Das "blaue Wunder" der Bundespräsidentenwahl hat die SPÖ kräftig durchgeschüttelt, von einheitlichem Auftreten im Moment keine Spur. Die einen fordern offen den Rücktritt von Parteichef und Bundeskanzler Werner Faymann, andere plädieren für eine Vorverlegung des Parteitages.
"Es gibt nur eine SPÖ, und als solche sind wir alle dafür verantwortlich, an unserer politischen Strategie etwas zu ändern", hatte es noch am Montag in einer Aussendung der sozialdemokratischen Landesorganisationen geheißen. Rückblickend erscheint sie wie ein verzweifelter Appell oder eine selbsterfüllende Prophezeiung: "Personaldiskussionen werden wir (...) sicher nicht führen. Wir lassen uns in dieser schwierigen Zeit als Gesamtpartei nicht auseinanderdividieren."
Das Befürchtete ist längst eingetreten. Auf die Frage, ob Bundeskanzler Werner Faymann zurücktreten solle, antwortete am Dienstag die stellvertretende Wiener Klubchefin Tanja Wehsely im "Standard": "Ja, ich finde schon. Es geht sich nimmer aus. Diese Stimmen werden nicht mehr verstummen". Dass es beim Maiaufmarsch der SPÖ am 1. Mai zu Protesten gegen Faymann komme, sei "so sicher wie das Amen im Gebet".
Attacken nach Rücktrittsforderung
Wehsely geriet daraufhin selbst unter Beschuss. Einige ihrer Parteigenossen betonten in einer Stellungnahme, sie gebe nicht die Meinung der SPÖ Wien wieder. "Aus reiner Profilierungssucht kontraproduktive Querschüsse abzugeben, ist unwürdig und peinlich", tadelte der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy - und forderte Wehselys Rücktritt.
SPÖ-Gemeinderatsmandatarin Kathrin Gaal legte nach, dass sich Wehsely damit nicht nur gegen Faymann stelle, "sondern auch gegen Bürgermeister Michael Häupl, der sich unmissverständlich gegen eine Personaldebatte ausgesprochen hat".
"Parteibasis hat die Nase gestrichen voll"
Jedoch: Ganz allein auf weiter Flur ist Wehsely mit ihrer Forderung nicht. Bereits am Montag sprach sich Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina für eine Ablöse Faymanns aus. Für Innsbrucks SPÖ-Stadtparteivorsitzender Helmut Buchacher wäre die Ankündigung Faymanns, im Herbst nicht mehr für eine Wiederwahl als Parteivorsitzender zur Verfügung zu stehen, "die minimalste Konsequenz nach der Schlappe bei der Bundespräsidentenwahl gewesen".
Eine "inhaltliche und personelle Neuaufstellung" der Bundes-SPÖ forderte am Mittwoch der burgenländische SPÖ-Klubobmann Robert Hergovich. "Die Parteibasis hat die Nase gestrichen voll, weil sie das Gefühl hat, dass die Parteispitze neuerlich nur durchtauchen und keine ernsthaften Konsequenzen ziehen will", bemängelte er via Aussendung. Die SPÖ müsse in der Bundesregierung wieder die längst verspielte Führungsrolle übernehmen, "notfalls auch mit neuen starken Persönlichkeiten".
Früherer Bundesparteitag gefordert
Während der frühere steirische Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) am Mittwoch in der "Kleinen Zeitung" die "letzten Mutigen" aufforderte, "die SPÖ zu retten", meldete sich auch sein Nachfolger, Michael Schickhofer, zu Wort: "Die Diskussion ist jetzt personell, strukturell und inhaltlich ohne Tabus zu führen – ob man will, oder nicht! Um ab sofort ins Handeln zu kommen, ist sofort ein Team in größtmöglicher Breite einzusetzen, um den SPÖ-Bundesparteitag vorzubereiten", erklärte er.
Der Termin für den Bundesparteitag dürfe "nicht in Stein gemeißelt sein". Eine Vorverlegung verlangten auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), der Bezirksobmann der SPÖ Wiener Neustadt und Verfassungssprecher Peter Wittmann (SPÖ) sowie die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr.
Schützenhilfe von Vranitzky
Sie alle haben dabei einen prominenten Mitstreiter: SPÖ-Altkanzler Franz Vranitzky hatte bereits am Montag im ORF für "sinnvoll" erklärt, den für Oktober angesetzten Parteitag vorzuziehen. Und er fügte hinzu: "Wenn ein Wahlergebnis so drastisch ausfällt wie am Sonntag, dann ist es natürlich, dass Stimmen laut werden, die auch personelle Konsequenzen fordern."
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