Jimmy Carter galt als einer der erfolglosesten Präsidenten in der Geschichte der USA. Doch das harte Urteil wurde seinem politischen Engagement nicht gerecht. Auch im hohen Alter kämpfte der Demokrat für Menschenrechte und den Frieden. Nun ist Carter im Alter von 100 Jahren gestorben.

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Der frühere US-Präsident Jimmy Carter ist tot. Der 39. Präsident der Vereinigten Staaten starb am Sonntag in Plains im US-Bundesstaat Georgia im Kreise seiner Familie, wie Carters Stiftung mitteilte – 13 Monate nach dem Tod seiner Frau Rosalynn. Carter wurde 100 Jahre alt.

Er hinterlässt vier Kinder, 11 Enkelkinder und 14 Urenkel. "Mein Vater war ein Held - nicht nur für mich, sondern für alle, die an Frieden, Menschenrechte und selbstlose Liebe glauben", zitierte die Stiftung Carters Sohn Chip. Geplant seien öffentliche Trauerfeiern in Atlanta und der US-Hauptstadt Washington.

Carter wird mit Staatsbegräbnis gewürdigt

Der US-Präsident Joe Biden würdigte Carter als einen "Mann mit großem Charakter und Mut, Hoffnung und Optimismus". In einer Stellungnahme schrieb er über Carter: "Er hat das Leben von Menschen auf der ganzen Welt gerettet, verbessert und verändert." Biden rief den 9. Januar zu einem nationalen Trauertag aus und ordnete an, die US-Flagge auf dem Weißen Haus sowie die Flaggen an allen Regierungsgebäuden, Militäreinrichtungen und Botschaften im Ausland für 30 Tage auf halbmast zu setzen. Er werde zudem ein Staatsbegräbnis anordnen, das in der Hauptstadt Washington stattfinden solle, erklärte Biden.

Die Bestürzung, die Carters langsamer Abgang in den vergangenen Monaten von Los Angeles bis Washington ausgelöst hat, kann man durchaus als Treppenwitz deuten. Denn kaum ein Präsident hatte während seiner Amtszeit und auch noch in den Jahren danach schlechtere Beliebtheitswerte als der schlanke, mittelgroße Mann mit dem freundlichen Lächeln. "Der schlechteste Präsident aller Zeiten" war eine der freundlicheren Schlagzeilen, die Carter über sich lesen musste. Auch das ist nicht alltäglich für den mächtigsten Mann der Welt.

Carter: Ein ewiger Outsider in Washington

Vielleicht lag es auch daran, dass Carters Präsidentschaft ohnehin wie ein Betriebsunfall der Geschichte wirkte? Als Carter 1974 mit den Worten "Hallo, ich bin Jimmy Carter, ich will Präsident werden" seinen Weg ins Weiße Haus antrat, fehlten ihm zwei Dinge: Dollars und Beziehungen - die üblichen Zutaten, ohne die eigentlich niemand Präsident wird. "Jimmy Who?" oder "Präsident von was?" lauteten die spöttischen Gegenfragen der amerikanischen Tageszeitungen. "Jimmy Who" wurde später auch sein Spitzname. Zwar war Carter als ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates Georgia in der Politik kein Unbekannter. Doch anders als die meisten Präsidenten hatte er nie als Abgeordneter oder Senator auf Bundesebene gedient, geschweige denn als Minister.

Gleichzeitig war es diese Biografie, die Carter den Weg ins Weiße Haus ebnete. Die von Vietnam und Watergate, Inflation und Ölkrise erschöpfte amerikanische Nation sehnte sich nach einem Neuanfang. Weil man sah, wohin die Insider geführt hatten, wollte man es nun mit einem Außenseiter versuchen. Carters bodenständiges Auftreten und seine Lebensgeschichte passten ins Anforderungsprofil.

Nach einer vielversprechenden Karriere in der Navy, wo er unter anderem Nukleartechnik für neue U-Boote unterrichtete, rettete er die Erdnussfarm seiner Eltern. Das erste Jahr war hart, seine Frau Rosalynn und er lebten in einer Art Sozialwohnung, eine Dürre vernichtete die Ernte, sie machten nur 187 Dollar Gewinn. Diese Geschichte war vom Watergate-Sumpf so weit entfernt wie der Rosengarten des Weißen Hauses von der Lebenswirklichkeit der meisten Amerikaner. Manche behaupten sogar, er, der bibelfeste Bauernsohn mit dem breiten Südstaatenakzent, habe die Wahl damals vor allem wegen seines breiten, offenen Grinsens gewonnen. Da mag etwas dran sein.

Carters Einzug ins Weiße Haus erwies sich dagegen als weitgehend chaotisch. Er hatte es versäumt, rechtzeitig ein Team erfahrener Mitarbeiter zusammenzustellen, verzichtete von vornherein auf einen Stabschef und machte Außenpolitik weitgehend an seinen Außenministern vorbei. Während die Menschen unter hohen Inflationsraten litten, die Energiekosten durch die OPEC-Krise in die Höhe schossen und Amerika geradewegs auf eine Rezession zusteuerte, war dies ein törichtes Unterfangen. Der Demokratischen Partei, die ihn aus der Not heraus nominiert hatte, blieb er fremd.

