SPÖ-Chef Christian Kern hatte für die Nationalratswahl alle Trümpfe in der Hand. Bloß anfangen konnte er damit wenig - und hat mit hoher Wahrscheinlichkeit verspielt. Das Engagement des nunmehr verhafteten Tal Silberstein ist nicht der einzige Fehler, den sich die SPÖ im Wahlkampf schon geleistet hat.
Die Netflix-Serie "House of Cards" skizziert die amerikanische Innenpolitik als ausgetüfteltes Machtspiel voller skrupelloser Intrigen, Bluffs und unerwarteter Finten. Held der Serie - die häufig für ihre Realitätsnähe gelobt wird - ist der ebenso ölige wie skrupellose Instinktpolitiker Frank Underwood, der es auch in aussichtslosen Situationen zuwege bringt, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Die Machtkämpfe um das weiße Haus werden als ein hochkompliziertes Nervenspiel dargestellt - Poker deluxe.
Nun lässt sich das Bundeskanzleramt am Ballhausplatz kaum mit dem Weißen Haus vergleichen. Innenpolitik hat hierzulande wenig mit Machtpoker zu tun, es ist mehr wie Schnapsen. Und
SPÖ schien sich gerade zu fangen
Gerade schien es, als nehme der SPÖ-Wahlkampf Fahrt auf. Wochenlang hatten die Sozialdemokraten erbittert um eine Linie gerungen, nach einer Formel gegen ÖVP-Überflieger
Linker Populismus gegen die rechtsliberalen Töne der Volkspartei, die auch dank der großzügigen Spenden schwerreicher Unternehmer über eine üppig gefüllte Wahlkampfkasse verfügt. Gerade dort wollte man angreifen und Kurz als Freund der Superreichen brandmarken, dessen Kanzlerschaft Wenig- und Nichtsoviel-Verdiener zu fürchten hätten.
Kurzfristig schien die Strategie zu greifen. Dann platze die Bombe: Einer der einflussreichsten Kanzler-Berater, der israelische Spindoctor Tal Silberstein, wurde in Israel verhaftet.
Ihm wird Geldwäsche im großen Stil vorgeworfen, zudem Untreue und Behinderung der Justiz. Medienberichten zufolge stand Silberstein unter anderem auf der Payroll des undurchsichtigen Milliardärs Beny Steinmetz, der enge Verbindungen zur rechten Szene in seinem Heimatland haben soll.
ÖVP nutzt den Fall Silberstein für sich
Die ÖVP nutzt den Fall Silberstein für ihre eigenen Zwecke und fragt: Wie will eine Partei, die einen wie Silberstein im innersten Kreis duldet, glaubwürdig das Thema Gerechtigkeit propagieren?
Die schwarze Generalsekretärin Elisabeth Köstinger warf die Frage auf, wie es um die Wahlkampffinanzierung der Sozialdemokraten bestellt sei: Ob Silberstein auch da seine Finger im Spiel hatte, indem er über dunkle Kanäle Geld aufgetrieben habe?
Köstingers SPÖ-Widerpart Georg Niedermühlbichler versicherte umgehend , die Vorwürfe seien aus der Luft gegriffen. Einfach so entkräften lassen sie sich jedoch nicht. Immerhin ermittelt auch das FBI gegen Tal Silberstein.
Und damit wendet sich die scheinbare Wunderwaffe der Sozialdemokraten gegen sie selbst: Sie werden sich hüten müssen, das Thema Wahlkampffinanzierung - eine mögliche Achillesferse der Konservativen - groß zu thematisieren.
Christian Kern hat ein gutes Blatt verspielt
SPÖ-Chef Kern braucht Glück, um das Blatt vor der Wahl am 15. Oktober noch einmal zu wenden. Und das obwohl er, um beim Schnapsen zu bleiben, zu Jahresbeginn mit einem exzellenten Blatt gestartet war. Sozusagen mit einem Vierziger und einem Trumpf-As in der Hand.
Jeder, der Karten spielt, hätte ihm sagen können, was dann zu tun ist: zudrehen. Aber Kern zögerte und machte den ersten in einer Serie von Fehlern.
Zu Jahresbeginn trieb der rote Bundeskanzler seinen ungeliebten Koalitionspartner vor sich her. Seine Rede zum "Plan A" - einer mutigen und in der Bevölkerung mehrheitsfähigen Ansage zu einem umfassenden Reformprogramm - erwischte die in sich zerstrittene Volkspartei unter Reinhold Mitterlehner kalt.
Kern hatte die öffentliche Meinung hinter sich, er hätte den Koalitionspartner vor die Wahl stellen können: Umsetzen oder Neuwahlen. Doch im entscheidenden Moment fehlte dem Kanzler das Durchsetzungsvermögen.
Ohne Notwendigkeit einigte er sich mit der ÖVP auf einen lauwarmen Kompromiss, wenige Reförmchen und Absichtserklärungen, die nach wenigen Tagen verpufften.
Unentschlossenheit hat Kern seither mehrfach an den Tag gelegt. Den vielleicht größten Fehler machte er, nachdem Kurz die ÖVP übernommen hatte und Neuwahlen ausrief - wogegen sich Kern zuvor vehement gewehrt hatte.
SPÖ zauderte lang hinsichtlich der FPÖ
Wochenlang beschäftigen sich die Sozialdemokraten mit der Frage, wie sie es mit den Freiheitlichen halten sollen. Am Ende einigten sich die Genossen auf ein "Ja, aber."
Währenddessen umgarnte Kurz die Rechtspopulisten, die lange Zeit auf eine Partnerschaft mit der SPÖ gespitzt hatten und von den Konservativen nichts wissen wollten.
Kern hat mit einem roten Grundprinzip - keine Partnerschaft mit der rechten FPÖ - gebrochen. Gebracht hat es ihm nichts. Denn nun turtelt die FPÖ mit Kurz.
Auch thematisch schlingerte die Kanzlerpartei. Erst verwahrte sich Kern gegen die harte Linie von Kurz in der Asylpolitik ("Vollholler"), um dem Außenminister wenige Tage später doch Recht zu geben. Eine Weile versuchte Kern, seine SPÖ mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil als "Sicherheitspartei" zu positionieren, Stimmungsmache gegen Flüchtlinge inklusive. Dann wurde beschlossen, das Thema Migration weitgehend auszublenden.
Dann verlor Kern Ende Juli seinen Kampagnenmanager für die Nationalratswahl: Stefan Sengl zog sich nach eigenen Angaben aus persönlichen Gründen zurück. Gerüchte über interne Querelen wollte er "nicht bestätigen".
Silberstein-Affäre kommt wenig überraschend
Und auch die Affäre um Tal Silberstein kommt nicht überraschend. Seit mehr als einem Jahr trommeln FPÖ und ÖVP gegen den umtriebigen Berater, gegen den seit längerem ermittelt wird.
Die SPÖ blendete das Thema anscheinend aus, obwohl auch die israelische Staatsanwaltschaft ermittelte. Kern trennte sich erst jetzt von Silberstein - nachdem dieser bereits hinter schwedischen Gardinen sitzt.
Kann die SPÖ das Ruder herumreißen? Ausgeschlossen ist es nicht: Bis zur Wahl sind es noch fast zwei Monate. Aber es gibt nur leise Hoffnung.
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