Inzwischen sagt er es ganz offen: Wirtschaftsminister und Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck will Bundeskanzler werden. Ist das mutig oder größenwahnsinnig? Ein Gespräch über die Wirtschaftskrise, die Drohungen Donald Trumps und den Unterschied zur politischen Konkurrenz.

Ein Interview

Vor der Bundesgeschäftsstelle der Grünen sind die Temperaturen eisig. Das passt zu den Bedingungen des Winterwahlkampfs und zum Teil auch zur Stimmung, die den Grünen in Teilen der Bevölkerung entgegenschlägt.

Bundestagswahl

Robert Habeck erscheint zum Interview mit unserer Redaktion trotzdem gut gelaunt. Der Vizekanzler, Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat seiner Partei hat bei den ersten Wahlkampfterminen viel Zuspruch für seine Partei erlebt. Und er freut sich über eine "piratige Aktion", mit der er den politischen Gegner gegen sich aufgebracht hat.

Herr Habeck, Sie sind Wirtschaftsminister in der Wirtschaftskrise. Warum sollen die Leute ausgerechnet Sie zum Kanzler wählen?

Robert Habeck: Wir haben die schlimmste Krise abgewendet. Wir haben nach dem Stopp der Gaslieferungen durch Putin die Energieversorgung vor dem Zusammenbruch und Deutschland vor einer wirtschaftlichen Katastrophe bewahrt. Das ging nur, weil ich gleich nach Amtsantritt eine strategische Neuaufstellung eingeleitet habe. Und ja, die ökonomische Lage ist nicht gut, es schlagen viele Probleme, die sich über lange Jahre aufgebaut haben, zu Buche. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde zu wenig investiert, unsere Infrastruktur wurde kaputt gespart. Hinzu kam der Preisschock nach dem Verlust der russischen Gasimporte, der Export vor allem nach China schwächelt. Aber wir können uns da rausarbeiten. Wir brauchen jetzt eine große Kraftanstrengung, und ich bin bereit, sie anzuführen.

Wirtschaft hat viel mit Psychologie zu tun. Das Land wirkt verunsichert. Offenbar ist es Ihnen nicht gelungen, für mehr Optimismus zu sorgen.

Optimismus kann niemand verordnen. Die Krisen sind ja da, sie wirken sich auf den Alltag vieler aus, angefangen mit den Preissteigerungen der letzten Jahre. Zwar ist das verfügbare Einkommen der Menschen wieder gewachsen. Sie haben wieder mehr Geld im Portemonnaie, geben es aber nicht aus, weil die Unsicherheit noch da ist. Und, so ehrlich muss man sein, man kann die Probleme nicht wegzaubern. Wer das so tut, ist unehrlich. Aber man kann entscheiden, mit welcher Haltung man an die Probleme geht: den Kopf im Sand oder nach vorne schauen mit dem Willen, die Probleme zu lösen. Und so gehe ich das an. Aber ja, die Regierung hat bis zum Bruch der Ampelkoalition auch zu viel Unsicherheit ausgestrahlt. Wir haben uns permanent widersprochen, zu lange abgewartet.

Robert Habeck (Mitte) beim Gespräch mit den Hauptstadt-Korrespondenten Rebecca Sawicki und Fabian Busch. © Hannes Jung

Und das in einer ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Lage.

Wir befinden uns in einer strukturellen Krise. Seit 2018, also seit der großen Koalition, hatten wir in Deutschland kein richtiges Wachstum mehr. Es fehlen inzwischen quasi überall Arbeits- und Fachkräfte. Deutschland muss viel mutiger bei Innovationen sein. Auch das steuerliche Umfeld ist nicht attraktiv genug. Deswegen reichen die Maßnahmen aus den vergangenen Jahren nicht aus.

Was schlagen Sie vor?

