Für die Union gibt es nach der Wahl nur eine einzige Option: ein Bündnis mit der SPD. Die Sozialdemokraten könnten dadurch Merz einiges abringen. Doch die Partei kämpft gegen ihren Niedergang an – und ist sich selbst noch nicht sicher, ob sie diesen Kampf in der Regierung führen kann.
"Wir haben gestern ein außergewöhnlich gutes Wahlergebnis erzielt", sagt CDU-Chef
Aus von BSW und FDP führen automatisch zur GroKo, oder?
Nach einer langen Zitterpartie, ob es die FDP und das BSW in den Bundestag schaffen oder nicht, ist seit den frühen Morgenstunden klar: beide Parteien scheitern knapp an der Fünf-Prozent-Hürde (FDP: 4,33 Prozent; BSW: 4,97 Prozent laut vorläufigem Endergebnis).
Damit wird eine Große Koalition aus Union und SPD quasi unumgänglich – denn für Schwarz-Grün reicht es nicht. 23 Sitze zu wenig hätte solch ein Bündnis für die absolute Mehrheit von 316 Sitzen. Friedrich Merz macht das nichts aus: Zusammen mit den Sozialdemokraten würde die Union auf 328 Mandate kommen. "Und genau das ist das, was wir auch wollen", sagt der CDU-Chef.
Ob das die SPD auch will? Ganz so sicher kann sich der voraussichtlich nächste Kanzler da nicht sein. Der Ball auf die Sozialdemokraten zuzugehen, liege jetzt bei Merz, sagt SPD-Chef
Genau das will Merz nun tun. Die Gespräche seien vorbereitet, einige bereits geführt. Noch am Montag wolle der CDU-Chef mit Klingbeil sprechen, auch mit Noch-Kanzler
CDU und SPD: Wie rot sind die Linien?
Die Verhandlungen dürften nicht einfach werden. Denn inhaltlich liegen Union und SPD in zahlreichen Punkten auseinander. Vor allem um das Bürgergeld dürfte es harte Verhandlungen geben. CDU/CSU würden das Prestigeprojekt von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil am liebsten komplett abschaffen. Auch eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger hat man bei der Union ins Auge gefasst. Kaum vorstellbar, dass die SPD da mitspielen würde.
Ebenso eine Reform der Ampel Wahlrechtsreform, durch welche insgesamt 19 direkt gewählte Unionskandidaten nicht in den Bundestag einziehen dürfen, hatten die Konservativen zur Koalitionsbedingung ausgerufen. Die SPD muss hingegen nur auf ein Mandat verzichten – kaum eine Motivation für eine Neuregelung.
In der Migrationspolitik gibt es ebenfalls Differenzen. "Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich", hatte Merz noch vor der Wahl postuliert und ein "faktisches Einreiseverbot" versprochen. Doch SPD-Chef Lars Klingbeil hatte im Februar just diese zentrale Forderung der Union zur roten Linie erklärt.
In den letzten Wahlkampfwochen hatten sich die Fronten zwischen Union und SPD allgemein verhärtet. Noch am Vorabend der Wahl sprach Merz von "grünen und linken Spinnern", für die er künftig keine Politik machen wolle. In der SPD reagierte man empört. Generalsekretär Matthias Miersch warf dem CDU-Chef vor "noch einmal richtig zu spalten. So spricht niemand, der Kanzler für alle sein will – so spricht ein Mini-Trump".
Die Gräben sind tief
Lars Klingbeil spricht das auf der Pressekonferenz am Tag nach der Wahl direkt an. Manche Aussagen von Merz in der letzten Zeit hätten "die Gräben zur SPD nicht flacher, sondern tiefer gemacht".
Insbesondere, dass die Union Stimmen der AfD willentlich in Kauf nahm, um einen Migrationsantrag durch den Bundestag zu bringen sehen viele Sozialdemokraten als Zäsur. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sprach von einem "Sündenfall", der die Union für immer begleiten werde – sogar das "Tor zur Hölle" habe die Union damit aufgestoßen. Olaf Scholz wurde derweil im Wahlkampf nicht müde zu betonen: Die Bürgerinnen und Bürger könnten Merz nach der Abstimmung nicht mehr trauen. Selbst eine Koalition mit der AfD traute er der Union zu.
