• Die diesjährige Bundestagswahl im September wird mit besonderer Spannung erwartet.
  • Denn im Gegensatz zu früher fühlen sich Wählerinnen und Wähler weniger stark an Parteien gebunden.
  • Der AfD können die anderen Parteien wahrscheinlich nur schwer Stimmen abnehmen. Vor allem zwischen den Anhängern von CDU und Grünen ist die Durchlässigkeit dagegen groß.
Eine Analyse

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Katholiken wählen die Union, Arbeiter die SPD und Unternehmer die FDP. So ließ sich vor einigen Jahrzehnten noch – sehr vereinfacht – die Wählerschaft der Parteien beschreiben.

Parteien gehen Stammwähler verloren

Inzwischen ist die Lage deutlich unübersichtlicher. "Die Zahl der Stammwähler ist definitiv kleiner geworden", sagt Viola Neu, Expertin für Wahlforschung bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), im Gespräch mit unserer Redaktion. "Im Allgemeinen ist es so, dass kaum eine Partei allein mit ihren Stammwählern über die Fünf-Prozent-Hürde kommen würde. Der Rest ist Mobilisierung."

Die Parteien stehen also in verschärfter Konkurrenz zueinander. Das gilt in diesem Jahr besonders, schließlich finden im Herbst Bundestagswahlen statt. Viola Neu hat sich diese Konkurrenz genauer angesehen: Für die Studie "Des Wählers Herz" hat die Konrad-Adenauer-Stiftung Anhängerinnen und Anhänger der Parteien gefragt, ob sie sich auch vorstellen könnten, eine andere Partei zu wählen – und wenn ja, welche. Aus den Ergebnissen lassen sich unter anderem die folgenden Schlüsse ziehen.

1. Die AfD hat die überzeugtesten Wähler

50 Prozent der Wählerinnen und Wähler der AfD könnten sich nicht vorstellen, eine andere Partei zu wählen. Damit hat die AfD den höchsten Anteil von Stammwählern – obwohl sie von den Parteien im Bundestag mit Abstand die jüngste ist. Das klingt zunächst verwunderlich, ist für Experten aber keine Überraschung. "Die Wähler der AfD entscheiden sich sehr bewusst für diese Partei. Sie finden bei den anderen Parteien kein Äquivalent", sagt Viola Neu. "Egal was man AfD-Wähler fragt – sie haben zu vielen Themen eine andere Meinung als die Wähler anderer Parteien."

Aus den Zahlen der Studie lässt sich also schließen: Unter den AfD-Anhängern gibt es für die anderen Parteien nur wenig Stimmen zu holen. "Die AfD schafft ein Angebot für Menschen, die die Demokratie insgesamt sehr kritisch sehen", erklärt Lucas Constantin Wurthmann, Politikwissenschaftler an der Universität Düsseldorf, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Diesen Menschen können die anderen Parteien eigentlich kaum ein Angebot machen."

2. Auf die SPD kommt – mal wieder – eine schwierige Bundestagswahl zu

Beim Wahlsieg von Rot-Grün 1998 machten mehr als 20 Millionen Deutsche ihr Kreuz bei der SPD. 2017 erhielt sie weniger als zehn Millionen Zweitstimmen. Keine Partei hat in den vergangenen Jahren so kontinuierlich Wählerinnen und Wähler verloren. Derzeit deutet auch in diesem Jahr wenig auf große Gewinne hin – auch wenn die SPD-Minister viele Projekte umsetzen konnten. "Das große Problem der SPD ist: Sie hat es bisher nicht geschafft, eine glaubhafte Erzählung ihrer Politik zu vermitteln", sagt Politikwissenschaftler Wurthmann.

Bundesinnenministerium veranschlagt 107 Millionen Euro für Bundestagswahl

Die Bundestagswahl soll dieses Jahr so viel kosten wie noch nie. Das Bundesinnenministerium soll derzeit 107 Millionen Euro für die Wahl am 26. September planen.

Die SPD war in der Geschichte der Bundesrepublik zeitweise die Volkspartei der linken Mitte, sie wurde von Arbeitern genau wie von Intellektuellen gewählt. Doch ihre Bindungskraft hat nachgelassen: Der KAS-Studie zufolge könnten sich 39 Prozent der SPD-Wähler vorstellen, die Grünen zu wählen. Für 18 Prozent wären die Unionsparteien die zweite Wahl. Der Anteil der potenziellen Linke-Wähler beträgt 11 Prozent. Nur 24 Prozent der SPD-Wählerschaft können sich gar nicht vorstellen, für eine andere Partei zu stimmen. Das ist der geringste Wert unter den im Bundestag vertretenen Parteien.

