Zu Gast im "Report"-Studio war Bundespräsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen, der am 22. Mai in der Stichwahl gegen FPÖ-Kandidat Norbert Hofer antreten wird. Moderatorin Susanne Schnabl sprach mit ihm über die Funktionen des Bundespräsidenten, seine Gedanken zu TTIP und seine Haltung gegenüber der FPÖ-Europapolitik.

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Der Vorsprung an Stimmen, den Norbert Hofer bei der ersten Wahlrunde erhalten hat, schreckt Alexander Van der Bellen nicht: Hofer müsse für die Stichwahl ebenso bei Null anfangen wie er selber. "Er kann ja die 30-35 Prozent aus dem ersten Wahlgang nicht mitnehmen. Auch seine Wähler muss er überzeugen, zur Wahl zu gehen, Zettel richtig anzukreuzen usw., genauso wie ich. Da ist gar nichts entschieden."

Er sieht mit Freude, wie sich selbständig Gruppen aus allen Schichten und Berufen organisieren, die mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, Werbung für ihn machen – zum Beispiel über das Internet. "Da entsteht eine echte Grassroots-Bewegung", freut sich Van der Bellen.

Über Funktionen und Ziele des Bundespräsidenten

Für Van der Bellen hat das Amt des Bundespräsidenten zwei wesentliche Funktionen: "Die Republik nach außen zu vertreten – in Europa, in der Welt – und nach innen verbindend zu wirken, über den Parteien zu stehen, parteiübergreifend Kompromisse zu suchen, Streit zu schlichten und dergleichen." Er sieht in beiden Rollen "enorme Startvorteile" gegenüber Hofer.

"Dass die Leute Sorgen haben, verstehe ich total", meint Van der Bellen. "500.000 Arbeitslose sind eindeutig zu viel." Er würde als Bundespräsident ab Juni die Regierung zusammenrufen und ein Konzept mit neuer Budgetpolitik aufstellen, um diese Zahl zu reduzieren.

Über die Probleme von TTIP

Auf die Frage, warum er das transatlantische Handelsabkommen TTIP ablehnt, das laut Befürwortern zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen würde, erläutert Van der Bellen: "Ich will auf meinem Mittagstisch keine Fleischsorten oder andere Lebensmittel, die Antibiotika enthalten." Diese würden laut medizinischer Forschung die Resistenz gegen Antibiotika erhöhen.

Ebenso lehnt er gentechnisch manipulierte Organismen in den Lebensmitteln ab. "Solang diese Punkte im TTIP-Vertragsentwurf enthalten sind, sage ich nein. Die Interessen der Landwirtschaft gehen hier vor."

Ob er bei Streichung dieser Punkte unterzeichnen würde, kann er nicht sagen: Der Rest des TTIP-Vertrages sei als "Staatsgeheimnis par excellence" behandelt worden und ihm daher gar nicht bekannt. "Aber das, was jetzt öffentlich gemacht wurde von Greenpeace, genügt vollständig, um den Vertrag abzulehnen."

Zur Bestätigung problematischer Gesetze

Trotz Van der Bellens scharfer Kritik am neuen Asylgesetz, das Asyl nur noch in Ausnahmefällen vorsieht, müsste er als Bundespräsident ein solches Gesetz unterschreiben. "Wenn keine tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken vorliegen, ist der Bundespräsident verpflichtet, mit seiner Unterschrift das verfassungsmäßige Zustandekommen des Gesetzes zu bestätigen", bestätigt er, fügt aber hinzu: "Er bestätigt nicht, dass es ein gutes oder einigermaßen gutes Gesetz ist."

Der Bundespräsident könne im Vorfeld bei einem solchen Gesetz mitwirken und den Bundeskanzler oder einzelne Minister zu Gesprächen einladen. "Aber letztendlich hat das Parlament das letzte Wort. Die Abgeordneten sind die gewählten Vertreter des Volkes."

Über H.C. Strache als möglichen Bundeskanzler

Auf das Szenario eines blauen Bundeskanzlers angesprochen, ist Van der Bellens Position deutlich: "Ich werde im Rahmen meiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten versuchen, das zu verhindern."

"Der Bundespräsident ist verpflichtet, Schaden von Österreich abzuwenden", erläutert er diese Haltung. "Der schlimmstmögliche Fehler, den Österreich begehen könnte, ist, sich abzuschotten, sich vom Ausland zu trennen."

In Österreich sei jeder zweite Arbeitsplatz direkt oder indirekt von Exporten abhängig, 80 Prozent dieser Exporte gehen in die EU. "Es geht in erster Linie um den Arbeitsmarkt in Österreich und die 500.000 Arbeitslosen – und die werden mehr werden, wenn wir uns abschotten in Europa."

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