Die Wahlschlacht schien geschlagen: Alexander Van der Bellen bereitete sich schon auf den Einzug in die Hofburg vor. Jetzt ist alles wieder fraglich: Pannen geben der FPÖ die Chance, die Bundespräsidentenwahl in Österreich anzufechten.

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Die Grünen reagieren auf die gegnerische Justizoffensive betont cool. "Es ist zulässig, rechtliche Schritte zu ergreifen", sagt Lothar Lockl. Der Wahlkampfleiter des designierten österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen fügt hinzu: "Wir sehen dem gelassen entgegen."

Damit hat er nicht ganz die Stimmung im Land getroffen. Denn was FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei einer Pressekonferenz präsentierte, war ein Paukenschlag.

Die Rechtspopulisten haben in nicht weniger als 94 von 117 Wahlbezirksämtern zumindest formale Fehler beim Auszählen der entscheidenden Briefwahlstimmen gefunden. Die FPÖ ficht deshalb das äußerst knappe Ergebnis der Stichwahl vom 22. Mai vor Gericht an.

FPÖ-Kandidat Norbert Hofer war seinem von den Grünen unterstützten Kontrahenten nur um 30.863 Stimmen unterlegen. Der Verfassungsgerichtshof prüft nun bis spätestens Anfang Juli, ob die Wahl ganz oder teilweise wiederholt werden muss.

"Wir sind keine schlechten Verlierer", betonte Strache bei der Pressekonferenz in der überfüllten FPÖ-Zentrale. Es gehe vielmehr um die Grundfesten der Demokratie.

Eingebürgerte Schlampereien

"Die Bundespräsidentenwahl 2016 ist, wie immer dieses Verfahren ausgeht, eine fatale Visitenkarte des österreichischen Rechtsstaates", heißt es in der Wahlanfechtung der FPÖ.

Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer, der Strache als Jurist zur Seite steht, verwies auf die lange Tradition der Ungenauigkeiten bei Wahlen in der Alpenrepublik. "Es gibt Schlampereien, die sich in den letzten Jahrzehnten eingebürgert haben."

Worum geht es im Einzelnen?

In 82 Bezirkswahlbehörden sind laut FPÖ Briefwahlkarten wegen angeblicher Nicht-Gültigkeit noch vor Eintreffen der Wahlkommissionen zu früh aussortiert worden.

Im niederösterreichischen Waidhofen an der Ybbs lag die Wahlbeteiligung bei 146,9 Prozent. Dabei wurde das Urnenergebnis doppelt und die Briefwahl gar nicht gezählt.

Ungereimtheiten haben die Rechtspopulisten auch bei den Wählerlisten entdeckt. Angeblich tauchen dort auch nicht wahlberechtigte Ausländer auf.

Reihe von Unregelmäßigkeiten zur Anzeige gebracht

Vom Innenministerium wurde bereits bestätigt, dass in einem Fall einige Jugendliche unter 16 Jahren ihre Stimme abgegeben hatten.

Ohnehin hatten die Behörden von sich aus eine Reihe von Unkorrektheiten zur Anzeige gebracht. Insgesamt ging es dabei aber um eine sehr überschaubare und für das Gesamtergebnis nicht relevante Zahl von Stimmen.

Jedenfalls hat der neue Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) schon kurz nach der Wahl eine kritische Überprüfung aller Abläufe und intensivere Schulungen der Wahlhelfer angekündigt. Außerdem befürwortete er ein zentrales Wählerregister.

Heinz Fischer bemängelt Nichteinhalten von Vorschriften

Auch der scheidende Bundespräsident Heinz Fischer fand vor einigen Tagen in einem Interview der Zeitung "Die Presse" deutliche Worte. Die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten seien "ein unakzeptables Nichteinhalten klarer Rechtsvorschriften".

Trotzdem betonte der Sozialdemokrat, der nach zwei Amtsperiode verfassungsgemäß abtritt, dass es dabei nicht um die Verzerrung des Wahlresultats oder die Bevorzugung eines Kandidaten gegangen sei.

Anfechtungen von Wahlen sind in Österreich nicht ganz neu. Bei der ersten Wahl von Heinz Fischer 2004 hatten sich drei Mitbewerber über die hohe Zahl an nötigen Unterstützer-Unterschriften vor Gericht beschwert. 1995 wählte eine Ministerin im falschen Sprengel - dort musste die Wahl wiederholt werden.

Strache: "Ausmaß ist erschreckend"

"Das Ausmaß ist mehr als erschreckend und mehr als relevant", sagte Strache zum jetzigen Stand der FPÖ-Ermittlungen. Man müsse kein Verschwörungstheoretiker sein, um ein schlechtes Bauchgefühl bei diesen Entwicklungen zu haben.

Die Bundeswahlbehörde werde nun voraussichtlich vom Verfassungsgerichtshof zu einer umfassenden Stellungnahme aufgefordert, sagte der Wahlleiter des Innenministeriums, Robert Stein.

Zu den Vorwürfen der FPÖ könne er im Detail noch keine Stellung nehmen, da der Akt noch nicht vorliege. Sollte das Verfassungsgericht wider Erwarten mit seinem Urteil länger als bis zur geplanten Vereidigung am 8. Juli brauchen, müssten zunächst die Parlamentspräsidenten kommissarisch einspringen.

Das wären Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) und ihre beiden Vertreter: Karlheinz Kopf (ÖVP) - und der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. (dpa/ank)

Mehr zur Bundespräsidentenwahl 2016  © dpa

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