Ela Chaimi wurde Zeugin des Angriffs der Hamas auf Israel. Die Terroristen drangen vergangenen Samstag in ihren Kibbuz Nir Itzhak ein und nahmen ihren Ehemann Tal als Geisel mit nach Gaza. Im Interview mit unserer Redaktion erzählt Ela Chaimi, was sie erlebt hat und was sie jetzt von den Deutschen erwartet.

Ein Interview
Zum Zeitpunkt des Interviews ging Ela Chaimi noch davon aus, dass ihr Mann am Leben ist. Mitte Dezember erklärte das israelische Militär Tal Chaimi jedoch für tot. Offenbar war er bereits am 7. Oktober ermordet worden. Sein Leichnam befindet sich nach wie vor in Gaza.

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Die Großeltern von Ela Chaimi haben in Polen den Holocaust, den industriellen Mord an sechs Millionen Juden durch die Deutschen, überlebt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges zogen sie nach Israel, um künftig in Sicherheit zu leben.

Nun musste ihre Enkelin Ela Zeugin des wohl schwärzesten Tages in der jüdischen Geschichte seit 1945 werden: Vergangenen Samstag drangen Hunderte Kämpfer der palästinensischen Terrororganisation Hamas vom Gazastreifen in israelisches Gebiet vor. Sie töteten etwa 1.200 Menschen und entführten über 100 Geiseln nach Gaza – darunter mutmaßlich Elas Ehemann Tal.

Ela und ihre drei Kinder überstanden den Angriff, versteckt im Schutzbunker ihres Hauses im Kibbuz Nir Itzhak in der Nähe des Gazastreifens. Wir erreichen Ela in Eilat, einer israelischen Stadt am Roten Meer, wo die Bewohner von Nir Itzhak vorübergehend untergebracht wurden. Sie sei müde, sagt sie uns. Doch zugleich ist sie voller Hoffnung für die Rückkehr ihres Mannes – und für einen künftigen Frieden mit den Palästinensern.

Frau Chaimi, sie kommen aus dem Kibbutz Nir Itzhak in der Nähe des Gazastreifens. Was haben Sie vergangenen Samstag erlebt?

Ela Chaimi: Um 6:30 Uhr morgens haben wir Sirenen gehört und sind in unseren Bunker gegangen. Ein paar Minuten später hat mein Mann Tal einen Anruf bekommen. Er solle kommen, um den Kibbuz zu verteidigen. Tal hat seine Waffe und Ausrüstung genommen und ist gegangen. Kurze Zeit später kam er noch einmal zurück und sagte mir, ich solle die Tür abschließen. Ich habe ihn gefragt, warum. Weil draußen Terroristen sind, antwortete er. Dann ist er wieder gegangen.

Haben Sie noch einmal von ihm gehört?

Gegen 8:30 Uhr habe ich ihn angerufen. Er sagte, er könne nicht sprechen, aber es gehe ihm gut. Das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe.

Was wissen Sie über das Schicksal Ihres Mannes?

Etwa 30 oder 40 Terroristen haben unseren Kibbuz überfallen. Tal hat mit anderen Männern den Kibbuz verteidigt. Wir haben in unserem Bunker die Schüsse gehört. Ein Teil der Kibbuz-Wachen wurde getötet, ein anderer entführt. Auch mein Mann ist unter den Entführten. Ich weiß das, weil mich die israelische Armee kontaktiert hat: Tals Handy konnte in Gaza lokalisiert werden.

Also gehen Sie davon aus, dass auch Tal dort sein muss.

Ja. Aber ich weiß, dass er mental und körperlich stark ist. Wenn er nicht verletzt ist, gehe ich davon aus, dass es ihm gut geht. Aber meine Kinder brauchen ihn, der Kibbuz braucht ihn, und seine Familie braucht ihn.

Wie haben Sie und Ihre drei Kinder den Angriff überstanden?

Die Terroristen sind von Haus zu Haus gegangen. Bis zu meinem Zuhause sind sie aber nie gekommen. Zwei oder drei Stunden waren wir ohne jeden Schutz, bis die Armee schließlich kam. Nach vielen weiteren Stunden des Wartens wurden alle Bewohner des Kibbuz in Bussen weggebracht. Jetzt befinden wir uns in einem Hotel in Eilat am Roten Meer. Zwei Kibbuz-Bewohner wurden getötet, insgesamt neun entführt. Warum es nicht noch mehr Tote gab, kann ich nicht genau sagen. Vielleicht konnten unsere Wachen noch viele der Terroristen töten, vielleicht sind die meisten von ihnen mit den Geiseln schnell wieder weggefahren.

