Auch wenn SPÖ und ÖVP nun getrennte Wege gehen: Beide Parteien halten sich noch an die Vereinbarung, einander nicht zu überstimmen. Denn an einem Rosenkrieg ist derzeit keiner der beiden Parteien gelegen.
Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten. Das gilt auch, wenn sich die beiden Vertragspartner nicht mehr riechen können. Daher hat der SPÖ-Klub im Parlament am Donnerstag einstimmig gegen einen Antrag der Grünen gestimmt, den die Roten liebend gern unterstützen würden: Die Einführung der Homoehe. Die Koalition ist gesprengt, aber ein Eckpunkt des Koalitionsvertrag vorerst gültig: Man überstimmt einander nicht.
Dass sich die SPÖ die Zustimmung zu einer Aufwertung des rechtlichen Standes gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften – auf die viele Genossen seit Jahren drängen – mühsam verkneift, hat freilich auch mit Taktik zu tun. Würden die Roten das Nichtüberstimmungs-Gebot zuerst brechen, hätte die ÖVP freie Hand, gemeinsam mit den beiden Rechtsparteien FPÖ und Team Stronach eine Fülle an Gesetzen zu verabschieden, die den Sozialdemokraten gar nicht schmecken: Verschärfungen im Fremdenrechts- und Asylbereich und härtere Gesetze in der Gesellschaftspolitik.
SPÖ will Schwarzen nicht allzu sehr reizen
Ausgerechnet der rechtskonservative Blogger Andreas Unterberger bringt das Dilemma der Roten auf den Punkt: Kern müsse akzeptieren,"dass im Parlament ja eine eindeutig rechte Mehrheit besteht. Die jederzeit aktivierbar ist, sobald sich die ÖVP nicht mehr an den Koalitionspakt halten muss." Die SPÖ - durch die Ereignisse der letzten Tage eindeutig in die Defensive geraten – tut also gut daran, die Schwarzen auch nach der mehr oder weniger einvernehmlichen Scheidung nicht allzu sehr zu reizen. Daher ist demnächst wohl im Parlament mit keinen großen Überraschungen zu rechnen – zumindest was Gesetzesvorhaben betrifft.
Koalition zieht Lehre aus dem Sommer 2008
Mit einem völlig "freien Spiel der Kräfte" ist auch aus einem anderen Grund nicht zu rechnen. Rot, Schwarz und NEOS haben sich auf einen "Pakt der Verantwortung" geeinigt: Keine der drei Parteien wird demnach einem Gesetz zustimmen, dass der Republik maßgebliche Mehrkosten aufbürdet. Die Parteien ziehen eine Lehre aus der letzten Periode, als kurz vor Wahlen im Parlament das Spiel der Kräfte herrschte. Damals, im Sommer 2008, wurden mit wechselnden Mehrheiten handstreichartig die Studiengebühren abgeschafft, teure Zuckerln für Pensionisten beschlossen und die umstrittene Frühpension für Schwerarbeiter (Hacklerpension) ohne große Diskussionen verlängert. Das kostete Milliarden.
Mit oder ohne Koalition werden SPÖ und ÖVP also wohl in den kommenden Monaten Teile des Regierungsprogramms abarbeiten. Dazu gehört etwa die Förderung gemeinnütziger Arbeitsplätze für Über-50-Jährige, die grundsätzlich außer Streit steht. Offen ist allerdings die Frage der Finanzierung – hier dämpft Finanzminister Hans-Jörg Schelling allzu hohe Erwartungen. Dass wie von der SPÖ gewünscht 200 Millionen Euro fließen, ist eher unwahrscheinlich.
Eher außer Streit stehen auch steuerliche Erleichterungen für Selbstständige sowie ein Ausbau der Primärversorgung – also der Zuständigkeiten von Hausärzten in der Gesundheitsversorgung. Auch die Abschaffung der kalten Progression ist beiden Ex-Koalitionären ein Anliegen und dürfte noch beschlossen werden.
Dazu kommt eine Reihe von de facto bereits beschlossenen Änderungen wie einer Verschärfung des Fremdenrechts (höhere Strafen bei Asylmissbrauch, mehr Schubhaft) sowie des Versammlungsrechts (mehr Videoüberwachung). Beides sind ÖVP-Anliegen, denen die Roten bereits zugestimmt haben.
Kein rot-schwarzer Rosenkrieg in Sicht
Auch heute Mittwoch wurden im Parlament zuvor vorbereitete Gesetze verabschiedet - darunter eine von der ÖVP gewünschte Reform des Wirtschaftskammergesetzes.
Zumindest in Ansätzen funktioniert die rot-schwarze Partnerschaft also derzeit noch. Derzeit ist keiner der beiden Parteien an einer Eskalation gelegen. Sollte freilich im Zuge des rot-schwarzen Rosenkrieges einer der beiden Ex-Partner den Fehdehandschuh aufnehmen und den anderen überstimmen, gilt tatsächlich das freie Spiel der Kräfte. Derzeit sieht es nicht danach aus. Aber angesichts der Ereignisse der vergangenen Tage, sind Prophezeiungen schwierig.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.