Sollte doch noch ein Deal zwischen Donald Trump und Wladimir Putin den Krieg in der Ukraine beenden, erwarten mehrere Beobachter eine baldige Invasion Chinas in Taiwan. Aber wie wahrscheinlich ist das wirklich?

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Als Roderich Kiesewetter Ende vergangener Woche zu den Entwicklungen zwischen Washington, Moskau und Kiew befragt wurde, war der CDU-Politiker außer sich. Spätestens seit US-Präsident Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Weißen Haus beschimpft hat, sieht Verteidigungsexperte Kiesewetter für den ganzen Westen die "größte Bedrohung unserer Sicherheit seit 1945" und beobachtet "eine zweite kleine Zeitenwende im transatlantischen Umgang."

Denn für den immer noch möglichen Fall eines Deals zwischen den USA – bisher größter Waffenlieferant für die Ukraine – und Russland – das die Ukraine seit 2022 erneut angreift – über die Köpfe der Ukraine hinweg wäre die transatlantische Allianz zwischen der EU und den USA wohl dahin. Mit der Lage um ein Russland voller imperialistischer Tendenzen müsste Europa allein fertig werden. Aber nicht nur das. Kiesewetter sieht globale Auswirkungen. Mit Blick auf Ostasien sagt er: "Taiwans Schicksal wäre besiegelt."

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Geopolitische Folgen für Taiwan und die Welt

Die Annahme dahinter: Wenn Russland einen Angriffskrieg führen kann und am Ende de facto mit dem Gewinn eroberter Territorien belohnt wird, könnte sich die aus Peking regierte Volksrepublik China ermutigt sehen. Die reklamiert nämlich, dass die Republik China – besser bekannt als Taiwan – Teil ihres eigenen Staatsgebiets sei und droht seit Jahren immer wieder mit einer Invasion der unabhängig regierten Insel. Kiesewetter scheint sich sicher: China wartet nur auf einen Deal zwischen Trump und Putin.

Die geopolitischen Folgen eines Angriffs auf Taiwan wären enorm. Vor Jahren drohten US-Offizielle hinter verschlossenen Türen, dass damit der Dritte Weltkrieg starten würde. Der US-Verbündete Japan deutete vor einigen Jahren an, Taiwan im Falle eines Angriffs zu unterstützen. In Peking aber, der Hauptstadt der Volksrepublik China, zeigt sich bisher niemand bereit, vom eigenen Standpunkt abzurücken. Peking bereitet seine Armee jedenfalls auf einen Angriff vor. Ist es eine Frage der Zeit, bis es sehr laut knallt?

Ist eine chinesische Invasion wirklich wahrscheinlich?

Außer Frage steht: In Peking freut man sich über die verbalen Auffälligkeiten Donald Trumps. Denn so blickt die Welt mal nicht so sehr auf den Expansionsdrang der chinesischen Regierung, deren Kriegsschiffe vor der australischen Küste kreuzen, deren Küstenwache philippinische Fischer bedroht, und das auch immer wieder Schiffe zur Patrouille rund um Taiwan schickt. Wenn Donald Trump den Westen verlässt und mit Putin paktiert, fallen solche Provokationen kaum weiter auf.

Inwieweit mit einem Deal zwischen den USA und Russland aber die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs aus Peking auf Taiwan steigt, ist umstritten. Claus Soong vom Thinktank Mercator Institute for China Studies (Merics) weist die Behauptung des CDU-Politikers Kiesewetters, es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen der Lage der Ukraine und jener Taiwans, zurück: "Das ist wie, als wenn man Äpfel und Birnen vergleicht", so der Sicherheitsexperte. "Beides sind Früchte. Aber die Unterschiede sind groß und die Fälle schwer vergleichbar."

Aus der Perspektive der USA, der stärksten Militärmacht der Welt, sei die Ukraine nämlich vor allem europäisches Territorium, das eine Front zwischen der EU und Russland bilde. Taiwan habe schon durch seine Lage ganz andere Bedeutung für die USA: Es liegt kurz vorm Chinesischen Festland im Pazifischen Ozean, hindert den Ein-Parteienstaat aus Peking daher am Zugang zu den Weltmeeren. Die USA, die heute in China ihren größten geopolitischen Rivalen sehen, wollen, dass das so bleibt.

Chinas wirtschaftliche Abhängigkeit als Bremse für eine Invasion

Claus Soong glaubt daher: "Wenn es zu einem Deal zwischen Trump und Putin kommt, könnte das China etwas Hoffnung geben, was Taiwan angeht." Gedanken an eine Invasion könnten diese Tage, wo Pekings Kommunistische Partei zum einmal pro Jahr stattfinden Nationalen Volkskongress läuft, wieder kursieren. Aber: "China hat so viel zu verlieren, viel mehr als Russland." Mit 1,4 Milliarden Menschen, die Einkommen und Essen brauchen, sei China viel stärker vom Welthandel abhängig als Russland. So müsse China wesentlich vorsichtiger handeln.

So werde China eher als Russland vor einem Angriff zurückschrecken. Denn einerseits würden die USA hier kaum nur zusehen. Andererseits würden schon wirtschaftliche Sanktionen gegen China das Land schmerzen. Immerhin stockt in China seit längerem die Wirtschaft. Zuletzt veröffentlichte Wachstumsprognosen von knapp fünf Prozent genügen schon kaum für die Ziele der Partei, die Armut im Land auszuradieren. Würde China vom Welthandel abgeschnitten, könnte es für Staatspartei bedrohlich werden.

Taiwan zwischen geopolitischen Spannungen und eigener Strategie

So geht Claus Soong davon aus, dass China mit seinen Invasionsdrohungen eher die USA testen will, auch mit taktischen Manövern und diplomatischem Druck. "Vor mehr als einem Jahrzehnt beschlossen die USA unter Präsident Obama, sich mehr dem Pazifik zuzuwenden, weil sie dort inmitten des Aufstieg Chinas wachsende geopolitische Bedeutung sahen. Für China war das alarmierend." Andere Staaten in der Region schienen sich seitdem mit dem Expansionsdrang Chinas zu arrangieren, auch wenn sie ihn nicht offiziell gutheißen. "Die meisten Staaten in Südostasien üben sich in einer Balance zwischen China und USA."

In Taiwan ist zumindest unter der seit fast neun Jahren regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) klar, welcher der beiden Großmächte man sich näher fühlt: Den USA. Taiwan – das durch die immer wieder laut angemeldeten Ansprüche Pekings zu den allermeisten Staaten der Welt keine offiziellen diplomatischen Beziehungen führen kann – versucht sich seit Jahren, international zu integrieren: Durch Handelsverträge, Studienaustauschabkommen oder internationale Sportveranstaltungen.

Und als Demokratie sucht man die Nähe zu Staaten, die bisher unter dem Begriff "Westen" zusammengefasst worden sind: Die USA, die EU-Mitgliedsstaaten, aber auch Japan und Südkorea. Anders als für die Ukraine, die sich nun von den USA im Stich gelassen fühlt, muss Taiwan einen solchen Schlag bis auf Weiteres nicht befürchten – wohl auch dann, wenn die USA mit dem Westen gar nichts mehr zu tun haben wollen.

Verwendete Quellen