Die jüngsten Enthüllungen um eine Schmutzkübelkampagne gegen Sebastian Kurz sind der Super-GAU im Peiten-, Pech- und Pannenwahlkampf der SPÖ. Das Rennen um Platz eins scheint gelaufen. Und genau das ist die letzte Chance für Christian Kern: Eine "Jetzt erst recht"-Stimmung zu erzeugen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Man kann es so sehen: Georg Niedermühlbichler ist ein Ehrenmann. Obwohl er – wie enge Vertraute des zurückgetretenen SPÖ-Bundesgeschäftsführers und Kampagnenleiters glaubhaft versichern – nichts von der inakzeptablen Schmutzkübelkampagne gegen den ÖVP-Spitzenkandidaten wusste, nahm er am Samstag den Hut.

Mehr aktuelle News

Die Facebook-Seiten "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" und "Wir für Sebastian Kurz", über die auch antisemitische und rassistische Botschaften vermittelt wurden, verurteilte Niedermühlbichler scharf. Er übernahm persönlich die Verantwortung für eine Sauerei, von der er nichts wusste.

Weiß der SPÖ-Kopf nicht, was die Hand tut?

Es gibt aber auch eine andere, weniger positive Deutungsmöglichkeit: Der Bundesgeschäftsführer der SPÖ wusste nicht, was in seiner eigenen Partei geschieht – mit Geldern aus der Parteikasse.

Er war als Wahlkampfleiter von Bundeskanzler Christian Kern dafür verantwortlich, dass die Sozialdemokraten einen Spin doctor mit üblem Leumund engagierten, einen Spezialisten für derbe Anwürfe gegen politische Gegner. Niedermühlbichler mag moralisch einwandfrei sein. Aber er hat seinen Job schlecht gemacht.

So oder so: Politologen und Meinungsforscher werten die jüngsten Enthüllungen über die SPÖ-Kampagne als Debakel für die ins Trudeln geratene Kanzlerpartei.

Peter Hajek bezeichnete sie im Gespräch mit der APA als "Super-GAU". Auch OGM-Chef Wolfgang Bachmayer sieht das Rennen um Platz eins bei der Nationalratswahl als gelaufen an.

Vom Hoffnungsträger zum Wackelkandidaten

Gerade einmal eineinhalb Jahre ist es her, seit Christian Kern die Führung in Regierung und Partei übernommen hat. Damals wurde Kern als riesiger Hoffnungsträger gefeiert, sogar im Ausland schwärmte man von dem telegenen Manager, der Klartext sprach und aussah wie Humphrey Bogart.

Nun steht die Partei vor der größten Niederlage ihrer Geschichte: Jüngste Umfragen sehen sie sogar auf Platz drei, hinter der FPÖ, mit deutlich unter 25 Prozent.

Noch im Jänner hatte Kern alle Trümpfe in der Hand. Mit seinem Plan A hatte er eine mehrheitsfähige Zukunftsvision für das Land präsentiert.

Als sich die damals taumelnde ÖVP quer stellte, hätte er Neuwahlen ausrufen müssen. Diese Chance hat Kern verpasst. Und seither läuft es für die Sozialdemokraten wie verhext, während Kerns Herausforderer, der junge Außenminister Sebastian Kurz nichts falsch machen kann.

Erst das quälend lange Ringen um eine Formel für den Wahlkampf: Lieber auf rechte Themen wie Sicherheit setzen? Oder auf den Plan A, der eine differenzierte Vision einer neuen Sozialdemokratie entwirft: offen für Neues, wirtschaftsnah, flexibel? Am Ende setzte man doch auf Bewährtes, den Klassenkampf: "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht."

Kurz darauf wurde bekannt, dass sich der Chefberater der SPÖ, Tal Silberstein, in Israel wegen Korruption verhaftet wurde. Er habe sich, höhnten politische Gegner, geholt, was ihm zustand.

Dann kam ein peinliches Psychogramm des Kanzlers an die Öffentlichkeit: Er sei eitel und leicht beleidigt, habe keine klare Linie. Kern sagte ein Interview mit der Zeitung "Österreich", die das Papier veröffentlicht hatte, ab.

Zuletzt kam die Sache mit den falschen Facebook-Gruppen. Wie will eine humanistische, linke Partei ihren Wählern erklären, dass sie im Zweifel selbst vor menschenverachtender Polemik nicht zurückschreckt?

Schlimmer geht nimmer

"Ich frage mich, was noch schiefgehen kann", sagt ein hochrangiger SPÖ-Wahlkämpfer im Gespräch mit unserer Redaktion. "Schlimmer kann es jetzt nicht mehr werden."

Hat die SPÖ noch eine Chance, bei der Wahl in zwei Wochen vorne zu liegen? Es gibt wenige rote Spitzenfunktionäre, die noch daran glauben.

Nationalratswahl am 15. Oktober Wissen Sie schon, wen Sie bei der Nationalratswahl wählen?
Ihre Anfrage konnte leider nicht bearbeitet werden.
  • A
    Ja, ich bin fest entschlossen.
  • B
    Noch nicht ganz, aber ich habe eine Tendenz.
  • C
    Nein, ich werde mich erst entscheiden.
  • D
    Ich bin noch völlig unschlüssig.
  • E
    Ich gehe nicht zur Wahl

Und das ist das vielleicht größte Problem der Sozialdemokraten im Endspurt des Wahlkampfes. Denn eine winzige Chance gebe es vielleicht tatsächlich noch.

Alle Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der Wähler immer noch unentschlossen ist.

Die Menschen sind in ihrem Stimmverhalten flexibler geworden, es gibt immer weniger Stammwähler, die ihr Kreuz grundsätzlich nur bei einer Partei machen. Viele entscheiden sich erst in der Wahlurne. Noch ist also nicht alles verloren.

In den nächsten zwei Wochen stehen wichtige TV-Diskussionen an. Vor allem die Duelle Kurz gegen Kern werden mit Spannung erwartet. Hier könnte der Kanzler mit einem guten Auftritt einiges wettmachen.

Es wäre nicht die erste Wahl, die sich auf den letzten Metern entscheidet. Gelingt es Kern, die eigene Basis zu motivieren und eine "Jetzt erst recht"-Stimmung zu erzeugen, dann könnte der Wahlabend in zwei Wochen vielleicht doch noch überraschend werden.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.