Der ADAC ist "nicht mehr grundsätzlich" gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Das könnte wieder Bewegung in die große Debatte bringen, war der Automobilclub doch jahrzehntelang strikter Gegner einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Ein Umschwenken ist das aus ADAC-Sicht dennoch nicht.
Es ist eines der größten Reizthemen in der Verkehrspolitik: ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Nun könnte eine der Bastionen gegen eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung ins Wanken geraten - der einflussreiche ADAC, mit gut 21 Millionen Mitgliedern der größte Automobilclub Deutschlands.
Der ADAC sei "nicht mehr grundsätzlich" gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung, sagte der Vizepräsident Verkehr, Gerhard Hillebrand, der Deutschen Presse-Agentur vor dem 58. Verkehrsgerichtstag in Goslar. In den vergangenen Jahrzehnten war der ADAC als klarer Gegner eines Tempolimits bekannt. Nun rückt er von seinem strikten Nein ab.
ADAC verzichtet auf eine Empfehlung an Politik
Noch im Dezember hatte der ADAC erklärt, dass er "auf eine Empfehlung Pro oder Contra generelles Tempolimit an die Politik" verzichtet. Gibt es nun ein Umschwenken hin zu einer Positionierung Pro-Tempolimit?: "Wir haben nur die Gegenposition aufgeweicht, wir schwenken nicht um", erklärte eine ADAC-Sprecherin auf Anfrage unserer Redaktion. Nach wie vor unterstütze der Automobilclub nicht die Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Man nehme vielmehr eine neutrale Position ein.
Die Sprecherin verweist auf eine Erhebung unter den eigenen Mitgliedern: "Diese sind in der Frage genauso gespalten wie die deutsche Gesellschaft, fast die Hälfte ist für die Einführung eines Tempolimits, die andere dagegen.“ Die Diskussion werde emotional geführt und polarisiere bei den Mitgliedern, betont auch ADAC-Vize Hillebrand.
Auswirkungen eines Tempolimits sollen in Studie geklärt werden
In einer Umfrage unter ADAC-Mitgliedern hatten 50 Prozent gegen ein Tempolimit votiert und 45 Prozent dafür. In einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins spricht sich dagegen die Mehrheit für ein Tempolimit aus. 56 Prozent der 1.000 befragten Führerscheinbesitzer sehen in einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung eine wirkungsvolle Maßnahme für mehr Verkehrssicherheit.
Hillebrand zufolge werde zudem beim Klimaschutz bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde eine Einsparung von bis zu zwei Millionen Tonnen CO2 erwartet. Aber auch das sei vage. Er fordert: "Wir brauchen eine umfassende Studie über die Wirkungen eines Tempolimits. Diese würde eine belastbare Entscheidungsgrundlage liefern."
Die Debatte um ein Tempolimit in Deutschland hatte Ende 2019 wieder an Fahrt aufgenommen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte sich ablehnend geäußert: "Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hochemotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen - für das es gar keine Mehrheiten gibt." Der Regierungspartner SPD hatte zuvor auf einem Parteitag ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen gefordert und das mit Verkehrssicherheit und Klimaschutz begründet.
Die SPD legte nach den Scheuer-Aussagen nach. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, ein Tempolimit verringere die Unfälle mit Todesfolge und spare jährlich ein bis zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die neue SPD-Chefin Saskia Esken schrieb auf Twitter, es gebe nur wenige Länder ohne Tempolimit. Nordkorea gehöre dazu.
Aggressiveres Fahrverhalten auf deutschen Autobahnen als in anderen EU-Ländern
Julia Fohmann vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) verwies auf andere Länder in Europa. Wer auf Autobahnen in Frankreich, Österreich oder Belgien unterwegs sei, erlebe mehr Gelassenheit als hierzulande. Es sei zu vermuten, dass die dortigen Tempolimits dazu beitragen.
Sobald man wieder auf deutsche Autobahnen komme, sei der Unterschied spürbar, sagte Sören Heinze, Sprecher des Auto Clubs Europa ACE. Auf Deutschlands Autobahnen gehe es viel aggressiver zu. "Mit einem Tempolimit sinkt die Zahl der Unfälle, der verletzten und getöteten Personen", sagte Heinze. "Hinzu kommen positive Auswirkungen auf den Verkehrsfluss. Und einen Beitrag zum Klimaschutz leistet ein Tempolimit noch dazu." Die ACE-Hauptversammlung habe jüngst für Tempo 130 votiert.
Auf dem Großteil der Autobahnen in Deutschland gilt nach wie vor freie Fahrt. Ohne verbindliches Tempolimit sind 70 Prozent des Autobahn-Netzes. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Schildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuelle Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen von vor fünf Jahren zeigen. Dazu kommen variable Verkehrslenkungsanzeigen.
Zu den eindeutigen Befürwortern einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung gehört die Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Aus unserer Sicht spricht alles dafür, dass ein Tempolimit die Zahl der schweren Unfälle auf Autobahnen deutlich verringern würde", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Michael Mertens.
"Eine homogene Geschwindigkeit und damit ein gleichmäßiger Verkehrsfluss sorgen tendenziell für weniger Beschleunigungs- und Bremsmanöver", sagte der Leiter der Unfallforschung der deutschen Versicherer, Siegfried Brockmann. Es fehlten allerdings belastbare Daten für die Annahme, dass ein allgemeines Tempolimit tatsächlich zu weniger Verkehrstoten führe würde. Dies könne nur ein wissenschaftlicher Großversuch klären, sagte Brockmann.
AvD strikt gegen eine Tempobegrenzung
Dagegen ist der Automobilclub von Deutschland (AvD) strikt gegen eine Tempobegrenzung. Autobahnen seien die sicherste Straßenkategorie, sagte Sprecher Herbert Engelmohr. Zudem machten die 13.000 Kilometer Autobahnen nur zwei Prozent des deutschen Straßennetzes aus.
Rund 3.900 Kilometer davon seien schon jetzt mit einem Tempolimit belegt. "Es erscheint dem AvD wenig plausibel, dass die Einführung einer generellen Tempobeschränkung auf einem derart kleinen Teil des Straßennetzes einen relevanten Effekt auf die CO2-Emissionen und damit für den Klimaschutz haben soll." Autofahrer sollten auf einer freien Autobahn bei guten Wetterbedingungen weiterhin mit höherem Tempo fahren dürfen. (dpa/mf)
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