Die Christdemokraten mussten bei der Europawahl deutliche Verluste verzeichnen. Dennoch gibt sich CSU-Politiker und Spitzenkandidat Manfred Weber selbstsicher und meldet seinen Führungsanspruch an. Wie realistisch ist das und wie hart ist die Konkurrenz?

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Es muss eine kurze Nacht für Manfred Weber gewesen sein. Doch der wenige Schlaf ist ihm nicht anzumerken. Nur ein paar Stunden nach dem historisch schlechten Abschneiden der Union und den Einbußen seiner EVP gibt sich der CSU-Politiker am Montagmorgen selbstbewusst.

Strahlender Gewinner sei seine christdemokratische Parteienfamilie bei der Europawahl zwar nicht geworden. Er sehe jedoch einen "Führungsanspruch, den die EVP, den die Europäische Volkspartei hat", sagt er vor einer CSU-Vorstandssitzung in München.

EVP bleibt stärkste Kraft

Der Führungsanspruch gilt vor allem für Weber selbst. Er will Chef der mächtigen EU-Kommission werden. Bereits am Montagabend wollte er deshalb mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen über ein künftiges Bündnis im Parlament sprechen.

Vor allem Grüne und Liberale dürften nach ihrem Höhenflug bei der Wahl mit breiter Brust in die Gespräche gehen. Die Europäische Volkspartei (EVP) hingegen fuhr mit Weber als Spitzenkandidat ein schlechtes Ergebnis ein und verliert rund 35 Sitze. Dennoch bleibt sie die stärkste politische Kraft im Parlament.

Wer sind Webers Konkurrenten?

Offensichtlichster Gegenspieler ist der Niederländer Frans Timmermans, der für die europäischen Sozialdemokraten als Spitzenkandidat angetreten war. Allerdings hat seine Parteienfamilie noch mehr Sitze verloren als die EVP. Entsprechend "bescheiden" gab sich Timmermans in der Wahlnacht. Inhalte sollten vor Posten kommen.

Weniger modest trat die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf. In der Wahlnacht sagte sie erstmals deutlich, dass sie Kommissionspräsidentin werden wolle. Weber, Timmermans, Vestager - damit es einer von ihnen wird, müssten sich zunächst einmal die EU-Staats- und Regierungschefs darauf einigen. Denn sie haben das offizielle Vorschlagsrecht. Anschließend muss das Parlament mehrheitlich zustimmen.

Die Grünen wollen einen Spitzenkandidaten

Sven Giegold, der als Spitzenkandidat der deutschen Grünen bei der Wahl angetreten war, stellt am Montag gleich mal klar, dass seine Partei Vorschläge von Kanzlerin Angela Merkel und ihren Kollegen nicht einfach so abnicken wird: "Wir wollen, dass es ein Spitzenkandidat wird." Kandidaten, die bisher immer wieder als Alternativ-Kandidaten genannt wurden, wären somit raus. Der Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier, etwa, oder der niederländische Premier Mark Rutte.

Macron äußert sich kritisch

Kurz bevor er zurück nach Brüssel fliegt, lässt Weber am Montagmorgen noch ein wenig die Muskeln spielen. Seine Parteienfamilie werde niemanden zum Kommissionschef wählen, der nicht vorher Spitzenkandidat war. Und ohne EVP wird es keine Mehrheit im Parlament geben. Damit kommt realistischerweise nur Weber selbst infrage.

Schon an diesem Dienstag kommen die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem informellen Gipfel zusammen, um über die Postenvergabe zu beraten. Dort unterscheiden sich die Mehrheiten von denen im Parlament. Vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron sieht Weber äußerst kritisch. Im für ihn besten Fall präsentiert Weber dann also schon eine starke Mehrheit. Nach den Gesprächen am Montagabend folgt am Dienstagmorgen bereits das nächste Treffen mit Parlamentspräsident Antonio Tajani sowie den Fraktionschefs.

Sollte es zwischen den Staats- und Regierungschefs sowie dem Parlament keinen Konsens geben, droht eine monatelange Blockade. Kein Wunder, dass Weber während der Pressekonferenz in München im Kopf schon woanders ist: Im Moment sei er "hauptsächlich mit Brüsseler Gedanken beschäftigt". (awa/dpa)

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