Am Sonntagabend trafen sich Olaf Scholz und Friedrich Merz zum TV-Duell von ARD und ZDF. Was man dort erleben konnte, waren vertauschte Rollen: Hier der emotionale Kanzler Scholz im Angriffsmodus, dort Herausforderer Merz, der sich staatsmännisch gab und keine Fehler machen wollte. Einen klaren Gewinner gibt es am Ende nicht, einen klaren Verlierer aber schon.

Christian Vock
Eine Kritik
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In zwei Wochen, am 23. Februar, wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Am Sonntagabend trafen sich die Spitzenkandidaten von CDU/CSU, Friedrich Merz, und SPD, Bundeskanzler Olaf Scholz, zum ersten TV-Duell. Die Auseinandersetzung wurde gemeinsam von ZDF und ARD produziert und auf beiden Programmen übertragen. Die Moderation teilten sich Sandra Maischberger und Maybrit Illner.

Bundestagswahl

So wurde das TV-Duell umgesetzt

Alles kann, nichts muss, das hätte das Motto des Abends sein können. Denn das Konzept des TV-Duells ließ allen Beteiligten die größtmögliche Freiheit, im positiven wie im negativen Sinn. Das begann etwa bei der Redezeit. Hier gab es keine Vorgaben an die Kandidaten, die Moderatorinnen wollten lediglich auf eine Gleichverteilung achten.

Das taten sie auch, allerdings ein wenig intransparent. Zwischendrin gab es einmal die Ansage, Scholz habe bislang drei Minuten länger gesprochen und am Ende wurde erklärt, dass die Redezeit in etwa gleich verteilt gewesen sei. Eine kleine Zeiteinblendung hätte hier für mehr Transparenz gesorgt.

Worauf ebenfalls verzichtet wurde, waren zum einen ein Live-Faktencheck und zum anderen ein Einspieler zu den drei Themen Migration, Wirtschaft und Außenpolitik, um die Kandidaten und die Zuschauer auf eine gemeinsame Faktenbasis zu stellen. Da beides, also Faktencheck und Info-Einspieler fehlten, konnten im Grunde beide Kandidaten behaupten, was sie wollten. Die Zuschauer waren deshalb davon abhängig, ob Maischberger oder Illner die Fakten entweder selbst wussten oder von der Regie einen Hinweis bekamen.

So schlugen sich Sandra Maischberger und Maybrit Illner

Insgesamt kann man die beiden Moderatorinnen als fair, informiert und hartnäckig beschreiben. Sowohl Illner als auch Maischberger waren präzise in ihren Fragen und hakten in der Regel nach, wenn die Kandidaten auswichen, auf Fragen antworteten, die gar nicht gestellt wurden oder Lücken in der Argumentation hatten.

Als etwa Merz die deutsche Wirtschaft am Boden sieht und Scholz vorwirft, in der Energiekrise auch noch drei Atomkraftwerke abgeschaltet zu haben, bringt Maischberger Merz mit einem einfachen "Hätten wir diese tiefe Krise nicht, wenn diese drei Kraftwerke jetzt laufen würden?" in Erklärungsnot.

An anderer Stelle lassen die beiden Moderatorinnen Merz mit einem Ausweichmanöver davon kommen. Da fragt Illner nämlich, wie sehr es Merz schmerze, dass jemand wie Michel Friedmann die CDU verlassen habe, nachdem die Unionsfraktion mit Stimmen der AfD einen Entschließungsantrag zur Verschärfungen des Asylrechts durchgebracht hatte. Da verweist Merz darauf, dass man auch mal für die Opfer von Attentaten auf die Straße gehen solle und es außerdem auch viele Eintritte gegeben habe, und weicht damit der eigentlichen Intention der Frage aus.

Denn Michel Friedmann war nicht irgendein CDU-Mitglied. Er war 40 Jahre lang in der Partei, saß im Bundesvorstand, vor allem aber ermordeten die Nazis fast seine gesamte Familie in Auschwitz-Birkenau. Über die Abstimmung mit der AfD sagt Friedmann deshalb: "Dieser Tabubruch ist unentschuldbar." Merz dürfte gewusst haben, dass die Frage Illners darauf abzielte und nicht auf ein Mitgliedersaldo. Dementsprechend ist das Ausweichen mindestens gegenüber Friedmann pietätlos, dass die Moderatorinnen dies durchgehen ließen, ein grobes Versäumnis.

So schlug sich Friedrich Merz

Merz blieb die gesamten 90 Minuten über ruhig und besonnen, ließ sich wenig aus dem Konzept bringen. Vor allem aber zeigte sich der Unionskanzlerkandidat gut vorbereitet, wusste, was kommen würde. Als es um sein politisches Manöver geht, eine Mehrheit mit Stimmen der AfD in Kauf zu nehmen, und Scholz ihm erneut Wortbruch vorwirft, greift Merz in die Innentasche seines Jackets. Mit einem "Ich zeige es Ihnen jetzt doch mal, Herr Bundeskanzler", holt er einen Zettel hervor, und zitiert aus einem Interview mit der "Thüringer Allgemeinen", in dem Scholz sagt, dass sich niemand von der Abstimmung der AfD abhängig machen solle.

