Bei der SPD sitzt der Schock über das Wahlergebnis tief. Die Grünen dagegen jubeln: Sie hätten auch Schlimmeres für möglich gehalten. Doch während die Grünen unbedingt regieren wollen, klingt man bei der SPD deutlich zurückhaltender.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Pillgruber und Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im Willy-Brandt-Haus herrscht Todesstille, als die erste Prognose zur Bundestagswahl auf den Bildschirmen erscheint. 16,4 Prozent haben die Genossen geholt. Etwas mehr als die meisten Umfragen zuvor vorausgesagt haben – deutlich weniger als bei allen anderen Bundestagswahlen zuvor.

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Um mehr als neun Prozentpunkte sind die Sozialdemokraten abgestürzt. Dass die Wahlbeteiligung mit 83 Prozent so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr lag, macht es noch bitterer. Es ist ein Stich ins Herz der – man muss es an diesem Abend so sagen – einstigen Volkspartei.

Versteinerte Mienen bei der SPD

Schockiert wirkt unter den Genossinnen und Genossen an diesem Abend trotzdem niemand. Die meisten dürften sich auf den Aufprall nach dem Absturz bereits seelisch vorbereitet haben. Zu festgefahren waren die Umfragen in den vergangenen Wochen, um sich noch Hoffnungen auf ein weniger schmerzhaftes Ergebnis machen zu können.

Entsprechend versteinert sind die Mienen im Willy-Brandt-Haus an diesem Abend. Zum Feiern ist hier niemandem zumute. Trotzdem brandet Applaus auf, als Bundeskanzler Olaf Scholz in Begleitung seiner Frau und der Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken auf die Bühne kommt. Lange hält das Klatschen nicht an – und wirklich überzeugt klingt es auch nicht.

Betroffene Gesichter bei der Wahlparty der SPD. © dpa/ASSOCIATED PRESS/Ebrahim Noroozi

Scholz redet nicht lange um den heißen Brei. "Das ist ein bitteres Wahlergebnis für die sozialdemokratische Partei" und es sei auch "eine Wahlniederlage". Dafür habe auch er die Verantwortung zu tragen. Was Scholz meint, aber nicht sagt: Künftig wird er in der SPD kaum noch eine Rolle spielen.

Schließlich gilt der Kanzler in Teilen der Partei als Personifizierung der Wahlschlappe. Berichten zufolge soll die Parteispitze sogar versucht haben, ihn darauf zu drängen, auf seine Kanzlerkandidatur zu verzichten – weil sie nicht glaubte, dass die Wahl mit ihm gewinnen zu sei.

Weiterregieren? Die SPD wirkt wenig entschieden

Trotzdem: Bis Wahlsieger Friedrich Merz zum Kanzler gewählt wird, bleibt Scholz im Amt. Bis "zum letzten Tag" werde der das Amt ausüben, erklärt er am Sonntag. Wann das ist? Das kann noch niemand sagen. Zwar will Merz eigenen Aussagen zufolge Tempo machen und bis nach Ostern eine Regierung auf die Beine stellen. Doch für die bräuchte er Stand jetzt zwingend die SPD.

Die lässt an diesem Tag offen, ob sie sich an einer Koalition beteiligen will. Man sei zwar gesprächsbereit, wie Verteidigungsminister Pistorius in der ARD verkündet. Doch auf der Bühne des Willy-Brandt-Hauses klingt man wenig entschieden.

"Verantwortung kann man in einer Regierung, aber auch in einer Opposition übernehmen", so Parteichef Klingbeil. Das Ergebnis sei "eine Zäsur" und werde "Umbrüche erfordern in der SPD." Sowohl programmatisch als auch personell müsse man sich neu aufstellen. "Der Generationswechsel in der SPD muss eingeleitet werden. Wir wollen den Wiederaufbau der SPD als Volkspartei."

Ganz ähnlich klang auch Martin Schulz, damals nach der Wahlniederlage der SPD 2017. Am Ende scheiterte die Erneuerung, weil man sich aus staatspolitischer Verantwortung auf eine GroKo einließ. Nach dem Motto: Erst das Land, dann die Partei.

