Am Sonntag bestimmen die Hamburger eine neue Bürgerschaft. Warum die Abstimmung für ganz Deutschland wichtig ist – und warum die Wählerinnen und Wähler gleich zehn Stimmen verteilen können.

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Rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschlands zweitgrößter Stadt sind am Sonntag aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Nicht nur in Hamburg selbst ist die Bürgerschaftswahl von Interesse. Im dortigen Rathaus regiert derzeit das letzte rot-grüne Bündnis auf Landesebene.

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In anderen Ländern mussten sich SPD und Grüne Hilfe von anderen Parteien holen. Außerdem ist die Abstimmung in Hamburg nach jetzigem Stand die einzige Landtagswahl in diesem Jahr – wenn nicht auch noch in Thüringen neu gewählt wird. Fünf Fakten zur Bürgerschaftswahl am Sonntag:

1. Stimmungstest in Hamburg nach dem Thüringen-Sturm

Die politische Landschaft ist bundesweit in Aufruhr, seit CDU und FDP im Thüringer Landtag zusammen mit der AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt haben. Die thüringische Landeshauptstadt Erfurt ist von Hamburg zwar fast 300 Kilometer entfernt. Doch die Bürgerschaftswahl ist nach den Thüringer Turbulenzen auch für die Bundesparteien in Berlin ein wichtiger Stimmungstest.

Wie bewerten gerade die Wähler von CDU und FDP im Norden das Manöver der Parteien in Thüringen? Verhageln die Geschehnisse zum Beispiel den mit der Fünf-Prozent-Hürde kämpfenden Hamburger Liberalen den Wiedereinzug in die Bürgerschaft?

Die Umfragen lassen für beide Parteien jedenfalls nichts Gutes vermuten. Den Christdemokraten droht mit rund 14 Prozent das schlechteste Hamburger Ergebnis in der Parteigeschichte.

2. Die höchste Wirtschaftsleistung – und die längsten Staus

Mit rund 1,8 Millionen Einwohnern gehört der Stadtstaat an der Elbe zu den kleineren Bundesländern – aber er ist auch ein Land der Superlative. Rechnet man die Wirtschaftsleistung der Bundesländer auf ihre Einwohner um, erreicht Hamburg mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 65.603 Euro den ersten Platz.

Die florierende Wirtschaft rund um Deutschlands größten Hafen und die zentrale Lage im Norden bringen allerdings auch unrühmliche Rekorde mit sich: Einer Analyse des Navigationsgeräteherstellers Tom Tom zufolge ist Hamburg Deutschlands "Stauhauptstadt". Im Schnitt verlängert sich die Fahrtzeit mit dem Auto dort wegen Staus täglich um 34 Prozent.

3. Junge Wähler, viele Stimmen

Das Hamburgische Wahlrecht weist einige Besonderheiten auf: Mitwählen dürfen schon Jugendliche, die das 16. Lebensjahr vollendet haben – in vielen Bundesländern ist das erst ab 18 möglich. Zudem hat jede Wählerin und jeder Wähler insgesamt zehn Stimmen.

Fünf Stimmen kann man auf einem gelben Zettel für die Landeslisten verteilen. Dort kann man alle fünf Stimmen einer Partei geben, man kann sie aber auch auf verschiedene Kandidaten oder Parteien verteilen.

Das gilt auch für den roten Zettel, mit dem die Wähler bestimmen, welche Kandidaten es aus ihrem Wahlkreis in die Bürgerschaft schaffen. Ob so viel Mitbestimmung beim Wähler ankommt, ist allerdings fraglich. 2015 gingen 56,5 Prozent der Wahlberechtigten in Hamburg an die Urnen – damals ein Negativrekord.

4. Eine der letzten SPD-Hochburgen – auch ohne die neue Parteispitze

Im Hamburger Rathaus hat mit Ole von Beust zwar schon ein CDU-Bürgermeister regiert, in der Nachkriegsgeschichte war die Hansestadt aber die meiste Zeit in sozialdemokratischer Hand.

Um die 38 Prozent könnte die SPD den letzten Umfragen nach dieses Mal erreichen – das wäre für die krisengeschüttelte Partei im Vergleich mit anderen Landesparlamenten ein denkwürdiges Ergebnis.

Hamburg gilt als rote Hochburg. Und die SPD kann hoffen, dass das so bleibt: 54 Prozent der Hamburger wünschen sich einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zufolge Amtsinhaber Peter Tschentscher wieder als Ersten Bürgermeister. Der Mediziner gilt als hanseatisch kühl, aber nicht so trocken wie sein Vorgänger Scholz. "Ein Typ für fast jeden Geschmack", schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Anfang Januar hatten SPD und Grüne in Umfragen noch fast gleichauf gelegen. Inzwischen haben die Sozialdemokraten aber einen deutlichen Vorsprung vor ihrem Koalitionspartner.

Ein Erfolg Tschentschers würde sicher auch der Parteispitze in Berlin gefallen – dabei durfte sich das neue Vorsitzenden-Duo im Wahlkampf nicht wirklich einbringen. Tschentscher hatte Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bewusst nicht nach Hamburg eingeladen.

5. Ein höchst fragwürdiges Steuergeschenk

Eigentlich könnte sich der Amtsinhaber also zurücklehnen und den Sonntag gelassen erwarten. Allerdings haben Recherchen der Wochenzeitung "Die Zeit" und des ARD-Magazins Panorama der SPD zum Endspurt hin noch ein ziemlich unangenehmes Wahlkampfthema beschert:

Eine Hamburger Privatbank soll dem Staat mit illegalen Cum-Ex-Geschäften Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern vorenthalten haben. Den Medienberichten zufolge ließen die Hamburger Finanzbehörden im Jahr 2016 die deswegen fällige Steuerrückzahlung von 47 Millionen Euro verjähren – ein teures Geschenk an die Bank?

Die Affäre ist für die SPD brisant. Denn der zuständige Finanzsenator war 2016 der heutige Bürgermeister Tschentscher. Zudem soll Bundesfinanzminister und Ex-Bürgermeister Olaf Scholz den Aufsichtsratschef der Privatbank getroffen haben. Ob die Wähler den Regierenden das übel nehmen, wird sich am Sonntag zeigen.

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Verwendete Quellen:

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