Inhaltlich ist das Zitat gar nicht so relevant, man kann es so oder so interpretieren, was Scholz auch macht. Interessanter ist dagegen die Strategie von Merz. Denn erstens ist es unwahrscheinlich, dass er den Zettel eigentlich nicht habe ziehen wollen, wie es sein "jetzt doch mal" suggeriert, zweitens ändert, egal was Scholz damals gesagt hat, nichts an dem, was Merz mit dem Entschließungsantrag bewirkt hat. Es ist jedenfalls nicht anzunehmen, dass Michel Friedmann in dem Merzschen Manöver nun keinen Tabubruch mehr sieht.

Gleichzeitig schafft es Merz, sich an diesem Abend als Mann klarer Worte zu positionieren. Von ihm gibt es keine wortreichen Erklärungen, sondern direkte Vorwürfe, was versäumt wurde und Ansagen, was stattdessen zu tun ist. Allerdings ist die Grenze zwischen "Machertum" und Arroganz eine dünne, die Merz bisweilen übertritt.

Als es um die Pflegeversicherung geht, führt Scholz seine Ideen aus, doch Merz hat dafür nur ein "Verstanden hab ich’s nicht" übrig. Offensichtlich will Merz damit Lacher generieren, Scholz lächerlich machen und gleichzeitig eine Verbrüderung mit den Zuschauern erreichen, die es auch lieber schlicht haben. Auf der anderen Seite wirkt so ein Satz natürlich arrogant und man kann nur hoffen, dass Merz, sollte er Kanzler werden, ein angemesseneres Verhalten an den Tag legt – oder sich informiert, wenn er etwas nicht versteht.

An anderer Stelle kommentiert Merz die Beschreibung der wirtschaftlichen Situation durch Scholz mit einem "Das hat mit der Realität nichts zu tun". Eine gewagte Aussage für jemanden, der sich als Millionär nur zur "gehobenen Mittelschicht" zählt.

So schlug sich Olaf Scholz

So sehr Merz bemüht war, den alles wissenden, aber ruhigen Pol zu geben, so sehr war Scholz bemüht, seine emotionale Seite zu zeigen. So war auffällig, dass sich Scholz stets mit einem Arm auf sein Pult lehnte und den Oberkörper zu Merz drehte, um ihn direkt anzusehen. Ob er damit seine Zugewandtheit ausdrücken oder Merz aus dem Konzept bringen wollte, kann man nicht mit Sicherheit sagen, aber egal, welche Attitüde dahinter steckte – sie ging nicht auf.

Denn zum einen ließ sich Merz nicht darauf ein, zum anderen wirkte diese Haltung bei dem im sozialen Umgang doch eher als steif assoziierten Scholz etwas einstudiert. Ähnliches gilt fast noch mehr für Scholz verbale Ausbrüche. Natürlich ist gerade Wahlkampf, und hier hat man Scholz schon wesentlich emotionaler gesehen, als in den vergangenen drei Jahren, dennoch merkte man, dass eher die Sachlichkeit seine Stärke ist. Wenn er spontan emotional wurde, verhaspelte sich Scholz, tat er das nicht, kamen die Sätze wiederum zu glatt rüber, als dass sie authentisch wirken könnten. "Wenn Sie Ihre Sprechblase jetzt losgeworden sind", herrscht Scholz Merz etwa einmal an.

Da schiebt der Wahlkämpfer Scholz den Kanzler Scholz beiseite, taktisch wäre es andersherum vielleicht besser gewesen. Denn solche Aussagen lassen Scholz defensiv erscheinen und das war im Grunde das große Problem des Kanzlers an diesem Abend. Denn Merz hatte hier zwei Vorteile: Er konnte erstens Scholz als Herausforderer attackieren, Scholz die Missstände ankreiden und einfach behaupten, er könne es besser. Das ist völlig legitim als Kandidat der Opposition, aber Merz zweiter Vorteil ist, dass er selbst nie in Regierungsverantwortung war, also nie beweisen musste, dass er es tatsächlich besser kann.

Das machte es Merz leicht, aber noch etwas anderes zwang Scholz in die Defensive. Denn während Merz die Dinge vereinfachen konnte, musste Scholz seine Arbeit permanent verteidigen. Das tat er auch, doch wollte der Kanzler den einfachen Lösungen von Merz die Komplexität der Realität entgegensetzen, was in einem TV-Duell schwer umsetzbar ist. Zumal, wenn man ohnehin zu einem bürokratischem Jargon neigt. Die Erfolgsaussichten, den Zuschauern seine Ideen mit Worten wie "Solidaritätsverschränkung" schmackhaft zu machen, sind jedenfalls überschaubar.

Aber Scholz kann nicht nur bürokratisch, sondern auch gerade heraus – auch wenn das immer noch ein wenig ungelenk klingt. Merz stellt auf Frage Maischbergers die Finanzierungsideen für die Mehrausgaben in der Verteidigung vor, erwähnt dabei die hohe Anzahl an Stellen im öffentlichen Dienst und auch die Größe des Kanzleramtes. Maischberger gibt die Frage, ob ein kleineres Kanzleramt beim Verteidigungshaushalt helfe, an Scholz weiter und der antwortet an Merz gerichtet: "Die Frage macht ja die Lächerlichkeit ihres Vortrags deutlich!"

