Vergangenen Dienstag wurde der Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, von seinen eigenen Parteifreunden abgesägt. Für die Zukunft des US-Kongresses gibt es unterschiedliche Szenarien.
Es war ein kurzes Gastspiel: Erst im vergangenen Januar war Kevin McCarthy nach 15 Wahlgängen endlich zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt worden. Ein historischer Vorgang – noch nie zuvor hat ein Sprecher solche Schwierigkeiten gehabt, gewählt zu werden. Nun wurde er nach einem Putsch von mehreren Mitgliedern der eigenen Fraktion unter Führung des Abgeordneten Matt Gaetz aus Florida weggeputscht – ebenfalls einmalig in der US-Geschichte.
Bis zur Wahl eines neuen Sprechers ist das Repräsentantenhaus damit lahmgelegt. Der Republikaner Patrick McHenry kann lediglich die Kammer vertagen lassen, bis ein Nachfolger für McCarthy gewählt wurde.
Wie geht es nun weiter in der US-Politik? Zusammen mit dem US-Experten Dominik Tolksdorf von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik beantworten wir die wichtigsten Fragen.
Kommenden Mittwoch könnte ein neuer Kongresssprecher gewählt werden. Wer kommt infrage?
Laut Dominik Tollsdorf kommen mehrere Kandidaten infrage: "Mögliche Kandidaten sind Steve Scalise, der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, und Tom Emmer aus der Führungsriege der Republikaner. Matt Gaetz wird dagegen versuchen, extremere Kandidaten wie Jim Jordan (Mitglied des Freedom Caucus) durchzusetzen." Das habe Gaetz auch schon im Januar 2023 versucht, sei damit aber gescheitert. Scalise und Emmer gelten als Unterstützer der aktuellen Ukraine-Politik des Präsidenten, noch sei laut Tollsdorf aber noch nicht klar, inwiefern die weitere Unterstützung der Ukraine eine Rolle bei der Wahl des Sprechers spielen werde.
Wie wahrscheinlich ist es, dass sich ein Kandidat gleich durchsetzt?
Aktuell haben die Republikaner sich Zeit erbeten bis kommenden Mittwoch, um einen Kandidaten vorzuschlagen. Hinter den Kulissen wird derzeit noch sondiert. Dominik Tollsdorf erwartet eine komplizierte Wahl: "Ich denke, es wird eine Weile dauern, bis sich ein Kandidat oder eine Kandidatin durchgesetzt hat. Die potenziellen Nachfolger von McCarthy wissen, dass der Posten des Sprechers des Repräsentantenhauses unter den Republikanern ein Schleudersitz ist."
Vor McCarthy hatten bereits Paul Ryan und John Boehner die Erfahrung machen müssen, dass es nahezu unmöglich ist, die verschiedenen Flügel der Partei zu vereinen. Bei McCarthys Wahl hatten seine Gegner innerhalb der republikanischen Partei durchgesetzt, dass mit nur einer Stimme bereits ein Misstrauensvotum gegen den "Speaker" beantragt werden kann. Unter diesen Bedingungen wird es schwierig werden, einen Nachfolger für McCarthy zu finden, zumal dieser erklärt hatte, nicht wieder kandidieren zu wollen. Tollsdorf: "Mit ihrem selbstzentrierten Ansatz nehmen Gaetz und die anderen ihre ganze Partei in Geiselhaft."
Wie wahrscheinlich, ist eine Kandidatur Trumps für den Posten?
Ein Mann, der innerhalb der Republikanischen Partei immer noch großen Einfluss hat, ist der ehemalige US-Präsident. Er hat immer noch genug Macht, um bei Wahlen die Kandidatenliste zu bestimmen und ist laut Umfragen der aussichtsreichste Bewerber für die Vorwahlen der Republikaner zur US-Präsidentschaftswahl.
Tollsdorf hält eine Kandidatur Trumps dennoch für unwahrscheinlich: "Trump weiß, wie schwierig das Amt des Sprechers ist und welche Wirkung es auf seinen Wahlkampf hätte, wenn er damit scheitert." Außerdem wäre zu erwarten, dass die Demokraten im Kongress dem Ex-Präsidenten das Leben schwer machen würden und ihn blockierten, wo es nur ginge: "Auch die Demokraten hätten kein Interesse daran, dass Trump in solch einer Konstellation einen Erfolg erzielt."
Haben sich die Republikaner damit nachhaltig geschadet?
Laut Dominik Tolksdorf eindeutig ja: "Die Republikaner wirken zerrüttet, chaotisch und verantwortungslos, und gerade Wechselwähler/innen, um die es nächstes Jahr geht, wird das Chaos unter den Republikanern abschrecken. Davon könnten die Demokraten profitieren." Das sehen auch zahlreiche Politiker der Republikanischen Partei so. "Chaos ist nie ein Freund Amerikas", erklärte beispielsweise der republikanische Ex-Vizepräsident Mike Pence: "Ich bin tief enttäuscht, dass eine Handvoll Republikaner mit den Demokraten zusammengearbeitet hat, um den Sprecher zu stürzen."
Was, wenn der Posten nicht schnell nachbesetzt werden kann?
Ohne einen Sprecher können im US-Kongress keine Gesetze verabschiedet werden. So kann auch kein Haushalt bewilligt werden und im November droht erneut der Government Shutdown, die Stilllegung der Bundesverwaltung aufgrund von Zahlungsunfähigkeit der Regierung. Dieses Szenario wurde erst vor wenigen Tagen im letzten Moment durch einen Übergangshaushalt abgewendet, dem Kevin McCarthy als Sprecher des Repräsentantenhauses zugestimmt hatte – der Grund, warum er nun von Hardlinern seiner Partei abgestraft wurde.
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Was würde eine Blockade des Kongresses außenpolitisch bedeuten?
Insbesondere für den Ukraine-Konflikt ist die Blockade von Bedeutung. Das US-Parlament entscheidet über neue Hilfen für die Ukraine und muss diesen zustimmen. In dem am Wochenende verabschiedeten Übergangshaushalt sind weitere Hilfen für die Ukraine nicht vorgesehen. Das bedeutet nun keinen sofortigen Stopp der Unterstützung durch die USA, aber die finanziellen und militärischen Mittel der Ukraine gehen zur Neige. Weitere Hilfen aber sind für eine Fortführung der Offensive gegen die russische Armee unerlässlich.
Zur Person:
- Dominik Tolksdorf ist Research Fellow im Bereich USA/Transatlantische Beziehungen am Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen. Zuvor arbeitete er als Programmleiter für Außen- und Sicherheitspolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, D.C.
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