Amtsinhaberin Angela Merkel und ihre SPD-Widersacher zieren sich: Keiner will sich frühzeitig zur Kanzlerkandidatur 2017 bekennen. Alle warten gespannt, wer seinen Hut vor der Bundestagswahl 2017 zuerst in den Ring wirft. Warum verläuft das Kanzlerrennen eigentlich so zäh?

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Anfang Dezember könnte es endlich soweit sein. Auf dem CDU-Bundesparteitag in Essen (5. bis 7.12.) wird sich Angela Merkel vermutlich zu ihrer Kandidatur für die Bundestagswahl 2017 äußern.

Die Debatte um die K-Frage geht allmählich in die entscheidende Phase. Auch die SPD wird eine Entscheidung nicht mehr allzu lange hinauszögern wollen.

Doch wer wird Kanzlerkandidat? Parteichef Sigmar Gabriel? Außenminister Frank-Walter Steinmeier? Oder doch Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments?

Keine der beiden Volksparteien hat sich bisher entschieden, der absolute Wille zur Macht scheint zu fehlen. "Keiner will Kanzler" könnte das Motto anno 2016 lauten.

Merkel als natürliche Kandidatin

In Reihen der CDU/CSU kann es eigentlich nur eine natürliche Kandidatin geben: Amtsinhaberin Angela Merkel, die seit 2005 das Land nüchtern-pragmatisch regiert.

Trotz der Flüchtlingskrise, trotz des permanenten Kanzler-Bashings der CSU, trotz des steigenden Merkel-Verdrusses in der Bevölkerung liegt die Union in Umfragen stets an der Spitze.

Merkels Beliebtheitswerte sind im Vergleich zu ihren Glanzzeiten gesunken, aber immer noch stabil. Einen ernstzunehmenden Konkurrenten in den eigenen Reihen gibt es nicht.

Wäre da nicht der Widerstand aus Bayern, wo sich CSU-Chef Horst Seehofer monatelang in Schimpftiraden gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung erging, hätte Merkel wohl schon längst die Signale auf ihre vierte Kandidatur gesetzt.

Im "Spiegel" wich Seehofer zuletzt der Frage aus, ob er sich freuen würde, wenn Merkel den 16-jährigen Kanzlerrekord von Helmut Kohl knackt.

Schäuble als Reservekandidat

Doch auch den Christsozialen wird bewusst sein, dass ein gutes Gesamtergebnis mangels personeller Alternativen am ehesten mit Merkel zu holen sein wird. Zumal sie - trotz bestehender Differenzen - in der Flüchtlingsfrage mit Gesetzesverschärfungen des Asylrechts längst auf den CSU-Kurs eingeschwenkt ist.

"Die CSU wird nichts tun, was das Gesamtergebnis der Union gefährden könnte", sagte der Politologe Jörg Siegmund kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion. "Der bayerische Löwe brüllt gut, aber er ist auch schlau und kann Kreide fressen."

Ob die CSU demnach einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellt, wie vom früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ins Spiel gebracht, scheint aktuell unwahrscheinlicher denn je.

Sollte Merkel angesichts der Querelen mit dem Koalitionspartner doch die Lust an der Spitzenpolitik verlieren, stünde Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als Übergangskanzler zur Verfügung.

Schäuble sei der kurzfristige "Reservekandidat, sollte Frau Merkel was passieren oder es wirklich krachen in der Bundespolitik", erklärte der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich von Alemann im Gespräch mit unserer Redaktion. Für andere CDU-Granden wie Ursula von der Leyen oder Thomas de Maizière käme das Amt zu früh.

Die drei Fragezeichen der SPD

In Reihen der SPD ist die Konstellation deutlich komplexer als in der Union, wo es auf Merkel hinauslaufen dürfte. Spötter sprechen von den "drei Fragezeichen".

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel besitzt als Parteichef und Vize-Kanzler das erste Zugriffsrecht. Der impulsive Gabriel ziert sich angesichts mieser Umfragewerte seiner Partei und seiner geringen Beliebtheit unter den Genossen davor, von diesem Anspruch Gebrauch zu machen. "Über alle Flügel und Landesgruppen hinweg gibt es eine breite 'Bloß nicht Gabriel'-Bewegung", sagt ein einflussreicher Abgeordneter dem "Spiegel".

Parteiintern ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier deutlich beliebter als Gabriel. Nur: Steinmeier wird zusehends als Kandidat für die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck gehandelt.

Wie der "Spiegel" weiter schreibt, soll die parteiinterne Zustimmung für EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gestiegen sein. Schulz gilt wie Gabriel als mitreißender Redner, verkörpert aber mehr als sein wankelmütiger Konkurrent die klassischen Werte der Sozialdemokraten.

Schulz weckt darüber hinaus bei vielen Anhängern Hoffnungen: Er hat als leidenschaftlicher Europäer für das EU-Parlament in Straßburg neuen Einfluss erobert. Erfolgsgeschichten sind für die SPD in den vergangenen Jahren rar gesät.

Entscheidung erst im Frühjahr?

Wie geht es nun in den kommenden Monaten weiter? Wie lange kann die SPD die K-Frage noch offen halten? Bislang gilt das Wort von Gabriel. Der Parteichef erklärte, so lange Angela Merkel nicht über eine erneute Kandidatur entschieden habe, stehe die SPD nicht unter Druck.

In Wahrheit wächst der Druck auf ihn selbst. "Was macht Gabriel?", fragte die FAZ unlängst. "Das ist die Frage, die alles andere entscheidet."

Es wäre im Übrigen sogar möglich, dass sich das Gezerre noch länger hinzieht. Gerüchten zufolge könnte Merkel ihre Entscheidung bis zum Frühjahr 2017 vertagen, wenn der Streit mit der CSU bis Endes des Jahres nicht beigelegt ist.

Keiner will Kanzler - dieses Motto könnte also noch eine ganze Weile gelten.

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