3. Die Grünen haben großes Potenzial – aber sie können auch tief fallen

Auf die Grünen richten sich in diesem Jahr viele Blicke. Das große Thema Klimaschutz hat ihnen 2018 und 2019 ein Umfragehoch verschafft, trotz Abstrichen liegen sie auch in der Coronakrise noch knapp auf dem zweiten Platz vor der SPD. "Die Grünen haben ein extrem großes Wählerpotenzial. Das Thema Klima verschwindet nicht so schnell", glaubt der Politikwissenschaftler Wurthmann.

Der Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge können sich 25 Prozent der Unions-Wähler grundsätzlich vorstellen, die Grünen zu wählen. Bei der SPD und der Linken sind es sogar 39 beziehungsweise 30 Prozent. Allerdings haben die Grünen in den vergangenen Jahren an den Wahlurnen häufig schlechter abgeschnitten als in Umfragen. 2017 erreichten sie bei der Bundestagswahl eher magere 8,9 Prozent und stellen seitdem die kleinste Fraktion. Wie schon 2013 klebte 2017 das Image der Verbotspartei an ihnen.

Mit diesem Vorwurf muss sich die Partei immer wieder auseinandersetzen – auch in diesem Jahr: Fraktionschef Anton Hofreiter hat in einem Spiegel-Interview vor Kurzem angezweifelt, dass Einfamilienhäuser noch zeitgemäß sind. Schnell warfen vor allem CDU-Politiker den Grünen vor, sie wollten den Bau neuer Einfamilienhäuser verbieten. "Die anderen Parteien haben ein Interesse daran, diese Diskussionen am Köcheln zu halten", sagt Lucas Constantin Wurthmann.

4. Die Union könnte vor allem an die Grünen Stimmen verlieren

CDU und CSU sehen sich gerne als letzte Volksparteien. Ihnen kommt in der Pandemie zugute, dass sich Wähler in Krisen gerne hinter der regierenden Partei versammeln. Zurzeit führt die Union weiter die Umfragen zur Bundestagswahl an. "Bei der Union weiß jeder: Mit ihr kommen keine großen Reformen, sondern eher kleinteilige Veränderungen", erklärt Wurthmann. "Sie steht für eine biedere Verlässlichkeit – das ist durchaus etwas, worauf viele Wählerinnen und Wähler anspringen."

25 Prozent der Unionsanhänger können sich allerdings auch vorstellen, die Grünen zu wählen. Nur für vier Prozent wäre die AfD die zweite Wahl. Obwohl die Vorstellungen von Union und Grünen zum Beispiel in der Steuer-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik weit auseinanderliegen, konkurrieren sie also um einen beträchtlichen Teil der Wählerschaft. "In den 70er Jahren hatten wir noch ein sehr polarisiertes Parteiensystem. Seitdem ist es immer durchlässiger geworden", sagt Viola Neu. "Sogar die Grünen und die Union tauschen inzwischen Wähler aus – es gibt gerade zwischen diesen Parteien eine große Dynamik, eine große wechselseitige Mobilität."

5. Diese Bundestagswahl wird wie keine andere

Noch ist die Bundestagswahl mehr als ein halbes Jahr entfernt. Vorhersagen sind daher kaum möglich. Schließlich haben Union und Grüne noch keinen Kanzlerkandidaten beziehungsweise keine Kanzlerkandidatin benannt. Und Personen spielen in der Politik eine große Rolle. "Bei vielen Landtagswahlen haben wir gesehen, dass Amtsbonus ein entscheidender Faktor ist", sagt Viola Neu. Die Personalfrage werde wahrscheinlich auch in diesem Jahr ein entscheidender Faktor sein.

"Wir stehen vor einem Wahlkampf, wie wir ihn noch nicht gehabt haben", sagt Lucas Constantin Wurthmann. Grund ist nicht nur die Corona-Pandemie – sondern auch der Umstand, dass niemand mit einem Amtsbonus antritt. Bis auf 1949 ist bei allen Wahlen der Nachkriegsgeschichte entweder die Union oder die SPD mit einem Spitzenkandidaten angetreten, der zuvor im Kanzleramt saß. In diesem Jahr ist das erstmals nicht der Fall – auch das macht diese Wahl so spannend.

Über die Experten:
Dr. Viola Neu arbeitet seit 1992 für die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Politikwissenschaftlerin leitet dort die Wahl- und Sozialforschung und ist stellvertretende Leiterin der Hauptabteilung Analyse und Beratung.
Der Politikwissenschaftler Lucas Constantin Wurthmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er beschäftigt sich in seiner Arbeit schwerpunktmäßig mit der deutschen Wahl- und Parteienforschung.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Viola Neu (Konrad-Adenauer-Stiftung)
  • Gespräch mit Lucas Constantin Wurthmann (Universität Düsseldorf)
  • Konrad-Adenauer-Stiftung: "Des Wählers Herz. Emotionale Parteienbewertung aus repräsentativen und qualitativen Umfragen"


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