Scholz‘ Schlussworte klingen, als könnte sich dieser Vorgang wiederholen. "Wir werden unsere Verantwortung für unser Land in den nächsten Jahren noch weiter wahrnehmen", so Scholz zum Ende seiner Rede. "Auf die sozialdemokratische Partei ist Verlass".

Die Bühne verlässt Scholz am Wahlabend mit zusammengepressten Lippen – und einem gequälten Lächeln im Gesicht. Er wirkt angefasst. Vermutlich, weil er weiß: Wofür auch immer sich die SPD entscheiden wird – sein Wort wird dabei kein Gewicht mehr haben.

Ein bisschen Jubel bei den Grünen: Es hätte schlimmer kommen können

Bei den Grünen wird um 18 Uhr durchaus gejubelt – auch wenn es für sie ein zwiespältiger Abend ist. "Man weiß gar nicht, was man machen soll", sagt eine Besucherin der Wahlparty im Festsaal Kreuzberg. Das fasst die Lage der Partei gut zusammen.

"Ich wollte mehr. Ich glaube, dass alle von mehr geträumt haben", sagt der noch amtierende Vizekanzler Robert Habeck nach der ersten Hochrechnung. Er wirkt auf der Bühne trotzdem geradezu aufgekratzt. Der Umzug ins Kanzleramt bleibt nach diesem Ergebnis zwar, was er vorher schon war: ein Wunschtraum. Doch in der Parteispitze hatte man sich zuletzt darauf eingestellt, dass das Ergebnis noch schlechter hätte ausfallen können.

Von den drei ehemaligen Ampel-Parteien sind die Grünen trotz Verlusten am stabilsten geblieben. Im vergangenen Herbst standen sie in Umfragen noch bei neun Prozent. Habeck wirkte mit seiner betont vermittelnden Art im Wahlkampf zwar bisweilen wie der brave Schüler, der bei der Schulhofprügelei mit Wattebäuschen wirft. Doch angesichts des gesellschaftlichen Gegenwinds fällt das Ergebnis verkraftbar aus. Die aufgeheizte Stimmung hat der Partei zudem mehr als 40.000 neue Mitglieder beschert. "Jedes dritte Mitglied ist neu", sagt die Vorsitzende Franziska Brantner. Sie kann nach dem Ergebnis darauf hoffen, ihren Job zu behalten.

Die Grünen wollten unbedingt weiterregieren

Doch ein passables Ergebnis war nur die vordergründige Hoffnung der Grünen. Vor allem will die Partei: weiterregieren. "Ohne uns würden bestimmte Themen nicht fortgeführt werden: der Ausbau der erneuerbaren Energien und bezahlbarer Klimaschutz. Und in der Migrationspolitik sind wir die Stimme für Humanität und Menschenrechte", sagt Katja Meier unserer Redaktion. Sie war bis zum Herbst Justizministerin in Sachsen – bis die Grünen dort aus der Regierung geflogen sind.

Ein bisschen Jubel: Katja Meier (links) und andere Grünen-Mitglieder auf der Wahlparty. © dpa/Fabian Sommer

Die Grünen sehen ohne ihre Regierungsbeteiligung die Welt ein bisschen untergehen. Um das zu verhindern, würden sie auch mit Friedrich Merz koalieren. Robert Habeck bekräftigt am Wahlabend: Er will weitermachen. CDU-Chef Merz habe den Regierungsauftrag, jetzt müsse schnell und erfolgreich eine Regierung gebildet wird. "Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen", sagt er.

Erst im Laufe der Nacht wird klar: Die Grünen werden für die Bildung einer Regierung nicht gebracht. Gedanken an die Opposition haben grüne Minister und Parteiführung in den vergangenen Monaten beiseitegeschoben. Jetzt werden sie wohl genau dort landen. Womöglich war der vorsichtige Jubel verfrüht.

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