Wissen Ihre Kinder, was mit ihrem Vater geschehen ist?

Ja, ich habe es ihnen erzählt, und wir haben uns auf einer Karte den Gazastreifen angeschaut: Ich wollte ihnen zeigen, wo er ist. Hier in Eilat am Meer sind sie gut abgelenkt. Sie tauchen und schwimmen viel und sind zusammen mit all ihren Freunden. Das ist das Wichtigste.

Wie tief ist Ihre Verbindung mit dem Ort Nir Itzhak?

Ich wurde hier geboren, genauso wie mein Mann und meine Kinder. Die Eltern meines Vaters haben in Polen den Holocaust überlebt und sind dann nach Israel gekommen. Im Libanon-Krieg von 1982 wurde mein Vater schwer verletzt. Sechs Jahre lang brauchte er, um wieder gesund zu werden. Bei dem Versuch, sein Leben neu aufzubauen, kam er nach Nir Itzhak. Hier hat er meine Mutter kennengelernt.

Die Idee der Gründung von Israel war es, einen sicheren Ort für Juden zu schaffen. Haben Sie sich bisher in Ihrem Kibbuz sicher gefühlt?

Ja, ich habe mich sicher gefühlt. Die größte Gefahr waren Raketen aus dem Gazastreifen. Aber wir haben Schutzbunker und den Iron Dome, ein System zur Raketenabwehr. Wir dachten, uns kann nichts passieren. Dass Terroristen bis zu unserem Kibbuz kommen, hätten wir nicht für möglich gehalten. Jetzt fühle ich mich nicht mehr sicher in Israel. Nirgends in Israel.

Was bedeutet der Verlust dieses Sicherheitsgefühls für Sie?

Ich warte erst einmal auf das Ende dieses Krieges und auf die Rückkehr meines Mannes. Dann muss ich mein Leben, meine Familie wieder aufbauen und entscheiden, was ich tun will. Aber ich glaube, ich möchte zurück in den Kibbuz. Das ist mein Zuhause, und die meiste Zeit ist es das Paradies auf Erden.

Israel wird seit Monaten durch innenpolitische Konflikte erschüttert. Wie nehmen sie jetzt, nach dem Angriff der Hamas, die Stimmung in Israel wahr?

Aktuell warten alle Israelis darauf, dass der Krieg vorbei ist. Danach sagen wir Tschüss zu Benjamin Netanjahu. Wir werden ihm sagen: Du musst gehen, du hast nichts Gutes für uns getan! Du hast uns nicht geschützt!

Sie sehen also eine Mitschuld beim Premierminister und seiner Regierung?

Natürlich. Sie haben den Angriff der Hamas geschehen lassen. Es gibt viele Probleme in Israel, das größte ist aber Netanjahu.

Es gibt viele Menschen im Gazastreifen, die uns nicht töten wollen, sondern ihre Kinder großziehen und in Frieden leben wollen. Nicht der ganze Gazastreifen ist die Hamas.

Ela Chaini, Überlebende des Hamas-Angriffs auf Israel

Dennoch: Was erwarten Sie in dieser Situation von der israelischen Regierung?

Ich erwarte, dass sie unsere Familien nach Hause bringen. Außerdem muss die Hamas weg. Sie sollten behandelt werden wie der IS, der sogenannte Islamische Staat. Aber für mich ist wichtig: Es gibt viele Menschen im Gazastreifen, die uns nicht töten wollen, sondern ihre Kinder großziehen und in Frieden leben wollen. Nicht der ganze Gazastreifen ist die Hamas.

Sie glauben an einen Frieden mit den Palästinensern?

Ja! Auch mit Ägypten und Jordanien konnten wir Frieden schließen. An den Grenzen zu diesen Ländern ist es ruhig. Das ist der stärkste Schutz, den wir Israelis bekommen können. Es gibt keinen anderen Weg als den Frieden.

Gibt es etwas, dass Sie von Deutschland erwarten?

Helft uns, unsere geliebten Familien zurückzubringen! Jede und jeder Deutsche sollte darüber nachdenken, was sie tun würden, wenn sie sich in meiner Situation befinden würden. Wenn jemand an einem Samstagmorgen in ihr Zuhause käme und versuchen würde, sie an einem Ort zu töten, den sie für sicher gehalten hatten. Wenn eines ihrer Familienmitglieder entführt würde. Und dann müssen sie ihre Stimme erheben und laut sagen: Lasst die Familien nach Israel zurückkehren!

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