Fast die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher hat ihn nicht gewählt, und doch will Alexander Van der Bellen ein Präsident für alle sein. Das sind die Themen, um die sich der neue erste Mann im Staat wohl als erstes angehen wird.

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Offiziell verkündet wird das Wahlergebnis erst am 1. Juni – und am 8. Juli übernimmt Alexander Van der Bellen als neuer Bundespräsident die Ämter von Noch-Staatsoberhaupt Heinz Fischer.

Die kommenden Wochen werden wohl dennoch recht intensive für den ehemaligen Grünen-Chef, der mit 31.026 Stimmen Vorsprung am Montag den Sieg einfuhr. Nicht nur, weil die Amtsübergabe ansteht: Es gilt die Ungeduld der Bevölkerung zu stillen. Denn das 50/50-Ergebnis zeigt: Das Land hat genug vom Stillstand.

Zum knappen Wahlergebnis sagte Van der Bellen: "Man könnte sagen: Du bist gleich wichtig wie ich, und ich bin gleich wichtig wie du." Und steckte sich sehr hohe Ziele: "In sechs Jahren sollen alle Menschen in Österreich sagen können: Ja, mir geht es gut."

Was werden die ersten Schritte des designierten Präsidenten sein? Was kommt auf ihn zu und wo hat er überhaupt Chancen, etwas zu verändern?

Van der Bellen bittet um Geduld

Dass Veränderungen nicht von heute auf morgen passieren können und es etwas Geduld brauche, unterstrich der 72-Jährige in einer Sondersendung zur Wahl am Montagabend im ORF.

Er könne aber auch ein Tempomacher sein, bekräftigte er auf die Frage von Redakteurin Susanne Schnabl: "Wir haben nicht ewig Zeit. Es sind jetzt Monate und Jahre vergangen, ohne dass wichtige Schritte gesetzt wurden. Das muss ein Ende haben. Wenn ich Bundeskanzler Christian Kern richtig verstanden habe, ist das genau sein Programm."

Van der Bellen betonte, dass der Präsident kein Zuchtmeister der Regierung sei und dass er sich selbst als Netzwerker und Mediator verstehe, der seine Erfahrung einbringen will.

Macht des Präsidenten einschränken

Einen wesentlichen Schritt kündigte der Uniprofessor hinsichtlich seines eigenen Amtes an. Er möchte einen Verfassungskonvent mit Juristen und anderen Experten einberufen, um zu prüfen, ob der Präsident weniger Macht erhalten soll.

Konkret geht es um die Machtbefugnisse, die einem Präsidenten derzeit noch zustehen - etwa die Regierung zu entlassen - und darum, ob diese noch zweckdienlich sind. Bei Bedarf könne er sich eine Verfassungsänderung vorstellen, sagte Van der Bellen.

Wirtschaftliche Hürden nehmen und Start-ups fördern

Brennender sind die Ankündigungen, die Van der Bellen vorab geleistet hat. Auch wenn er noch nicht in Amt und Würden ist, muss er sich rasch um eine gemeinsame Linie mit dem neuen Kanzler bemühen.

Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik hätten für ihn ohnedies Priorität, ließ er mehrmals wissen. Konkret wiederholte er seine Idee, wirtschaftliche Hürden - beispielsweise für Start-ups - zu verkleinern.

Schon andernorts hatte Van der Bellen anklingen lassen, seine Auslandsreisen gemeinsam mit Delegationen von Experten zu unternehmen, um in der Wirtschaft Synergien zu schaffen und Kontakte zu knüpfen. Solche wird es dringend brauchen.

Gesprächskultur verändern

Auch wenn Van der Bellen den Stil von Heinz Fischer fortführen will: Ganz alleine wird er das nicht entscheiden können. Zumindest in den kommenden Monaten werden die Augen von zumindest 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher stets auf den Fingern des EU-Befürworters ruhen.

Für ihn gilt dasselbe wie für Christian Kern und sein neues Regierungsteam: Jeder ungenützte Tag sind neue Wählerstimmen für die FPÖ.

Auch wenn Kontrahent Norbert Hofer von der FPÖ am Dienstag darum bat, nicht zu streiten: Seine Anhänger lassen online wissen, was sie vom neuen Bundespräsidenten halten. Da werden Putsch-Fantasien und wilde Verschwörungstheorien hochgehalten.

Am Dienstag wurde der Personenschutz für Van der Bellen verstärkt, da auf diversen Seiten zu Angriffen gegen ihn aufgerufen und sogar seine Privatadresse veröffentlicht worden war. Das ging so weit, dass FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache per Facebook zur Mäßigung aufrief.

Doch glaubt man Van der Bellen, will er genau hier einhaken: "Wir werden eine andere Kultur brauchen, eine andere Gesprächskultur. Eine Politik, die sich nicht so sehr mit sich selbst oder mit der medialen Öffentlichkeit beschäftigt, sondern mit diesen realen Fragen. Mit den realen Sorgen und Ängsten und dem Zorn auch mancher Menschen in diesem Land."

Wahl beschleunigt Regierungsarbeit

Kanzler Kern hat bereits angekündigt, dass er die Bundespräsidentenwahl als Anlass nehmen will, die Arbeit der Regierung zu beschleunigen.

Man wolle sich konkret auf fünf Themenschwerpunkte konzentrieren: "Wirtschaft und Beschäftigung, Innovation, Technologie, Forschung und Entwicklung, Bürokratie- und Verwaltungsvereinfachung, Bildungsreform sowie Integration, Asyl und Sicherheit."

Kern plant, zur Arbeit an diesen Themen Experten und Vertreter der Opposition einbeziehen.

Hohe Erwartungen seitens der Wissenschaft

Eine große Erwartungshaltung haben Österreichs Wissenschaftsvertreter. Sie sehen in dem habilitierten Ökonomen Van der Bellen einen Fürsprecher.

Der Präsident der Universitätenkonferenz (UNIKO) und Rektor der Universität Klagenfurt, Oliver Vitouch, betonte in einer Aussendung: "Die Macht des Wortes sollte nicht unterschätzt werden. Auch Reden bilden das Bewusstsein."

Er erwartet sich von Van der Bellen ein Eintreten für höhere Wissenschaftsbudgets und deutliche Worte zu den knappen Mitteln.

Ähnlich sieht das der Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft, Philip Flacke: "Wir erwarten, dass sich Van der Bellen als Bundespräsident und ehemaliger Professor besonders intensiv für einen offenen nationalen und internationalen Hochschulraum und eine progressive Bildungspolitik einsetzt.”

EU-Kommissionspräsident freut sich auf Zusammenarbeit

International wurde die Wahl Van der Bellens positiv aufgenommen und könnte tatsächlich zu besseren Beziehungen und wirtschaftlichen Partnerschaften führen.

Insofern könnte es dem ehemaligen Grünen-Politiker, der am Dienstag seine Parteimitgliedschaft ruhend gestellt hat, tatsächlich gelingen, einen Aufschwung in seiner Präsidentenfunktion anzukurbeln. Schon Heinz Fischer brachte von einigen Auslandsreisen millionenschwere Auftragspakete für heimische Betriebe mit nach Hause.

Von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker traf am Dienstag bereits ein Schreiben in Wien ein, in dem er die Freude auf eine gemeinsame Arbeit für Fortschritte in der Europäischen Union unterstrich.

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