Der Bundespräsidentschaftskandidat findet es erfrischend, dass eine Frau ohne parteipolitische Vergangenheit an der Wahl teilnimmt. Den Jungen Grünen gesteht er das Recht auf Widerstand zu, auch wenn es gegen seine eigene Person geht.

Ein Interview
von Christian Granbacher

Ausgerechnet die Jungen Grünen haben sie zuletzt scharf kritisiert. Diese sind der Ansicht, Sie wären in wirtschaftlichen Fragen neoliberal und würden weiter rechts stehen als viele denken. Wie verwundert waren Sie darüber?

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Alexander Van der Bellen: Ich war schon sehr verwundert. "Neoliberaler" ist in Österreich ja eigentlich ein Schimpfwort. Und so richtig harte Neoliberale kenne ich in der österreichischen Wirtschaftspolitik kaum. Ich werde schon mal mit den Jungen Grünen reden. Aber es ist ja das Vorrecht der Jugend insgesamt und der Grünen Jugend im Speziellen, immer Widerstand zu leisten, wenn es geht. Das ist schon ok.

Ihnen wurde beispielsweise vorgeworfen, dass Sie für Studiengebühren sind. Ist es nicht wirklich so, dass Studiengebühren derzeit Jugendliche aus den ärmeren Gesellschaftsschichten davon abhalten, ein Studium zu beginnen?

Ich spreche mich nur für Gebühren aus, wenn gleichzeitig das Stipendiensystem ausgebaut wird. Von mir aus kann man die gesamten Einnahmen aus künftigen Studiengebühren für Stipendien verwenden. Und das wäre ein echter Fortschritt. Weil derzeit viel zu viele Studenten gezwungen sind, nebenher zu arbeiten. Und wenn diese Arbeit nicht halbwegs auf den späteren Beruf bezogen ist, ist es oft verlorene Zeit. Das kann nicht im Sinne des freien Zugangs zum Studium sein.

Es hat geheißen, Sie hätten geheiratet um den konservativen Wählern besser zu gefallen. Ist da was dran?

Nein, das soll man nicht von so etwas abhängig machen. Bundespräsident Gauck in Deutschland zeigt ja, dass es auch anders geht. Das ist also kein wirklich tragfähiges Argument.

Zu Silvester gab es die schlimmen Vorkommnisse in Köln sowie in anderen deutschen und österreichischen Städten. Wie sehr waren Sie persönlich überrascht oder enttäuscht über die sexuellen Übergriffe, die es gegeben hat?

Ich war entsetzt. Gegen solche Täter ist die ganze Strenge des Gesetzes anzuwenden. Wobei man sagen muss, dass in Deutschland offenbar die entsprechenden Strafbestimmungen etwa beim "Grapschen" nicht so scharf sind wie in Österreich. Da haben die Deutschen noch Nachholbedarf. Aber unabhängig davon, wer so etwas macht: Das ist inakzeptabel.

Denken Sie, die Ereignisse waren ein großer Einschnitt, was die Willkommenskultur betrifft - oder war das eine einmalige Sache?

Ich hoffe, es wird einmalig bleiben. Ich würde das Stichwort "Willkommenskultur" nicht überbetonen. Tatsache ist, dass zehntausende Leute in Österreich wie auch in Deutschland sich freiwillig bereit erklärt haben, zu helfen. Sie investieren ihre Zeit und unterstützen Flüchtlinge mit Geld- und Kleiderspenden. Das finde ich bewundernswert. Und ich möchte nicht, dass "Willkommenskultur" plötzlich einen negativen Beigeschmack bekommt. Wenn es das gibt, eine Willkommenskultur, dann ist das gut. Und wenn es einzelne Leute gibt, die diese Kultur nicht verdienen, müssen wir das auch zur Kenntnis nehmen. Denn mit Blauäugigkeit ist niemandem gedient.

Strafrechtlich scheint es bisher keine Konsequenzen für die Täter gegeben zu haben.

Solche Übergriffe sind nicht nur extrem ärgerlich, sondern gehören unterbunden, im Keim erstickt und bestraft. Dass da kein Missverständnis entsteht. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass Gewalttaten, Mordanschläge, Brandanschläge, körperliche Übergriffe und Schlägereien bisher in Deutschland von der rechtsextremen Szene ausgegangen sind und nicht von Ausländern, geschweige denn von Flüchtlingen.

Das Erschreckende in Köln war, dass sich so viele Männer zusammengetan haben. Es war ein Massenphänomen.

Ja, das stimmt. Allerdings ist zum Beispiel die Frage zu prüfen, wie viele von ihnen alkoholisiert waren. Und wenn sie alkoholisiert waren, dann hat das sicher nichts mit dem Glauben zu tun. Denn den Muslimen ist der Alkohol verboten. Und man soll nicht wegen mehrerer Täter eine gesamte Gruppe unter Pauschalverdacht stellen.

In den Umfragen liegen Sie vorne. Wie hoch schätzen Sie selbst Ihre Chancen ein, dass Sie der nächste Bundespräsident sein werden?

(lacht) Die Chance ist intakt, aber ich mache mir keine Illusionen. Es fließt bis zum Wahltag noch viel Wasser die Salzach, den Inn und die Donau hinunter. Es freut mich natürlich, dass ich diese Zustimmung bei den österreichischen Wählerinnen und Wählern finde. Mein Ziel ist es, zunächst in die Stichwahl zu kommen, dann ist wirklich alles möglich.

Wie bewerten Sie, dass mit Irmgard Griss eine Dame antritt, die parteipolitisch noch überhaupt nirgends zu verorten war?

Das ist eine interessante Sache. Sie ist sicher eine sehr intelligente und im Justizwesen erfahrene Frau. Das ist einmal wirklich ein erfrischendes Element bei so einer Wahl.

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