Die Geschichte lehrt, dass man als Regierungspartei mit Neuwahlen nicht spielt. Man bräuchte dafür einen plausiblen Grund und gute Umfragewerte. Beides ist nicht gegeben.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Meine Damen und Herren, es reicht!" Mit diesen Worten eröffnete der damalige ÖVP-Chef Wilhelm Molterer der Öffentlichkeit, dass seine Partei Neuwahlen auszurufen gedenke. Das war im Sommer 2008.

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Damals wie heute stellen Rot und Schwarz die Bundesregierung, damals wie heute sekkieren sich beide Parteien gegenseitig bis aufs Blut.

Als wenige Monate nach Molterers Sager tatsächlich Wahlen anstanden, reichte es den Österreichern: SPÖ und ÖVP verloren gemeinsam 15 Prozentpunkte und damit die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Bald darauf bildeten die gerupften Streithähne erst recht wieder eine "Große Koalition", die diesen Namen nicht mehr verdiente.

Mit Neuwahlen spielt man nicht

Spätestens seit damals wissen selbst Heißsporne in den Parteizentralen: Mit Neuwahlen spielt man nicht. Der Schuss geht mit hoher Wahrscheinlichkeit nach hinten los.

SPÖ und ÖVP haben einen ungefährlicheren Zeitvertreib gefunden: Alle paar Monate werfen sie dem jeweils anderen vor, heimlich Neuwahlen anzustreben.

Jetzt ist es wieder einmal so weit. "Neuwahlen liegen ein bisschen in der Luft", erklärte die schwarze Familienministerin Sophie Karmasin am Montag. Ihre Partei, die ÖVP, habe aber damit nichts zu schaffen. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) arbeite darauf hin. Selbst ein möglicher Wahltermin wird kolportiert: der 21. Mai.

Kanzler Kern macht Ernst

Kern will das von seinem Vorgänger Werner Faymann unterschriebene Regierungsprogramm nach eigenem Gutdünken verändern. Es ist ihm ernst, aber die ÖVP will davon nichts wissen. Erstens, weil Kerns Vorschläge sozialdemokratisch sind und zweitens, weil sie ihm die einseitige Profilierung nicht gönnen möchte.

Nun geht Kern zum Angriff über: Er keilt ein wenig in Richtung ÖVP und setzt ihr ein Ultimatum: Bis Freitag will der Bundeskanzler eine Einigung bei wichtigen Punkten des Regierungsprogramms. Auch das gehört zum Spiel: Es ist eine etwas ruppigere Aufforderung zum Verhandeln.

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Neuwahlen wären für beide Parteien riskant

Denn Neuwahlen würde beiden Parteien gerade jetzt überhaupt nicht in den Kram passen. Die FPÖ liegt in Umfragen seit mehr als einem Jahr konstant vor der SPÖ, die ÖVP dümpelt weit abgeschlagen bei 20 Prozent.

Die Tageszeitung "Die Presse" will zwar von einer unveröffentlichten internen Umfrage der SPÖ wissen, laut der die Roten erstmals wieder vorne liegen. Doch selbst wenn die Sozialdemokraten unter Kern knapp vorne liegen, werden sie kaum in der Lage sein, ohne die FPÖ eine stabile Regierung zu bilden. Eine rot-blaue Koalition aber würde die SPÖ mit hoher Wahrscheinlichkeit zerreißen.

Plausible Gründe? Fehlanzeige!

Es ist nicht auszuschließen, dass die für 2018 angesetzten Nationalratswahlen vorgezogen werden. Bloß müsste es dafür einen triftigen Grund geben. Dass die Regierung einem frisch angelobten Bundespräsidenten traditionell ihren Rücktritt anbietet, reicht nicht.

ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel hatte einen plausiblen Grund, als er 2002 seine schwarz-blaue Koalition auflöste: Damals war die FPÖ aufgrund interner Querelen regierungsunfähig.

Ein solcher Anlass ist derzeit nicht in Sicht. Dass sich Rot und Schwarz nicht riechen können, obwohl sie gemeinsam regieren, ist nichts Neues.

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