Dass sich die globale Handelsordnung innerhalb weniger Stunden aus den Angeln heben ließe, hätten selbst pessimistische Ökonomen bis vor kurzem kaum für möglich gehalten. Doch mit seinem selbsternannten "Befreiungstag" hat US-Präsident Donald Trump genau das bewirkt.
Binnen fünfzig Minuten – so lange dauerte
Ironischerweise dürften nun aber viele Amerikaner selbst die Zeche zahlen, für die der "Liberation Day" vor allem eines war: ein Tag der Befreiung von substanziellen Wohlstandsgewinnen, die Amerika durch Jahrzehnte globalisierter Märkte erfahren hat.
Trumps Begründung für die Zölle ist falsch
Denn anders als Trump suggeriert, ist das Handelsbilanzdefizit der USA nicht das Ergebnis unfairer Praktiken, sondern vielmehr Ausdruck einer bestimmten Konsumkultur: Amerikaner geben mehr aus, als sie sparen – insbesondere für günstige Importwaren.
Das führt zwangsläufig dazu, dass die USA mehr importieren als exportieren, was sich in der Handelsbilanz wiederum als "Defizit" niederschlägt.
Tatsächlich ist der Import preiswerter Produkte aus Ländern mit niedrigeren Löhnen, geringerer Regulierung und niedrigeren Produktionskosten seit Jahrzehnten ein Wohlstandsbringer für die amerikanische Mittelschicht. Eine strukturelle Benachteiligung durch das Ausland ist das Handelsdefizit hingegen nicht.
Amerikaner profitierten bisher von globaler Arbeitsteilung
Beispiele dafür gibt es viele: iPhones – entworfen in Kalifornien und produziert in China – erscheinen als Verlust in der Handelsbilanz, während Apple als amerikanisches Unternehmen Milliarden mit Software, Cloud-Diensten und dem App Store verdient und in hoch bezahlte US-Jobs investiert.
T-Shirts für fünf Dollar oder Jeans für zehn in amerikanischen Discountern wären ohne Importe aus Bangladesch, Vietnam oder Mexiko nicht denkbar. Und günstige Medikamente gegen Bluthochdruck oder Diabetes, sogenannte Generika, aus Indien oder Europa sichern Millionen Amerikanern überhaupt erst eine medizinische Versorgung.
Die Liste ließe sich lange fortsetzen und reicht von deutschen Autos über asiatische Möbel bis hin zu kanadischem Dünger. Nicht alles selbst herstellen zu müssen, bedeutet für US-Bürger auch mehr Auswahl, bessere Qualität und niedrigere Preise.
Trumps Versuch, diesen Weg umzukehren, ist daher nicht nur eine Drohung an den Rest der Welt, sondern auch ein Wohlstandsvernichtungsprogramm für das eigene Land.
So verteuern Zölle viele Produkte
Das liegt zuallererst daran, dass Zölle technisch wie eine Steuer wirken: Sie verteuern Importe. Die sogenannte Zollinzidenz wiederum beschreibt, wer diese Kosten letztlich trägt, also ob Unternehmen die Zölle schlucken oder per Preiserhöhung auf Verbraucher umlegen.
Besonders bei Massenprodukten mit engen Margen bleibt Importeuren kaum eine Wahl: Sie geben die höheren Kosten an die Verbraucher weiter. Große US-Konzerne wie Walmart, Best Buy oder AutoZone hatten daher bereits vor Trumps Ankündigung erklärt, dass genau das passieren würde.
Die Folgen treffen wiederum überproportional einkommensschwache Haushalte, die einen großen Teil ihres Budgets für Güter des täglichen Bedarfs aufwenden – und dort kaum ausweichen oder sparen können.
Ähnliches könnte aber auch bei Luxusgütern passieren: Laut Analysten von Rosenblatt Securities würde das neue iPhone 16e beispielsweise statt 799 künftig 1.142 Dollar kosten, das iPhone 16 Pro Max sogar 2.300 statt 1.599 Dollar, sofern Apple Trumps Zölle weitergibt. Die Anderson Economic Group rechnet bei Fahrzeugen, die Teile aus Mexiko und Kanada enthalten, wiederum mit Preisaufschlägen von 4.000 bis 10.000 Dollar, je nach Modell.
