Der Körpersprache-Experte, Autor und Coach Stefan Verra hat sich für GMX.at die erste Elefantenrunde genau angeschaut. Der Profi über die Stärken und Schwächen der unterschiedlich gestikulierenden Spitzenkandidaten und über jene, die ihn am meisten überzeugt haben.

Ein Interview

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Die Elefantenrunde auf Puls 4 war ob der knappen Antwortzeiten ziemlich streng durchgetaktet. Kann so etwas die Körpersprache der Spitzenkandidaten beeinflussen?

Stefan Verra: Absolut. Das hat eine große Auswirkung, wie man gestern vor allem an Christian Kern deutlich sehen konnte.

Er war nur ganz zu Beginn souverän, geriet dann aber ob der knappen Zeiten und der Vorwürfe von Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz ein wenig unter Druck.

An sich steht der Kanzler ja für langsame Gesten, kurze Pausen und eine tiefe Stimme. Nach rund zehn Minuten hat er gestern jedoch nur mehr mit der rechten Hand und zudem sehr abgehackt gestikuliert sowie plötzlich begonnen, stark zu schwitzen. All das hat mich doch einigermaßen erstaunt.

Peter Pilz hingegen hat sich von dieser Taktung kaum beeindrucken und auch nicht bremsen lassen. Er ist in seinem Tempo geblieben, gestikulierte vielseitig und erinnerte ob seiner längeren Pausen und durchdachten Worten phasenweise fast ein wenig an den einstigen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt und an Alexander Van der Bellen, der ja ähnlich agiert.

Was gab die Körpersprache von Sebastian Kurz preis?

Sebastian Kurz ist mit Sicherheit ein großes Körpersprache-Talent. Auch gestern stand er wieder aufrecht und punktete mit Signalen der Vernunft – etwa, indem er immer wieder seine Hände zu einer Schüssel formte und damit Richtung Boden schwang. Das wirkt besänftigend.

Allerdings muss der ÖVP-Chef aufpassen, dass er authentisch bleibt. Denn er ist – ähnlich wie Hillary Clinton im vergangenen US-Präsidentschaftskampf – ein wenig zu sehr darauf bedacht, keine Fehler zu machen.

Wer keine Fehler machen will, reduziert automatisch die Körpersprache und wirkt auf Dauer zu stereotyp. Clinton kam deshalb zu wenig authentisch rüber, was ihr letztlich auch zum Verhängnis wurde.

Eine weitere Problemzone des ÖVP-Chefs: Wenn er jemandem zuhört, bekommt er einen steifen Nacken und schaut die Person lediglich aus den Augenwinkeln an. Das ist suboptimal. Prinzipiell transportierte seine Körpersprache aber auch gestern wieder Vernunft.

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Und was verriet jene vom FPÖ-Chef?

Strache agiert hier immer völlig anders. Auch gestern war er laut, ständig in Bewegung und reich an großen Gesten.

Im Gegensatz zu Kurz gehen seine Gesten ruckartig nach oben, was aufgeregter wirkt. Ich habe bei ihm einmal kurz den Ton abgedreht und dann einen echauffierten und aufgeregten Politiker wahrgenommen, der sich über alles ärgert und ständig mit dem Kopf zuckt.

Kurz agiert hier ungleich stabiler. Obwohl die ÖVP-Inhalte jenen der FPÖ mitunter sehr ähnlich sind, vertritt sie der ÖVP-Chef deutlich harmonischer.

Gab's auch seitens Ulrike Lunacek, Matthias Strolz und Peter Pilz "bewegende Momente"?

Ulrike Lunacek ist schon einmal durch ihre weiße Kleidung in Erscheinung getreten. Auch Textilien spielen ja bei der Körpersprache eine nicht unbedeutende Rolle.

Peter Pilz, der sich gestern ja ganz in Schwarz präsentierte, wird sich, sollte er den Einzug ins Parlament schaffen, wohl das eine oder andere weiße Hemd kaufen.

Auffällig war auch das häufige Lachen der Grünen-Spitzenkandidatin, wenngleich dieses oft ein rein zynisches war. Allerdings windet sie, wenn sie angesprochen wird, häufig ihren Kopf weg, um die anderen nur aus den Augenwinkeln ansehen zu müssen.

So etwas wirkt skeptisch, verriet gestern aber auch, dass sie vorab bereits mit Widerstand rechnete.

Matthias Strolz wiederum stand am gestrigen Abend zwar immer schön aufrecht da, ihm fehlt aber oft ein wenig das Selbstverständliche in seiner Körpersprache. Er ist zwar diesbezüglich ein großes Talent, glaubt aber offenkundig, die eigenen Gesten noch toppen zu müssen.

Nach der Frage nach den Sozialleistungen für Ausländer, für die er sich aussprach, hatte er aber einen grandiosen Moment: Er wurde laut, ließ sich kaum bremsen und erinnerte in seiner Körpersprache an die FPÖ-Aschermittwochsreden, ohne dabei die Aggressivität der blauen Politiker an den Tag zu legen. Hierfür erntete der NEOS-Chef auch großen Applaus.

Und wer hat Sie unterm Strich gestern am meisten überzeugt?

Matthias Strolz ob dieses Moments, Heinz-Christian Strache wegen seiner deutlichen Gestik sowie Peter Pilz, dessen entschleunigtes Auftreten einen willkommenen Kontrapunkt setzte.

Ich möchte aber noch einen kleinen Appell an die Medien richten: Wir wollen "Alphatiere" von oben bis unten sehen, also deren ganzen Körper. Schon in der Evolution wurden sie danach ausgewählt, ob sie ruhig wirken und auch genug Sicherheit versprechen.

Sieht man die Spitzenkandidaten nur bis zur Brust, gehen einfach viele mögliche Erkenntnisse verloren – nicht nur für mich als Körpersprache-Experten, auch für die Wähler.

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