Das Fazit

Was steht auf der Habenseite nach diesem ersten TV-Duell? Mit Sicherheit die Klarheit, was Merz und Scholz wollen. Das konnten sie, auch mit Unterstützung von Maischberger und Illner klarmachen – aller Komplexität auf der einen und Vereinfachung auf der anderen Seite zum Trotz. Die Rollen sind dabei mitunter vertauscht, Scholz ist im Angriffsmodus, attackiert seinen Kontrahenten, Merz wiederum versucht, den Umfragevorsprung im Rücken, einfach keinen Fehler zu machen.

Gleichzeitig ließen Merz wie Scholz auch Gemeinsamkeiten erkennen. So wiederholt Scholz seinen Wunsch, die Schuldenbremse zu reformieren und Merz zeigt hier Entgegenkommen, auch wenn dies nicht auf Platz eins seiner Agenda stehe. Über einen Bundestag ohne die FDP sagt Merz "Ärmer, aber durchaus lebensfähig" und Scholz pflichtet ihm da ohne Abstriche bei.

Das mag man als politische Schnittmenge wahrnehmen oder auch nur als Eingeständnis, dass man ja auch in einer gar nicht mal so unmöglich erscheinenden Koalition zusammenarbeiten muss. Dementsprechend war der Ton zwar mitunter rau, aber nie so rau, als dass man sich in einer gemeinsamen Regierung nicht mehr in die Augen schauen könnte.

Die Kandidaten haben ihre Sache also gut gemacht, eine Aussage, wer nun gewonnen hat und wer verloren, ist demnach schwierig. Weder war der Auftritt von Scholz so mitreißend, dass er damit den Vorsprung von Merz mit einem Schlag aufholen könnte, noch war er so schlecht, dass an der Kanzlerschaft der CDU nicht mehr zu rütteln wäre.

Der Verlierer des Abends

Einen Verlierer gab es dennoch an diesem Abend: die Menschlichkeit. Wem das ein zu hochtrabender Begriff ist, kann ihn durch Redlichkeit ersetzen. Warum? Zum einen durch das erwähnte Fehlen von Faktenchecks und einordnenden Einspielern. Dadurch operiert das TV-Duell nicht auf einer gemeinsamen Faktenbasis, die Basis bilden die Aussagen der Kandidaten und die Themensetzung der Moderatorinnen – mit erheblichen Folgen.

Denn so wird etwa beim Thema Migration gar nicht mehr über Ursachen, verschiedene Lösungen oder gar die Realität diskutiert, sondern nur noch darum, wer denn den härteren Kurs der Ab- und damit auch der Ausgrenzung fährt. Und so überschlägt sich Scholz in Rechtfertigungen, welche Verschärfungen er nicht alle bereits auf den Weg gebracht hat, während Merz ein "zu viel" an das andere reiht. Dass Maischberger und Illner hier gar nicht mehr fragen, welche Zahl denn nicht "zu viel" wäre, passt ins Bild.

Merz muss gar keine Zahl nennen, er muss nicht erklären, ob 10.000 Asylsuchende okay wären, 1.000 oder auch nur fünf. Es reicht ein "zu viel", eine Begründung wird nicht verlangt. Es geht nicht mehr um die Sache, um Grundsätzliches oder Lösungen, um die Menschen, die hinter dieser Verschärfungsspirale stehen, geht es erst recht nicht. Merz reicht einfach ein "zu viel". Menschlich klingt das nicht und genauso wenig menschlich klingt Merz, wenn er über Bürgergeld-Empfänger spricht oder Bedienstete im öffentlichen Sektor als "Einsparpotenzial" sieht.

Nein, Menschenfänger sind weder Scholz noch Merz, der eine klingt technokratisch, der andere kühl und unempathisch. Da passt es ins Bild, dass sich beide an diesem Abend im Detail verlieren. Weder Scholz noch Merz erzählen von ihren Visionen, die sie für Deutschland haben. Was für ein Land soll Deutschland sein, welche Zukunft stellen sich die beiden für die Menschen vor? Was ist ihre Erzählung für dieses Land? Komplette Fehlanzeige.

Das liegt aber auch daran, dass sie nicht danach gefragt werden. Stattdessen haben Maischberger und Illner die Themen Migration, Wirtschaft und Außenpolitik gesetzt. Warum? Zu den "wesentlichen Themen des Bundestagswahlkampfs" sollen Scholz und Merz diskutieren, heißt es in der Ankündigung des TV-Duells auf den Seiten der Öffentlich-Rechtlichen – ohne Begründung, warum ausgerechnet diese Themen die wesentlichen sein sollen und nicht etwa der Kampf gegen die Klimakrise.

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Man weiß nun ein bisschen besser, wofür Scholz und Merz stehen. Doch egal, wer von beiden ins Kanzleramt einzieht, menschlicher wird es dort nicht.

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