer problematisch, wenn er körpersprachlich Unsicherheiten zeigt? Oder kann das auch durchaus positiv aufgenommen und sogar zu einem Vorteil werden?
Letzteres. Vorausgesetzt jedoch, dass er zu seinen Schwächen steht. Ganz Amerika witzelte einst über Barack Obamas eigenwilligen Freizeitlook, über seine Jeans im Besonderen.
Seine Reaktion darauf? Er selbst machte die besten Jokes darüber. Auch hierzulande könnte es nicht schaden, würden Politiker häufiger zu ihren Schwächen stehen, mehr Lockerheit an den Tag legen und sich selbst nicht so ernst nehmen.
Damit würde er signalisieren: "Ich stehe über den Dingen". Wir wollen auch in der Politik immer Menschen, nie Maschinen sehen.
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