So langatmig der Wahlkampf, so spannend werden die nächsten Monate nach einem spektakulären Wahlabend. Der Politologe Gero Neugebauer sagt im Interview eine schwierige Koalitionsbildung und eine schwere Zeit für Angela Merkel voraus - genau wie für Horst Seehofer.
Herr Neugebauer, wie gut können Sie sich eine Koalition vorstellen, in der
Gero Neugebauer: Ich kann mir die Jamaika-Koalition ziemlich schlecht vorstellen. Das hat aber weniger mit Personen zu tun als mit Positionen. Die scheinen mir in einigen Politikfeldern doch schlecht vereinbar.
Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass Koalitionäre sich über einige Dinge einig werden können, andere schiebt man hinaus, andere werden einfach nicht behandelt.
Union, FDP und Grüne können sich zusammenraufen, wenn sie ihre staatspolitische Verantwortung vor die Partei stellen.
Angeblich hoffen ja einige in der Union ohnehin noch auf die SPD. Denen muss man sagen: Vergesst es.
Die SPD hat sich auf die Opposition festgelegt, sehr früh am Wahlabend, aber viele sagen: letztlich Jahre zu spät.
Absolut. Das Ergebnis der SPD ist nicht das Ergebnis des Wahlkampfes von
Die SPD hat vor längerer Zeit schon versäumt, ein langfristiges Programm vorzulegen, sie hat keine personellen Alternativen vorgestellt, hat vergessen, ihre Stammwähler zu mobilisieren.
Wegen dieser strukturellen Defizite setzt sich der Abwärtstrend weiter fort. Noch 1998 hatten die Sozialdemokraten über 20 Millionen Wähler, jetzt werden es wohl nicht einmal acht Millionen. Da darf man schon mal fragen, wo die alle geblieben sind.
Beide Volksparteien haben massiv verloren, kommen zusammen auf gerade einmal noch 53,2 Prozent der Stimmen. CSU-Chef Horst Seehofer machte das Problem für die Union an der angeblich offenen "rechten Flanke" fest. Teilen Sie seine Analyse?
Natürlich hat es schon vor der AfD Menschen mit rechtspopulistischen, nationalistischen und xenophoben Einstellungen gegeben. Die haben Union und SPD gewählt.
Aber diese beiden Parteien sind nicht mehr in der Lage, diese Menschen und die Stimmungen zu integrieren.
Die AfD hat den Protest gegen die Flüchtlingspolitik mit einem sehr feinmaschigen Netz eingesammelt.
Dazu kommt der Verlust der konservativen Orientierung. Die Union hat versucht, den Verlust von älteren Wählern mit einem Schritt in die Mitte zu kompensieren.
Das hat dazu geführt, dass Konservative entweder zur AfD oder zu den Liberalen gewechselt sind.
Wenn die FDP klug ist und nicht so ein chaotisches Bild abgibt wie 2009 bis 2013, dann kann sie Erfolg haben als wirtschaftsliberale Partei, die die sozialdemokratischen Ambitionen der Union korrigiert.
Es wird ein Problem für Angela Merkel. Die Diskussion um ihre Nachfolge wird viel früher beginnen, als sie selbst beabsichtigt hat - nämlich sofort nach ihrer Wiederwahl zur Kanzlerin.
Und Horst Seehofer muss schauen, ob er mit so einem Ergebnis zur Landtagswahl 2018 überhaupt antreten kann.
Er hat ja selbst gesagt, mit Hinblick auf diese Wahlen sollte die CSU stärkste Partei werden. Das hat er nicht geschafft.
Und wenn er sagt, es habe eine offene Flanke gegeben, muss ich sagen: Die hat er aufgemacht.
Wenn die CSU sich in Wortwahl und in der Art der Vorschläge und Attitüden den AfD-Positionen genähert hat, dann können die Leute gleich das Original wählen.
Das haben im Bund fast 13 Prozent der Wähler getan, die AfD wird beinahe 100 Abgeordnete ins Parlament schicken. Wie wird der Einzug der Rechtspopulisten in den Bundestag das politische System verändern?
Erstmal wird die Partei mit sich selbst beschäftigt sein: Büros beziehen, Jobs vergeben, sich reinfinden.
Nach den Erfahrungen mit der AfD in den Landtagen kann man feststellen, dass ihre Abgeordneten wenig Interesse an der kleinteiligen Arbeit zeigen.
Wenn es um die Schulspeisung geht, wird im ersten Satz die Zusammensetzung des Essens beklagt, im zweiten Satz behauptet, es gebe weniger Schweinefleisch, und im dritten Satz geht es um die drohende Islamisierung Deutschlands und ganz Europas.
Nun stehen sie auf einer Bühne, auf der sie nationale Themen anschneiden können, mal sehen, ob sie das schaffen - und wie.
Es gibt ja zwei Flügel. Einer fühlt sich als konservative Partei, die Oppositionsarbeit machen will, dabei die Schwächen der Regierung bloßlegen, aber sich genug Vertrauen in Bevölkerung erarbeiten, dass die AfD bald in die Regierung einziehen kann.
Der andere Flügel, besonders aus dem Osten, bevorzugt die Systemopposition. Man muss wirklich abwarten, wie sich das entwickelt.
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