Ich will steuerliche Anreize für Investitionen setzen: zehn Prozent auf alles – für die Neuanschaffung von Maschinen, Digitalisierung, Klimaeffizienzprogramme. Wir nennen es Investitionsprämie. Wenn zum Beispiel ein Handwerker oder eine Mittelständlerin investiert, kann er oder sie 10 Prozent davon von der Steuer abziehen. Junge, kleine Unternehmen, die noch keine Steuern zahlen, bekommen die Investitionsprämie dennoch. Es muss sich wieder lohnen, in Deutschland zu investieren.

Robert Habeck Interview

Energiewende, Wahl und Ukraine – Robert Habeck im Leser-Interview

Robert Habeck, Kanzler-Kandidat der Grünen beantwortet in einem exklusiven Interview mit unserer Redaktion die Fragen unserer Leser.

Faktisch ist das eine Steuersenkung. Haben Sie sich das von der Union abgeschaut?

Unser Vorschlag ist zielgerichteter. Die Union verspricht eine allgemeine Steuersenkung ohne Bedingungen. Kann sein, dass ein Unternehmen dann investiert. Kann aber auch sein, dass es das Geld erstmal auf die hohe Kante legt. Mein Ziel ist es nicht in erster Linie, die Unternehmen einfach nur reicher zu machen. Mein Ziel sind mehr Investitionen – das dient dann allen.

"Wenn man sich die Welt backen könnte, würde ich am liebsten mit der SPD regieren."

Robert Habeck

Die Grünen haben schon 2021 mit einer Koalition mit CDU/CSU geliebäugelt. Inzwischen sind die Gräben zwischen den Parteien tiefer geworden. Können Sie sich noch eine schwarz-grüne Wirtschaftspolitik vorstellen?

Wir werben für unser Programm, für unsere Überzeugung. Nach der Wahl wird man sehen, was dabei rauskommt. Wenn man sich die Welt backen könnte, würde ich am liebsten mit der SPD regieren. Das passt noch immer am besten, gerade im Bereich des Sozialen. Den Klimaschutz treiben wir allerdings stärker voran.

Allerdings sind SPD und Grüne in Umfragen meilenweit von einer Mehrheit entfernt.

Das entscheiden die Menschen in Deutschland.

Gibt es eine Entscheidung aus den vergangenen Jahren, die Sie heute anders treffen würden?

Es war ein großer Fehler, dass wir nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht mit einem großen Konjunkturprogramm auf den wirtschaftlichen Schock geantwortet haben. Wir hätten als Regierung stärker und früher dagegen ankämpfen müssen. Das war mit dieser Koalition leider nicht möglich.

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Die Grünen versprechen, das Leben bezahlbarer zu machen. Für viele Menschen ist das Leben in den vergangenen Jahren aber teurer geworden. Warum soll man ausgerechnet Ihnen dieses Versprechen abnehmen?

Weil wir schon viel gemacht haben, um das Leben bezahlbar zu machen. Der Staat hat die EEG-Umlage übernommen, wir haben das 49-Euro-Ticket eingeführt. Wir haben das Kindergeld erhöht und mehr Familien den Anspruch auf den Kinderzuschlag verschafft. Da ist viel passiert. Aber die hohe Inflation – vor allem ausgelöst durch die Energiekrise, in die Putin uns getrieben hat – belastet viele wirklich enorm. Ich höre auch bei meinen Küchentischgesprächen, wie sehr. Gerade im unteren Einkommensbereich reicht es oft einfach nicht.

Wie wollen Sie das ändern?

Die erneuerbaren Energien sorgen für mehrheitlich grünen, klimaneutralen Strom. Jetzt müssen wir ihn günstig machen. Wir wollen die Stromsteuer quasi abschaffen, und die Netzentgelte für die überregionalen Stromleitungen weitgehend übernehmen. Nach unseren Schätzungen spart eine vierköpfige Familie damit ungefähr 400 Euro im Jahr. Wenn das Deutschlandticket wieder 49 Euro kostet, spart die Familie nochmal ungefähr 400 Euro. Wir wollen die Werbungskostenpauschale anheben auf 1.500 Euro, das sind nochmal 100 bis 120 Euro pro Familie. Damit und mit weiteren Punkten kommen wir auf 1.000 Euro Entlastung pro Jahr für eine vierköpfige Familie.