Kaufkraft vieler Amerikaner dürfte sinken
Auch ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt, dass die Zollinzidenz bei amerikanischen Zöllen tendenziell hoch ist. Bereits 2018, im Zuge früherer Trump-Zölle auf Haushaltsgeräte, stiegen die Preise für Waschmaschinen und Trockner fast genau um den Betrag der Zölle.
Das lag auch an Trittbrettfahrern auf dem amerikanischen Markt: Also heimischen Unternehmen, die ihre Preise knapp unter das Niveau der nun teurer gewordenen Importwaren anhoben und damit zusätzliche Margen abschöpften.
Die Zölle materialisierten sich damals also vor allem in einer deutlich gesunkenen Kaufkraft für viele Amerikaner. Auch diesmal könnte es wieder so laufen: Die US-Notenbank Fed rechnet bereits jetzt mit einem ordentlichen Inflationsschub als Folge von Trumps Maßnahmen.
Dazu kommt, dass auch Unternehmen, die auf internationale Vorprodukte angewiesen sind, an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Autobauer brauchen Stahl, Maschinenbauer Elektronik, Landwirte kanadischen Dünger – alles Güter, die durch Zölle teurer werden. Steigende Kosten fressen Gewinne auf und bremsen Investitionen in neue Maschinen, Personal oder höhere Löhne.
Am Horizont droht ein Horrorszenario
Am Horizont droht deshalb ein Szenario, das Ökonomen besonders fürchten: Eine sogenannte Stagflation, also eine Kombination aus steigenden Preisen und wirtschaftlicher Stagnation. Auf dem Wettmarkt Kalshi setzten am Samstagnachmittag 61 Prozent der Anleger auf eine baldige Rezession. J.P. Morgan beziffert das Risiko sogar auf 60 Prozent.
Und erste Frühindikatoren zeigen mittlerweile, dass sich der Arbeitsmarkt abkühlt: Laut dem Branchenverband IPC haben bereits 18 Prozent der befragten Elektronikfirmen einen Einstellungsstopp verhängt, ähnliche Werte meldet der Einzelhandelsverband NAW.
Vielen Rentnern drohen empfindliche Einschnitte
Und dann wären da noch die Effekte für jene Amerikaner, die ihr Geld in Aktien und Fonds investiert haben. So ist bei Arbeitnehmern vor allem der sogenannte 401k-Plan beliebt, ein zentrales Element der Altersvorsorge, das ganz wesentlich vom Aktienmarkt abhängt. Arbeitnehmer zahlen in diesen Fonds einen Teil ihres Gehalts, der wiederum mit einem Zusatzbeitrag vom Arbeitgeber bezuschusst und steuerbegünstigt in Aktien, Anleihen oder Mischfonds angelegt wird.
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Für viele dieser Menschen hat sich durch Trumps Politik innerhalb weniger Tage ein nennenswerter Teil ihrer Altersvorsorge bilanziell in Luft ausgelöst – besonders ältere Arbeitnehmer mit kürzerem Anlagehorizont dürfte nun nervös sein. Für Trump könnte dieser Frust mit Blick auf die Midterm-Elections im November 2026 gefährlich werden, weil das einen nennenswerten Teil seiner Wählergruppe betrifft.
Für viele von ihnen dürfte es schließlich egal sein, ob Trump eine harte Migrationspolitik fährt. Ob sie ihren Lebensabend samt Haus und SUV dank seiner Zölle aber aufgeben müssen, wird ihnen eher nicht egal sein.
Verwendete Quellen
- nbc.com: NBC - Target and Best Buy warn of price hikes from Trump's tariffs
- Kalshi.com: Recession this year?
- reuters.com: A $2,300 Apple iPhone? Trump tariffs could make that happen
- ipc.com: Electronics Industry Demand Strengthens in March
- nytimes.com: Powell Says Trump’s Tariffs Raise Risks of Faster Inflation and Slower Growth
- youtube.com: Trump announces broad tariffs at ‘Liberation Day’ White House event