Recep Tayyip Erdogan braucht die Stimmen der Austrotürken nicht. Nur ein Teil der türkischen Staatsbürger in Österreich nehmen an Wahlen in ihrer Heimat teil. Davon wählen allerdings die meisten AKP.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Dass es "Die Türken" als homogene Gemeinschaft in Wien nicht gibt, musste Turgay Taskiran im Herbst 2015 erfahren. Der Arzt und einstige Chef der AKP-Vorfeldorganisation UETD trat mit einer migrantischen Liste zur Gemeinderatswahl an. Aus seiner Verehrung für den starken Mann in Ankara, Recep Tayyip Erdogan, machte der Parteigründer kein großes Geheimnis.

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Das Ergebnis war ernüchternd: Gerade einmal 7.600 Stimmen konnte seine Liste "Gemeinsam für Wien" am Ende verbuchen. Das entsprach etwa 0,9 Prozent - womit die Neo-Partei überdeutlich an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Gemeinderat scheiterte.

Taskiran konnte das Potenzial seiner türkischen Mitbürger nicht annähernd ausschöpfen. Die mit Abstand meisten türkischen Stimmen heimste in Wien die regierende SPÖ ein.

Mehrheit der Türken in Österreich wählt nicht

Neben den rund 260.000 österreichischen Staatsbürgern mit türkischen Migrationshintergrund gibt es hierzulande laut der Medien Servicestelle Neue Österreicher rund 116.000 Zuwanderer mit türkischer Staatsbürgerschaft.

Obwohl diese Gruppe im Vergleich zu den fast 60 Millionen Wahlberechtigten in der Türkei ziemlich klein ist, hat die AKP bei den vergangenen Wahlen massiv in Österreich mobilisiert.

Durchaus mit Erfolg: Während bei den Präsidentschaftswahlen 2014 gerade einmal zehn Prozent der Austrotürken zur Wahl gingen, waren es bei den Parlamentswahlen 2015 rund 35 Prozent. Beide Male lagen dabei Erdogan und die AKP haushoch vorne, vor zwei Jahren bekam die türkische Regierungspartei knapp 70 Prozent.

Dass in der Vergangenheit der Großteil der Austrotürken nicht um die Wahlen in ihrer Heimat gekümmert hat, dürfte auch am komplizierten Wahlmodus liegen: Für im Ausland lebende Türken gibt es keine Briefwahl.

Sie können in türkischen Konsulaten wählen - und müssen teils weite Strecken zurücklegen, um eine der auf das ganze österreichische Bundesgebiet verstreuten Wahlzellen zu erreichen.

Dönmez: "Bei der AKP liegen die Nerven blank"

Wenn also im April rund 60 Millionen Türken aufgerufen werden, bei einem Referendum über ein Präsidialsystem abzustimmen, das Erdogans Vollmachten deutlich ausweiten würde, sollte es auf die paar tausend Stimmen aus Österreich kaum ankommen.

Umso mehr verwundert es, mit welcher Vehemenz die AKP-Führung darauf beharrt, in Österreich Werbung für ihre Anliegen zu machen.

"Bei der AKP liegen die Nerven blank", sagt der türkisch-stämmige Publizist und frühere Grüne Bundesrat Efgani Dönmez auf Anfrage unserer Redaktion. "Der Ausgang des Referendums dürfte knapp werden, da zählt jede Stimme."

Ankara dreht an Eskalationsschraube

Das alleine erklärt noch nicht, warum es Ankara auf eine gröbere diplomatische Verstimmung mit Wien ankommen lässt.

Nachdem sich Kanzler Christian Kern (SPÖ) für ein EU-weites Auftrittsverbot von AKP-Politikern vor Wahlen ausgesprochen hatte, drehte das Erdogan-Lager an der Eskalationsschraube. Kern solle sich "verpissen", richtete ihm Erdogans enger Vertrauter Burhan Kuzu via Twitter aus.

Tatsächlich, glaubt Dönmez, komme Erdogan der Gegenwind aus Österreich und Deutschland politisch höchst gelegen. "Ein Auftrittsverbot würde ihm nur in die Hände spielen."

Damit würden Kern und Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) – der sogar ein Einreiseverbot für den türkischen Präsidenten nicht ausschließen will – die AKP in eine willkommene Opferrolle drängen. Der Gegenwind aus der EU ist Dönmez zufolge für die AKP ein Steilpass für die Mobilisierung zu Hause und unter der türkischen Community im Ausland.

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