Robert Habeck über Trump und Musk: "Nicht auf die leichte Schulter nehmen"

Aktuell wird viel über die notwendigen Verteidigungsausgaben gesprochen. Muss Deutschland in Zukunft mehr berappen, um dem Nato-Bündnis gerecht zu werden?

Es geht hier um unsere eigenen Interessen. Ich will, dass die Menschen hier sicher und in Frieden leben können. Deshalb müssen wir die Bedrohungslage ernst nehmen. Der russische Präsident Wladimir Putin versucht, territoriale Grenzen zu verschieben. Ihm muss klarwerden, dass er nicht damit erfolgreich sein kann, sich dieses Territorium mit vielen Menschenleben zu erkaufen. Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit stärken. Putin darf gar nicht erst wagen, uns anzugreifen.

Und die Nato-Ausgaben?

Wir sind Teil der Nato, und dieses Sicherheitsbündnis ist unser Schutz: Wir schützen einander. Es ist aber sinnvoll, dass die Nato-Staaten in der EU viel enger kooperieren und auch Großbritannien mit einschließen. Was die Ausgaben anbetrifft: Ja, wir müssen mehr Geld ausgeben für unsere Sicherheit. Sicherheit hat einen Preis. Wie hoch der ist, orientiert sich an den Bedarfen. Unsere Sicherheit wurde lange Zeit vernachlässigt. Es geht dabei nicht nur um Panzer und Fregatten, es geht auch um Cyber-Sicherheit, um Spionageabwehr und Zivilschutz.

Woher soll das Geld kommen?

Das geht nur mit Krediten. Das kann nicht durch den laufenden Haushalt finanziert werden und lässt sich nicht zusammensparen. Das ist die Unehrlichkeit der Union. Wir können nicht zulassen, dass eine finanzpolitische Regel aus einer anderen Zeit darüber entscheidet, wie unsere Sicherheit geschützt ist. Die restriktive Form der Schuldenbremse wird zur Sicherheitsbremse.

Sie sprechen von territorialen Grenzen, die verschoben werden. Auch der künftige US-Präsident Donald Trump schielt nach Grönland und Kanada.

Und nach Panama.

Nehmen Sie das ernst?

Das ist schwer vorstellbar, aber wir müssen solche Aussagen ernstnehmen, ohne uns verunsichern zu lassen. Wir dürfen das Agieren von Donald Trump und Elon Musk oder auch die Ansagen der AfD nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Konsequenz ist allerdings schon klar: Europa muss zusammenarbeiten und seine Stärke nutzen. In jedem Fall. Dänemark darf nicht allein dastehen, wenn Trump eine Drohkulisse gegenüber Grönland aufbaut. Wir in Deutschland dürfen aber auch nicht allein dastehen. Denn Trumps Drohung, hohe Zölle einzuführen, würde uns hart treffen.

Auch bei der Unterstützung der Ukraine wird Europa in Zukunft noch enger zusammenrücken müssen. Sie wollen der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefern. Haben die Grünen sich völlig von der Friedensbewegung abgewendet?

Wir haben uns entschieden, nicht dem Gesinnungspazifismus zu folgen. Das heißt: Alles, was wir tun, muss dem Frieden dienen. Wenn Russland die Ukraine – einen souveränen Staat – überfällt und sich Teile einverleiben will, dann hat die Ukraine das Recht, sich selbst zu verteidigen. Und dazu braucht sie militärische Mittel. Sie muss sich wehren können. Beim Taurus ist mein Punkt aber ein anderer.

Und zwar?