SPD: Schwaches Ergebnis, starker Hebel
Nun hat Scholz in der Partei seit diesem Sonntag zwar nichts mehr zu sagen. Doch für das verbleibende Spitzenpersonal wäre es nicht schwer, eine Regierungsbeteiligung der SPD als Verhinderung einer Koalition zwischen Union und AfD zu verkaufen. Quasi als sozialdemokratischer Kitt in der Brandmauer.
Klingbeil schließt Schwarz-Rot am Montag auch trotz des historisch schlechten Ergebnisses ausdrücklich nicht aus. "Die Messlatte muss immer sein, was ist richtig für dieses Land." Eine der Kernaufgaben der SPD sei deshalb jetzt "schnell handlungsfähig und entscheidungsfähig" zu werden. Die Welt warte nicht auf Deutschland und angesichts der turbulenten Weltlage sei es "Aufgabe der deutschen Politik, Europa in dieser historischen Phase stark zu machen". Ähnlich hatte es auch Merz ausgedrückt.
In Europa drängt man, vor dem Hintergrund des zerbröckelnden transatlantischen Bündnisses, auf eine schnelle Regierungsbildung in Deutschland. Faktisch lässt sich das nur mit der SPD bewerkstelligen. Wie schon nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen 2017 könnte die SPD-Kritik an einer Koalition mit der Union mit dem Argument der staatspolitischen Verantwortung abtun. Das weiß auch Merz: Die SPD hat damit, trotz ihres schwachen Ergebnisses einen gewaltigen Hebel für etwaige Koalitionsverhandlungen.
Geht die Basis mit der Spitze mit?
Doch darüber schwebt noch der SPD-Mitgliederentscheid, der alles kippen könnte. Für die Parteispitze könnte dieser zur Krux werden. Denn auch wenn man sich dort bereit zeigt, alte Zwists schnell vom Tisch zu wischen – die Basis könnte das ganz anders sehen. Nicht nur, weil die letzte GroKo Spuren in der SPD hinterlassen hat.
Bis heute hadern viele in der Partei mit der Regierungsbeteiligung damals, als man sich eigentlich neu aufstellen wollte. Viele dürften das Wahlergebnis als Weckruf sehen, die Aufstellung für die Zukunft zur Priorität zu machen. Und ob das als Teil der Regierung gelingen kann?
Während Klingbeil nach oben befördert wurde und neben seiner Rolle als Parteichef auch den Fraktionsvorsitz übernehmen will, bleibt wohl auch seine Co-Vorsitzende Saskia Esken im Amt. Der Kanzler a. D. in spe will als einfacher Abgeordneter im Parlament bleiben. Konsequenzen sehen anders aus.
SPD und Union stehen vor einem Kraftakt
So oder so: Friedrich Merz hat schon vor Wochen eine geräuschlose und schnelle Regierungsbildung angekündigt. Allerdings sollen die Koalitionsverhandlungen nicht vor dem 6. März starten – aus Rücksicht auf die Karnevalsfeierlichkeiten im Rheinland; aber auch wegen der Bürgerschaftswahl am 2. März in Hamburg. Zudem sollen die Sondierungen im engsten Kreis stattfinden.
Allerdings wären das aufseiten der Union schon sechs Personen – allesamt Männer: Merz, Generalsekretär Carsten Linnemann und Fraktionschef Thorsten Frei; sowie für die CSU: Parteichef Markus Söder, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Generalsekretär Martin Huber. Die SPD dürfte dann in gleicher Mann- (und Frau-) Stärke antreten.
Für Merz ist klar: Die SPD muss mit ihm sprechen – und braucht ihn auch in gewisser Weise. "Die SPD steht einer Existenzkrise sehr, sehr nah", sagt der CDU-Chef am Montag. Als Demokrat habe Merz kein Interesse daran, dass die SPD zerspringt.
"Ich möchte, dass wir eine starke sozialdemokratische Partei in Deutschland haben, die in der Lage ist, von links zur Mitte hin zu integrieren, genauso wie wir von rechts zur Mitte hin integrieren müssen." Zumindest über diesen Umstand dürfte man sich in den Gesprächen, schnell einig sein.
Verwendete Quellen
- Besuch der Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus
- Besuch der Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus
- Besuch der Wahlpartys von SPD und Union


"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.