Berlin - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist krachend gescheitert und seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU/CSU) deutlich unterlegen: Deutschland steht knapp vier Monate nach dem Bruch der Ampel-Koalition vor einem Regierungswechsel. Was die Ergebnisse der Bundestagswahl bedeuten:
Wer ist der große Sieger?
Die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten
Wer ist der klare Verlierer?
Kanzler
Wer wird dafür geradestehen?
In erster Linie Olaf Scholz als Kanzlerkandidat. Seine Tage als Regierungschef sind gezählt. Der 66-Jährige räumte in einer ersten Reaktion im Willy-Brandt-Haus die Wahlniederlage ein und übernahm Verantwortung dafür. Sein Amt werde er "bis zum letzten Tag ausüben", sagte er. Er machte aber auch deutlich, dass dann Schluss ist: "Jetzt ist es an anderen, den Weg zu suchen, wie eine Regierung gebildet werden kann." Er selbst werde bei Koalitionsgesprächen nicht als Verhandlungsführer der SPD auftreten, sagte er in der "Berliner Runde".
Gibt es noch weitere Konsequenzen in der SPD?
Das ist noch unklar. Parteichef
Was ist mit den anderen Ampel-Parteien?
Die zerbrochene Ampel-Koalition hat vom Wähler die Quittung für drei Jahre Dauerstreit bekommen: 2021 kamen SPD, Grüne und FDP zusammen noch auf 52 Prozent, jetzt sind es nicht einmal 33 Prozent. Die FDP lag 2021 noch bei 11,4 Prozent und scheidet nun wohl aus dem Bundestag aus. Die Grünen sacken von 14,7 auf 11,8 bis 12,0 Prozent ab.
Wer hat sonst noch gewonnen?
Die AfD hat ihr Ergebnis von 10,4 Prozent auf 20,5 bis 20,6 Prozent etwa verdoppelt. Noch nie war eine vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextremistisch eingeschätzte Partei so stark im Bundestag vertreten. Koalieren will aber weiter niemand mit ihr. Auch Wahlsieger Merz, der zuletzt mit Hilfe der AfD einen Migrationsbeschluss im Bundestag erreichte, ist um Eindeutigkeit bemüht. Seine Absage sei "endgültig", bekräftigte er schon vor der Wahl.
Was ändert sich durch das Ergebnis der AfD?
Die AfD ist bei der Wahl zur zweitstärksten Partei geworden und wird damit wie 2017 bis 2021 wieder stärkste Oppositionskraft im Bundestag. Das hat nicht nur symbolische Bedeutung. Die AfD wird künftig zuerst auf Regierungserklärungen antworten und die Generaldebatten zum Haushalt eröffnen. Eine wichtige Marke hat sie nicht erreicht: Sie wird weniger als ein Viertel der Abgeordneten im Bundestag stellen und kann damit weder Untersuchungsausschüsse im Alleingang einsetzen noch Grundgesetzänderungen blockieren.
Wer ist die große Überraschung?
Die Linke hatten viele schon abgeschrieben. Nach den Erfolgen des BSW von
Welche Regierungskoalitionen sind denn möglich?
Die große Frage ist zunächst: Kommt die Union bei der Regierungsbildung mit nur einem Koalitionspartner aus oder braucht sie zwei, um auf eine Mehrheit zu kommen? Nach den Hochrechnungen ist das zunächst unklar - vor allem weil am Wahlabend lange offen bleibt, ob das BSW in den Bundestag kommen.
Mit wem würde Merz am liebsten regieren?
Die erste Wahl für die Union und Merz wäre ein Zweierbündnis mit der SPD. Eine Koalition mit den Grünen will die CSU vermeiden, ihr Chef Markus Söder schließt dies aber nicht aus. Er wolle Merz nichts vorgeben, aus Sicht der CSU sei aber ganz eindeutig: "Eine Regierung ohne die Grünen ist eine bessere Regierung". Rechnerisch wäre sie wohl auch nicht möglich, selbst wenn FDP und BSW draußen bleiben.
Passen Union und SPD zusammen?
Ein Selbstläufer würde das nicht. Die SPD stellt Merz seit seinem umstrittenen AfD-Manöver im Bundestag als einen Mann dar, dem man nicht trauen kann. Allerdings will man ihn auch nicht in die Arme der AfD treiben. In den Kernfragen Wirtschaftspolitik und Migration stünden sehr harte Verhandlungen an. Merz will in beiden Feldern einen echten Politikwechsel. Die massiv geschwächte SPD hat aber ein Druckmittel: Die Basis wird dem Verhandlungsergebnis auf einem Parteitag oder einem Mitgliedervotum zustimmen müssen. Parteichef Klingbeil betont bereits, Verantwortung übernehmen könne die SPD auch aus der Opposition.
