Eine Demokratie kann man nicht führen wie einen Konzern – das muss Donald Trump gerade erfahren. Doch bei aller Wehrhaftigkeit: Das politische System der USA befindet sich in einer Krise, der Präsident könnte der Demokratie weiteren Schaden zufügen.
"3:0", das war alles, was
Heute wurde bekannt, dass Trumps Sicherheitsberater Michael Flynn wegen unerlaubter Kontakte zu Russland zurücktritt. Die demokratischen Gepflogenheiten und Institutionen funktionieren. Aber wie lange noch?
"Wenn Demokratien kippen", überschrieb der "Spiegel" sein Zukunftsszenario für die Jahre unter Trump. Im US-Magazin "The Atlantic" skizzierte der Ex-Redenschreiber von George W. Bush, David Frum, den Weg in einen autoritären Staat. Der führe nicht über Gewalt, sondern einen "langsamen, zermürbenden Prozess aus Korruption und Betrug".
Markus Siewert, Politikwissenschaftler an der Universität Frankfurt, empfindet diese Diskussionen als "alarmistisch". Er hat in mehreren Aufsätzen die Krise der US-Demokratie behandelt, die in der Politikwissenschaft schon seit Jahren diskutiert wird.
"Donald Trump ist ein Symptom dieser Krise", sagt Siewert im Gespräch mit unserem Portal. Die Hauptprobleme: Die Politik ist zu sehr vom großen Geld abhängig, die Gesetze nutzen den oberen zehn Prozent.
Die Gesellschaft ist polarisiert und die politischen Kräfte blockieren sich gegenseitig. Der bekannte US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sieht das System im "Verfall" begriffen. Die Institutionen funktionierten nicht mehr richtig, schrieb er 2014 - ausgerechnet diese Institutionen müssen sich aber nun bewähren.
Horte des Widerstands
Die Optimisten sehen sich durch das "3:0" in ihrer Hoffnung bestätigt, der Rechtsstaat werde ein Bollwerk gegen autoritäre Tendenzen Trumps sein. Das Urteil des US Court of Appeals in Washington liest sich tatsächlich wie eine Plädoyer für die Gewaltenteilung, die "Checks and Balances".
Natürlich, schreiben die Richter, seien sie zuständig für die Prüfung von Gesetzen, die Sicherheit und Einwanderung betreffen. Die Regierung Trump hatte das bezweifelt, der Präsident selbst das Urteil als "politisch" diskreditiert und über Twitter geschimpft: "Wir sehen uns vor Gericht!"
Siewert ist skeptisch, ob die Gewaltenteilung in den USA wirklich gut funktioniert. "'Checks and Balances' sind schön und gut, aber die anderen Akteure müssen das auch wahrnehmen." Die amerikanischen Gerichte verstünden sich weniger als politische Akteure als etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht, sagt der Frankfurter Wissenschaftler.
Die inhaltliche Gestaltung der Politik bleibt Sache des Präsidenten und des Kongresses. Der "Muslim Ban" sei deswegen auch nur für den Moment verhindert. "Es wird gekippt, wie es ist, aber nur an den Rändern abgeschliffen."
Eine Möglichkeit wäre, den Einreisestopp über ein Gesetz zu regeln. Trump verfügt über eine republikanische Mehrheit im Parlament, die er bisher noch gar nicht genutzt hat. Auch, weil er sich im Wahlkampf von der Partei distanziert hat.
Legislative nicht mehr unabhängig?
Markus Siewert glaubt, dass die Abgeordneten sich trotzdem über kurz oder lang auf Linie begeben werden. "Man hat ja schon gesehen, dass sich die Republikaner schwer tun damit, den Präsidenten für Interessenskonflikte anzuzählen."
Schon seit längerem begreife sich die Legislative nicht mehr als unabhängigen Akteur gegenüber dem Weißen Haus; ein weiteres Symptom der Krise der Demokratie. Viel werde davon abhängen, wie sich die Machtverhältnisse im Kongress entwickeln, sagt Siewert. Verlieren die Republikaner 2018 schon ihre Mehrheit in beiden Kammern, steht Trump als "Lame Duck", als lahme Ente, im Gegenwind - und ist auf Dekrete angewiesen.
Für die alltägliche Politik ist die "Administration" zuständig, also der gesamte Regierungsapparat. Rund 4000 Stellen sind von einer Regierung neu zu vergeben. Zu viele, um sie alle mit "eigenen Leuten" zu besetzen.
So könnten sich Horte des Widerstands bilden - auch im Kleinen, wie im Badlands National Park, wo sich Mitarbeiter dem Verbot der Regierung widersetzten und über den Klimawandel twitterten. Die neuralgischen Stellen in der Administration allerdings werden schon seit der Ära Reagan von loyalen Gefolgsleuten ausgefüllt, erklärt Markus Siewert. "Die Behörden werden extrem politisiert."
Damit schwindet die Eigenständigkeit der Administration. Gleichzeitig sinkt ohnehin ihre Bedeutung, weil die Macht in engen Zirkeln um den Präsidenten zentralisiert wird.
"Ausdruck lebendiger Demokratie"
Diese Prozesse sichtbar zu machen, fällt den Medien zu. In der Türkei werden kritische Journalisten eingesperrt, in Ungarn wurde im Herbst die größte oppositionelle Tageszeitung "Népszabadság" von ihrem willfährigen Besitzer dichtgemacht.
Ein Weg, den Trump kaum beschreiten wird. "Der Staat wird da nicht eingreifen", sagt Siewert. Trumps Fehdehandschuh haben die Journalisten und Satiriker wie John Oliver entschlossen aufgenommen.
Mit Erfolg: Die "New York Times" wie auch einige andere Blätter melden Rekord-Abonnementzahlen. Durchaus ein gutes Zeichen, meint Siewert. "Das geht aber an dem Problem vorbei: der Polarisierung. Wer statt linksliberalen Medien Fox News schaut, erlebt einen ganz anderen Präsidenten."
Delegitimierung der Proteste
Die gespaltene Stimmung im Land entlädt sich auch in Demonstrationen gegen Trump, für Siewert ein "Ausdruck lebendiger Demokratie". Nicht so für den Präsidenten, der von "berufsmäßigen Anarchisten, Rowdies und bezahlten Protestierern" sprach.
Eine Taktik, die Siewert "Delegitimierung" nennt. Die demokratischen Prinzipien wie freie Meinungsäußerung und den Rechtsstaat kann Trump nicht abschaffen, aber er kann sie untergraben. "Welchen Schaden er damit anrichtet, kann man jetzt noch nicht beziffern", sagt Siewert.
Der "Spiegel" sah in seiner Prognose schwarz für die US-Demokratie. Die Proteste würden abebben, die Medien auf bunte Themen umschwenken, Politiker und Manager ihre Karriere verfolgen, Konzerne die Nähe zum Präsidenten suchen.
Markus Siewert tut sich schwer mit Vorhersagen. Von seiner Hoffnung, Trump werde die Polarisierung durchbrechen und ein einender Präsident sein, musste er schnell abrücken.
Der Präsident werde wohl weiter als Populist auftreten – und wenn ein Krisenfall eintritt, könnten die demokratischen Institutionen als Korrektiv ausfallen. "Das dunkelste Szenario wären Exzesse wie nach 9/11, als die Gewaltenteilung mehr schlecht als recht funktioniert hat."
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