Wir haben es nicht geschafft, die Ukraine so mit Abwehrwaffen zu unterstützen, dass sie sich selbst ausreichend schützen kann. Die vielen Drohnenangriffe brechen durch die Schutzschirme. Nicht zu handeln hat auch einen Preis: Menschen sterben, Häuser und Infrastruktur werden zerstört. Deshalb meine ich, dass wir der Ukraine helfen sollen, sich besser zu schützen.

Die aktuellen Umfragewerte für Sie und Ihre Partei sehen nicht so aus, als würden Sie am Ende wirklich das Kanzleramt beziehen. Gleichzeitig haben Sie gerade mit einer Riesenprojektion auf dem Münchner Siegestor stark polarisiert. Sind Sie ein Scheinriese?

Das war eine etwas piratige Aktion, ja, aber so haben viele mitbekommen: Ich möchte Bündniskanzler werden, in die Gesellschaft ausgreifen. Wenn man der Underdog ist, muss man auch bereit sein, was Neues zu wagen.

"Herr Merz, Herr Scholz und ich sind sehr unterschiedliche Menschen."

Robert Habeck

Was würde sich unter dem Kanzler Habeck konkret verändern?

Ich will Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit und dem Wachstum der Wirtschaft verbinden und so dafür sorgen, dass sich das Land hinter dieser Jahrhundertaufgabe vereint. Ich will außerdem Europa dienend führen. Niemand wartet darauf, dass Deutschland sich hinstellt und allen von oben herab sagt: Wir wissen, wie es geht. Aber Deutschland spielt eine wichtige Rolle, damit Europa vorangeht. Und wir sprachen bereits darüber – ich werde immer darauf achten, dass alle steuerlichen Reformen und Entlastungen vor allem den Menschen helfen, die es nicht so dicke haben. Diejenigen, die sehr, sehr, sehr reich sind, müssten vielleicht über eine globale Milliardärssteuer ein bisschen mehr bezahlen.

Das klingt nach Plänen, die auch der selbsternannte Klimakanzler Olaf Scholz hatte.

Die Entschiedenheit, mit der man den Klimaschutz vorantreiben muss, ist für mich keine taktische Frage. Klimaschutz ist Menschenschutz. Deshalb habe ich auch die letzten drei Jahre den Ausbau der Erneuerbaren Energien – mit Erfolg – enorm vorangetrieben, habe den Klimaschutz auf Kurs gebracht. Die CO2-Emissionen gehen runter. Aber den Kurs müssen wir jetzt halten. Es darf keine Rückabwicklung geben. Dabei war es sicher nicht nur bequem, Klimaschutz in die Realität zu holen. Aber ich bin bei den Grünen eingetreten, weil der Erhalt der Lebensgrundlage eine zentrale politische Kategorie für mich ist. Mit großem Respekt vor dem, was die anderen Partien da machen: Bei denen ist es anders. Ansonsten sind Herr Merz, Herr Scholz und ich sehr unterschiedliche Menschen.

Inwiefern?

Ich bin mir nicht zu fein, Fehler zuzugeben, manchmal einen halben Schritt zurückzugehen und anderen Leuten recht zu geben. Ich kann Vorschläge akzeptieren, die besser sind als meine, und den politischen Mitbewerber auch mal loben. Und so unterschiedliche Interessen zusammenbringen. Ich glaube, das ist eine Stärke. Man muss dafür in sich ruhen.

Über den Gesprächspartner

  • Robert Habeck wurde 1969 in Lübeck geboren. Er studierte unter anderem Germanistik, Philosophie und Philologie in Freiburg, Roskilde (Dänemark) und Hamburg, wo er auch promovierte. Danach arbeitete der vierfache Vater als freier Schriftsteller. 2002 wurde er Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen und begann eine politische Karriere auf kommunaler, später auf Landes- und Bundesebene. Ende 2021 wurde er Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Vizekanzler.
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