Was ist, wenn es keine Mehrheit für ein Zweierbündnis gibt?
Dann gibt es nur noch eine Option: eine Kenia-Koalition von Union, SPD und Grünen. Dann säßen in der Opposition AfD, Linke und eventuell das BSW - allesamt keine Parteien der demokratischen Mitte.
Wie lange wird die Regierungsbildung dauern?
Merz wünscht sich, dass die Regierung bis Ostern steht. Bis Gründonnerstag sind es 54 Tage. Machbar ist das, aber auch ambitioniert. Sollte es bei der SPD zu einem Mitgliedervotum kommen, ist es ziemlich unrealistisch.
Wie war es denn bei früheren Wahlen?
Die Rekordzeit von der Wahl bis zur Vereidigung des Kabinetts liegt bei 23 Tagen: Sowohl Willy Brandt (SPD) 1969 als auch Helmut Kohl (CDU) 1983 einigten sich in dieser kurzen Zeit mit der FDP. 2017 brauchte Angela Merkel (CDU) dagegen 171 Tage, also fast ein halbes Jahr, bis sie mit einer schwarz-roten Regierung in ihre vierte und letzte Amtszeit als Kanzlerin starten konnte. Der Grund war das zwischenzeitliche Scheitern der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition von CDU/CSU, Grünen und FDP.
Warum ist der Zeitdruck diesmal besonders groß?
Weil die Welt gerade in dramatischer Weise neu geordnet wird. Während Deutschland sich sortiert, wird US-Präsident Donald Trump demnächst mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Zukunft der Ukraine verhandeln. Die EU steht hilflos und zerstritten daneben. Und Deutschland hat einen Kanzler auf Abruf. Auch wichtige innenpolitische Entscheidungen etwa zur Ankurbelung der Wirtschaft bleiben mindestens bis April oder Mai liegen. Vielleicht sogar noch länger.
Wie funktioniert das Regieren in der Übergangszeit?
Scholz bleibt zwar bis zur Vereidigung einer neuen Regierung im Amt. Wenn der neue Bundestag erstmals zusammenkommt, ist er aber nur noch geschäftsführender Kanzler - ohne Macht. Scholz wird weiter internationale Termine wahrnehmen, zu Gipfeln fliegen. Aber wichtige Entscheidungen kann er nicht mehr ohne Absprache mit Merz treffen.
Was wird aus Olaf Scholz nach seiner Kanzlerschaft?
Scholz hat schon vor der Wahl klar gesagt, dass er einer Regierung eines Kanzlers Merz nicht angehören wird. Seine politische Karriere ist wahrscheinlich trotzdem nicht ganz beendet. Scholz hat seinen Wahlkreis in Potsdam gewonnen, für diesen Fall hatte er erklärt, bis zur nächsten Wahl im Bundestag bleiben zu wollen. "Das höchste Amt, in das man in Deutschland direkt gewählt werden kann, ist das des Abgeordneten im Deutschen Bundestag", sagt er.
Was wird aus Robert Habeck?
Eine Beteiligung der Grünen an der Bundesregierung ist nach den Hochrechnungen nur in einer Dreierkoalition möglich. Käme es zu solchen Gesprächen, wird der Grünen-Kanzlerkandidat mitverhandeln. Ein Ministeramt wäre ihm im Erfolgsfall praktisch sicher. Gehen die Grünen in die Opposition, ist völlig unklar, was aus Habeck wird. Zu den wenigen attraktiven Ämtern, die noch zu vergeben sind, gehört der Fraktionsvorsitz. Hier hat Annalena Baerbock aber die deutlich besseren Karten und einen zweiten Realo an der Spitze werden die Parteilinken nicht akzeptieren. Auch ein Rückzug Habecks ins Private gilt als möglich.
Was wird aus Christian Lindner?
Der FDP-Chef beendet seine politische Karriere. "Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus", schrieb Lindner auf der Plattform X. Gut möglich, dass er sich jetzt erstmal der Familie widmet - schließlich ist sein erstes Kind unterwegs - und dann einen Job in der Wirtschaft anstrebt.
Was wird aus Sahra Wagenknecht?
Die BSW-Gründerin hat mehrfach erklärt: "Die Wahl ist natürlich auch die Entscheidung über meine politische Zukunft." Wer nicht im Bundestag sitze sei "in der deutschen Politik kein relevanter Faktor mehr". Sollte sie sich bei einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zurückziehen, wird es auch für das erst 2024 gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht schwierig - obwohl das BSW im Europaparlament und in drei Landesparlamenten sitzt und in Thüringen und Brandenburg auch in der Regierung. © Deutsche Presse-Agentur
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