Die Präsidentschaftskandidatin und Wechselwählerin Irmgard Griss über die Trennung von Staat und Religion. Warum sie die Gesprächsprotokolle der Hypo-Untersuchungskommission vernichtet hat und wie sehr die Großparteien ihrer Meinung nach noch ihre Macht ausüben können.

Ein Interview
von Christian Granbacher

Denken Sie, der Großteil der Flüchtlinge wird damit zurechtkommen, dass in Österreich Staat und Kirche getrennt sind?

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Irmgard Griss: Sie werden damit zurechtkommen müssen. Für mich ist das nicht verhandelbar. Wer es nicht akzeptieren kann und der Meinung ist, es gibt nur ein von Gott gegebenes Recht, das wir befolgen müssen, der kann nicht bei uns leben.

Das heißt, Menschen mit dieser Einstellung müssten Ihrer Meinung nach abgeschoben werden?

Man muss mit aller Deutlichkeit bewusst machen, dass diese Einstellung nicht tolerierbar ist. Es wäre aber kein rechtlicher Grund für eine Abschiebung, auch nicht dafür, jemanden einzusperren. Man darf jedoch keinen Zweifel daran lassen, dass unser Recht und unsere Gesetze gelten. Wir als Gesellschaft müssen klarstellen, was die Grundlagen unseres Zusammenlebens sind - und wer hierher kommt, muss das akzeptieren.

Wie stehen Sie zur Obergrenze bei Flüchtlingen, die in Österreich für 2016 bei 37.500 Personen festgelegt wurde?

Ich kann diese Obergrenze oder diesen Richtwert, wie immer man das nennt, nur als Signal dafür verstehen, dass die Aufnahmekapazitäten beschränkt sind. Wenn man es so kommuniziert, finde ich das auch richtig. Wenn Menschen nach Österreich kommen, nicht weil sie fliehen müssen, sondern weil sie sich eine Existenz aufbauen wollen, dann sind die Möglichkeiten eines Staates beschränkt. Wir sind jedoch rechtlich dazu verpflichtet, individuelle Verfahren durchzuführen und jeden Asylantrag zu prüfen. Es stört mich, wenn der Eindruck erweckt wird, man könnte sich eine individuelle Prüfung bei Leuten ersparen, die zu uns kommen und sagen, sie würden verfolgt. Daher muss man alles tun, damit die Verfahren rasch abgewickelt werden.

Sie wurden kritisiert, weil Sie als Vorsitzende der Hypo-Untersuchungskommission Gesprächsprotokolle vernichtet haben. Warum haben Sie das gemacht?

Weil ich sonst mein Wort gebrochen hätte. Bei der Untersuchungskommission gab es im Gegensatz zum Untersuchungsausschuss keine Erscheinungs- und keine Wahrheitspflicht. Die befragten Personen sind nur unter der Voraussetzung gekommen, dass das Gesprochene auch vertraulich ist. Dieses Versprechen habe ich ihnen gegeben.

Vertraulichkeit und ein Untersuchungsausschuss sind Dinge, die nicht zusammenpassen. Der Ausschuss steht ja im öffentlichen Interesse.

Zum Untersuchungsausschuss müssen die Befragten hingehen und dort herrscht auch Wahrheitspflicht. Aber wir als Untersuchungskommission hatten überhaupt keine vergleichbaren Rechte. Wir haben Verträge geschlossen und mussten uns zur Verschwiegenheit verpflichten, das Amtsgeheimnis, den Datenschutz und das Bankgeheimnis wahren.

Journalisten beispielsweise behalten wichtige Unterlagen auf.

Wenn jemand vertraulich mit Ihnen spricht, geben Sie das heraus?

In meiner Rolle als Journalist gibt es nichts Vertrauliches, da ist alles öffentlich, sonst bräuchte ich das Interview gar nicht zu führen.

Aber bei mir war es vertraulich. Wenn jemand vertraulich mit Ihnen spricht, geben Sie das weiter?

Für mich wäre es schon befremdlich gewesen, dass jemand nur dann mit mir redet, wenn ich verspreche, dass es nicht nach außen dringt.

Dann hätten wir die ganze Kommissionsarbeit nicht machen können. Denn alle Unterlagen bekamen wir nur, weil wir uns zur Verschwiegenheit verpflichtet haben. Wie gesagt, es steht aber alles im Bericht, weil wir zum Schluss gekommen sind, alles offenlegen zu können, was unsere Untersuchung an relevanten Fakten ergeben hat. Wir haben vor allem die Unterlagen ausgewertet. Bei den Gesprächen mit den Auskunftspersonen ging es in erster Linie um die Einschätzung. Also weniger um die Fakten, weil wir diesbezüglich die Urkunden hatten, auf die in den insgesamt 994 Fußnoten verwiesen wird. All das haben wir gemacht und jetzt sagen Sie, dass es zu wenig transparent sei. Das ist doch absurd.

Ein anderes Thema. Haben Sie als Bürgerin bei Nationalratswahlen immer dieselbe Partei gewählt?

Nein.

Haben Sie öfter gewechselt?

Ja, ich habe öfter als einmal gewechselt.

Von wem erhoffen Sie sich im Wahlkampf Unterstützung?

Allgemein von der Bevölkerung. Ich erlebe aber immer wieder, dass Leute sagen, sie könnten mich nicht unterstützen, da ich auf meiner Website offenlege, wer dies tut. Das ist bei uns leider Realität. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Angst vor den Parteien so groß ist. Dass man sich nicht traut, für etwas einzustehen. Es zeigt, welche Macht die Parteien noch immer ausüben und welche Abhängigkeiten bestehen.

Irmgard Griss wurde 1946 in der Steiermark geboren. Sie maturierte in Graz und schloss 1970 ihr Studium der Rechtswissenschaften ab. Nach einem Aufenthalt in Harvard kam Griss zurück nach Österreich und legte die Anwaltsprüfung ab. Später arbeitete sie als Richterin, ab 1987 am Obersten Gerichtshof. Von 2007 bis 2011 war sie Präsidentin des Obersten Gerichtshofes. Im Jänner 2015 wurde sie zur internationalen Richterin am Singapore International Commercial Court ernannt. Griss ist verheiratet und hat drei Stiefkinder und zwei leibliche Kinder - sie lebt mit ihrer Familie in Graz.
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