Große außenpolitische Erfolge bereits in den ersten Monaten

Gleichzeitig gelang es ausgerechnet dem Innenpolitiker Carter, dessen außenpolitische Leitlinien im Wahlkampf weitgehend blass geblieben waren, zu Beginn seiner Amtszeit außenpolitische Erfolge zu verbuchen. Nach jahrelangen Kriegen und Konflikten zwischen Ägypten und Israel brachte Carter im September 1978 den ägyptischen Präsidenten Sadat und den israelischen Ministerpräsidenten Begin in Camp David an einen Tisch, was nach 13 Tagen zu einem Friedensabkommen führte. Israel sollte sich aus dem Sinai zurückziehen und Ägypten Israel anerkennen. Es war lange Zeit das einzige tragfähige Friedensabkommen im Nahen Osten - für seine Bemühungen erhielt Carter 2002 den Friedensnobelpreis.

In jedem Fall war Carter, gemessen an den nackten Zahlen, einer der erfolgreichsten Präsidenten aller Zeiten. In nur einer Amtszeit gelang es ihm trotz Startschwierigkeiten, mehr Gesetzesinitiativen durch den Kongress zu bringen als später Bill Clinton oder Barack Obama. Viele haben das erst später erkannt, denn Carter war seiner Zeit inhaltlich weit voraus.

So setzte er sich vehement für die Menschenrechte ein und war einer der ersten Präsidenten, der entsprechende Klauseln als Bedingungen in Handelsabkommen verhandelte. Er beschränkte per Gesetz die Macht von FBI und CIA und amnestierte Soldaten, die im Vietnamkrieg desertiert waren. Gegen heftigen Widerstand auch in der eigenen Partei gab er Panama den Panamakanal zurück und verhinderte damit möglicherweise einen Krieg. Er unterzeichnete den Pregnancy Discrimination Act, um schwangere Frauen vor Diskriminierung am Arbeitsplatz zu schützen, und förderte die Gleichstellung der Geschlechter, als das Wort Diversität für die meisten Amerikaner ein Fremdwort war.

Ein unterschätzter und weitsichtiger Präsident

Auch in der Umweltpolitik bewies Carter Weitsicht: Er ließ große Teile Alaskas unter Naturschutz stellen und gründete 1977 das US-Energieministerium, das das Land aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreien und die Entwicklung erneuerbarer Energien wie Solar- und Windenergie fördern sollte. Mitten in der Ölkrise ließ er 32 Solarzellen auf dem Dach des Weißen Hauses installieren und vergab erstmals staatliche Kredite für erneuerbare Energien. Damals wurde er dafür belächelt. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit.

Doch das Jahr 1979 änderte alles - und prägte weitgehend das negative Bild Carters am Ende seiner Präsidentschaft. Die Revolution im Iran, die im November in der Besetzung der US-Botschaft in Teheran und der Geiselnahme von 52 amerikanischen Diplomaten und Bürgern gipfelte, läutete das politische Ende Carters ein. Einige kritisierten, dass Carter bei der Freilassung der Geiseln zu zaghaft mit dem Iran umgegangen sei. Andere warfen Carter die entschlossene, aber dilettantisch durchgeführte Befreiungsaktion vor, die acht US-Soldaten das Leben kostete. Erst Carters Nachfolger Reagan konnte die Geiselnahme beenden, wenige Minuten nach seinem Amtsantritt.

Wie so oft in der Politik war es jedoch nicht die Krise selbst, die Carters politisches Ende einläutete, sondern der Umgang mit ihr. Die Revolution hatte die bisherige US-Politik im Nahen und Mittleren Osten mit einem Schlag auf den Kopf gestellt, hinzu kam die nach wie vor ungelöste Wirtschaftskrise. Beides adressierte Carter in seiner als "Malaise Speech" bekannt gewordenen Rede, in der er über das Gefühl und die Niedergeschlagenheit seiner Nation sprach - und Veränderungen einforderte. Was die Mehrheit zunächst als mutig empfand, wurde in den folgenden Wochen zur vorherrschenden Meinung, die Rede sei ein besonders empörendes Beispiel von Wählerbeschimpfung. Carter setzte diesem Eindruck zu wenig Optimismus entgegen.

Carter ging mit seinem Land hart ins Gericht

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt am 20. Januar 1981 setzte sich Carter für Frieden und Menschenrechte ein oder vermittelte in Konflikten. Wie besessen reiste er noch im hohen Alter um die Welt und gründete mit dem Carter Center eines der wichtigsten unabhängigen Wahlbeobachtungszentren der Welt. Immer wieder meldete er sich auch zu Grundsatzfragen zu Wort, etwa wenn er sein Land vor allzu großer Kühnheit warnte: Die Neigung Washingtons, andere Länder zur Übernahme amerikanischer Prinzipien zu zwingen, veranlasste ihn zu der Aussage, die USA seien die "kriegerischste Nation der Weltgeschichte".

Anders als andere Präsidenten vor und nach ihm unterzeichnete Carter auch keinen millionenschweren Buchvertrag, ließ sich nicht von Promi-Fotografen begleiten - und Netflix gab es damals auch noch nicht. Nach der verlorenen Wahl gegen Reagan zog er zurück in sein Haus in Plains, dessen Wert vor einigen Jahren auf 167.000 Dollar geschätzt wurde. Das ist weniger als der Preis eines der gepanzerten Fahrzeuge des Secret Service, die bis zuletzt vor seiner Haustür standen. (bearbeitet von lla)

Verwendete Quellen:

  • Material von der Deutschen Presseagentur (dpa)
  • New York Times - Jimmy Carter, 98, Opts for Hospice Care
  • Youtube - Carter: U.S. is 'most warlike country on Earth'
  • Zeit Online - Der letzte Außenseiter
  • CNBC - Former President Jimmy Carter lives in a $167,000 house and shops at the Dollar General
  • German US Embassy - Carters "Crisis of Confidence"-Speech
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