Kaum ein Thema ist bei Autofahrern in Deutschland so umstritten wie Tempolimits. Könnten sie die Zahl der Verkehrstoten senken? Zu niedrig sollten die Geschwindigkeitsbegrenzungen allerdings auch nicht sein.

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Was hat Deutschland mit der Isle of Man gemeinsam, das es sonst auf keinem Land der Erde gibt? Richtig, keine offizielle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Kleiner, aber nicht zu vernachlässigender Unterschied: Auf der Isle of Man gibt es keine Autobahn.

Ein Blick zu den sonstigen europäischen Nachbarn zeigt: Tempolimits zwischen 100 (Norwegen) und 140 km/h (Polen) sind gang und gäbe.

Tempolimit: Langsam fahren kann auch gefährlich sein

Was spricht für Geschwindigkeitsbegrenzungen und was dagegen? Und kann ein Tempolimit auch zu niedrig sein? Ja, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Wenn ich überfordert bin, lässt meine Leistungsfähigkeit nach, dann entscheide ich vielleicht falsch. Aber wenn ich nichts zu tun habe, werde ich schläfrig, unkonzentriert, nachlässig oder lenke mich vielleicht sogar ab. Genau das würde passieren, wenn man sich eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 100 km/h vorstellt", erklärt Brockmann: "Es gäbe nur noch wenig Überholmanöver, man muss wenig bis gar nicht mehr in den Rückspiegel gucken, man hat einfach nichts zu tun. Das ist der Verkehrssicherheit sicher abträglich."

Eine Regierungskommission, die an Vorschlägen für mehr Klimaschutz arbeitet, hat die Idee von Geschwindigkeitsbegrenzungen jetzt wieder ins Spiel gebracht. Vor dem Deutschen Verkehrsgerichtstag wird nun darüber debattiert.

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Was für Tempolimits spricht

Pro Tempo 30 innerorts: Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Ortschaften, weil die Zahl der Verkehrstoten seit Jahren kaum noch sinkt. "Wenn wir uns nicht damit abfinden wollen, dass jedes Jahr rund 3200 Menschen im Straßenverkehr ums Leben kommen, müssen wir uns etwas einfallen lassen", sagt der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens. "Dabei spielt die Begrenzung der Geschwindigkeit eine wichtige Rolle."

Denn: "Je schneller Fahrzeuge bei einem Zusammenstoß sind, desto größer sind auch die Kräfte, die auf die Insassen wirken", sagt Mertens. Viele innerörtliche Straßen seien für Tempo 50 objektiv ungeeignet. Deswegen sei Tempo 30 als Regel dort angebracht. Nur für ausgebaute Hauptverkehrsstraßen sollte aus Sicht des GdP-Vize weiter Tempo 50 gelten.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) unterstützt die Idee. "Wir setzen uns dafür ein, dass Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit in Städten wird", sagt Sprecherin Stephanie Krone. "Wo höhere Geschwindigkeiten erlaubt werden sollen, muss das begründet werden. Bisher ist es andersherum."

Pro Tempolimits auf Landstraßen: Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat plädiert für Tempo 80 auf schmalen Landstraßen. "Dort passieren mit Abstand die meisten Unfälle aufgrund von nicht angepasster Geschwindigkeit", sagt Sprecherin Julia Fohmann.

Der Automobilclub ACE unterstützt die Idee: Zuletzt seien auf Landstraßen jährlich rund 1900 Menschen gestorben, das seien knapp 60 Prozent aller Verkehrstoten gewesen, sagt eine Sprecherin des ACE. "Es besteht Handlungsbedarf." Eine Senkung der Höchstgeschwindigkeit für Autos habe zudem den Vorteil, dass die Zahl der gefährlichen Überholmanöver von Autofahrern sinken werden, die langsamere Lastwagen hinter sich lassen wollen. Aus Sicht des ADFC sollte auf Landstraßen ohne gut befahrbaren Radweg sogar nur Tempo 70 gelten.

Pro Tempolimit auf Autobahnen: Siegfried Brockmann ist fest davon überzeugt, dass das Autofahren durch eine festgelegte Höchstgeschwindigkeit sicherer würde. "Mit sinkenden Geschwindigkeiten werden die Anhaltewege kleiner, wenn es zum Konfliktfall kommt. Der Unfall findet dann also überhaupt nicht statt. Und wenn er stattfindet, ist immerhin die Crash-Energie geringer", sagt uns der Experte.

Zudem, so Brockmann, entfielen die "sehr hohen Differenzgeschwindigkeiten auf Autobahnen zwischen linker und mittlerer Spur". So könne man die Gefahr verhindern, dass "Sie mit 130 oder 140 km/h auf die linke Spur fahren und von hinten kommt jemand mit 180 plus X angerauscht".

Auf eine ideale Geschwindigkeit will sich Brockmann nicht festlegen: "Sicher liegt sie über 100 und unter 150 km/h, wenn es um die reine Verkehrssicherheit geht. Aber wichtig ist es ja auch, zügig vorwärtszukommen."

Was gegen Tempolimits spricht

Tempolimits an Gefahrenstellen reichen aus: Der Automobilclub AvD hält einen Einfluss genereller Tempobegrenzungen auf die Unfallzahlen für nicht erwiesen. Stattdessen plädiert der Verband für Geschwindigkeitsbegrenzungen an Gefahrenstellen und Unfallschwerpunkten. Dies gebe es im übrigen schon jetzt auf vielen Autobahnen, Land- und innerörtlichen Straßen, sagte ein Sprecher.

Mehr bauliche Maßnahmen: Der ADAC hält statt genereller Tempolimits Beschränkungen auf unfallträchtigen Strecken sowie bauliche Maßnahmen für sinnvoll. So sollten gefährliche Kreuzungen auf Landstraßen zu Kreisverkehren ausgebaut werden. Außerdem müssten mehr Überholstreifen angelegt werden, um Unfälle mit dem Gegenverkehr zu vermeiden. In den Städten sollten mehr Fahrstreifen- und -wege angelegt und zusätzliche Ampeln für Fußgänger installiert werden.

Erfolg für Klimaschutz umstritten: Der ADAC hat untersucht, wie sich Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 auf Pkw-Emissionen auswirkt. Sein Ergebnis: Tempo 30 führt aus Sicht des ADAC weder zur Reduzierung der Stickoxid- noch der CO2-Emissionen. Auch der AvD sagt, es habe bisher nicht nachgewiesen werden können, dass sich der Schadstoffausstoß durch Tempolimits verringern könnte.

Würde die Zahl der Verkehrstoten wirklich sinken? Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein kann generellen Tempolimits nichts abgewinnen. "Ich bin fest überzeugt, dass eine signifikante Senkung der Zahl der Verkehrstoten dadurch nicht erzielt würde", sagte der Vorsitzende Jörg Elsner.

(hub/dpa)

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