Journalisten haben aufgezeigt, wie man andere Bürger um ihr Wahlrecht bringen kann. Das Sicherheitsleck könnte theoretisch für eine neuerliche Wahlaufhebung reichen. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass es dazu kommen wird?
Moritz Moser hätte es in der Hand gehabt. Mit nur wenigen Mausklicks wäre er in der Lage gewesen, einen oder mehrere beliebige Wahlberechtigte in Vorarlberg um ihr Stimmrecht zu bringen. Der Online-Journalist von "NZZ.at" nutzte ein Datenleck bei der elektronischen Anforderung von Wahlkarten und deckte auf, wie schlampig die Behörden im Ländle mit heiklen Informationen von Staatsbürgern umgehen. "Wenn ich das Geburtsdatum und die Heimatgemeinde eines Stimmberechtigten kenne, könnte ich seine Wahlkarte nach Moskau schicken", sagt Moser. Er müsste nur eine Passnummer erfinden. Der Betroffene wäre machtlos, seine Briefwahlkarte verloren.
Mosers Kollege Marian Smetana von den "Salzburger Nachrichten" zeigte, dass der üble Trick auch in anderen Bundesländern funktioniert: In Oberösterreich zum Beispiel, oder in Niederösterreich. Auch in Graz käme man mit der Masche teilweise durch.
Vorerhebungen gegen die Aufdecker
Beide Journalisten wollten auf einen Missstand aufmerksam machen. Dazu genügte es, die Möglichkeit zur Manipulation aufzuzeigen. Sie haben niemanden um sein Wahlreicht gebracht. Dennoch hat der für Wahlen zuständige Innenminister
Denn die nun bekannt gewordene Schlamperei bei den Briefwahlstimmen ist nur die bislang letzte in einer Reihe von gravierenden Pannen der Behörden im Umgang mit Wahlen. Der Schlendrian hat dazu geführt, dass der Verfassungsgerichtshof die Bundespräsidentschaftswahl vom Mai aufgehoben hat. Ein vom Parlament festgesetzter Neuwahltermin im Oktober platzte, weil neuerliche Ungereimtheiten aufgetaucht waren. Nun sollen die Österreicherinnen und Österreicher am 4. Dezember zu den Urnen gerufen werden. Wird auch dieser Termin verschoben?
Vermutlich nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich in vier Wochen entscheiden, ob der künftige Präsident in der Hofburg
Verschiebung wäre ein politischer Kraftakt
Die Verschiebung des Oktober-Termins war ein politischer Kraftakt des Ministers, der keineswegs zwingend notwendig war. Vor zwei Monaten wurde bekannt, dass zahlreiche bereits verschickte Wahlkarten-Kuverts für die Präsidentschaftswahl schadhaft und damit ungültig waren. Dasselbe Problem zeigte sich in der Bundeshauptstadt Wien, wo nahezu zeitgleich eine Bezirkswahl anstand. Doch die SPÖ-dominierte Stadtregierung entschied anders als der konservative Innenminister. Die Bezirkswahl fand statt.
Eingriff in den Wahlkampf
Mit der Terminverschiebung griff der Innenminister massiv in die Dynamik des Wahlkampfes der zwei Kandidaten ein. Beide hatten bereits den Großteil ihres Kampagnen-Budgets für Plakate verpulvert, die damit unnütz geworden waren. Zudem verstärkte die Verschiebung den Unmut in der Bevölkerung über den Behörden-Schlendrian. Ausgerechnet die Wahl des Staatsoberhauptes schürte Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Urnengängen in Österreich. Das ist nichts, womit man als zuständiger Minister leichtfertig umgeht.
Aber ließe sich eine neuerliche Verschiebung juristisch begründen? Fakt ist, dass der Verfassungsgerichtshof die Wahl im Mai aufgehoben hat, weil die Möglichkeit einer Veränderung des Wahlergebnisses durch Manipulation nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Höchstrichter haben keinen einzigen Beweis für Wahlfälschung gefunden. Ihre Entscheidung war eine Vorsichtsmaßnahme, um das Vertrauen in die Demokratie nicht zu gefährden.
Theoretische Möglichkeit bleibt
Bei einem extrem knappen Wahlergebnis ließe es sich womöglich nicht mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass manipulierte Stimmen den Ausschlag zugunsten eines der beiden Kandidaten gaben. Das räumt der Parteienforscher Hubert Sickinger im Gespräch mit unserer Redaktion ein. "Ich glaube aber nicht, dass es sich bei dem aufgezeigten Missstand um ein Massenphänomen handelt." De facto sei eine Manipulation des Wahlergebnisses rechnerisch auszuschließen – nicht zuletzt, da das Innenministerium verstärkte Kontrollen angeordnet hat.
Realpolitisch wiederum ist davon auszugehen, dass weder Van der Bellen noch Hofer im Falle einer Niederlage Interesse an einer neuerlichen Wahlanfechtung haben. Es ist unschwer zu erkennen, dass die Bevölkerung keinen dritten Urnengang möchte. Der Unmut würde sich wohl gegen denjenigen richten, der einen solchen provoziert hat.
Bleibt die Frage offen, ob die beiden Aufdecker-Journalisten nun mit ernsthaften strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen. Kaum, glaubt Experte Sickinger. "Sie haben sich ja die Wahlkarten nicht zuschicken lassen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass da strafrechtlich irgendetwas zu finden ist."
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