Manche Menschen sind überraschend gut darin, Gesichter zu erkennen – und das selbst unter widrigen Bedingungen. Diese Fähigkeit nutzt jetzt beispielsweise die Polizei in München. Wie das Gehirn dieser Menschen funktioniert, ist noch nicht bekannt.

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Einmal kurz ein Gesicht sehen und es Jahre später wiedererkennen. Ein Bild mit einer schlechten Auflösung betrachten und sofort wissen, wer darauf abgebildet ist. Ein Kinderfoto in der Hand halten und es unzweifelhaft einem Erwachsenen zuordnen können – manche Menschen sind ausgesprochen gut darin, Gesichter wahrzunehmen. Sie sind auch einer maschinellen Gesichtserkennung weit überlegen.

Solche Menschen werden auch als Super-Recognizer, also als Super-Erkenner bezeichnet. Diese Fähigkeit kann von großem Nutzen sein: So setzt zum Beispiel die Polizei in München seit Kurzem auf Beamte, die besonders gut in der Wahrnehmung von Gesichtern sind. Sie sollen dabei helfen, Straftäter besser zu identifizieren.

Was im Gehirn passiert, ist bislang nicht bekannt

Mit einem Test, an dem 5.300 Beamte teilnahmen, ermittelte die Polizei in München 37 Personen, 13 Frauen und 24 Männer, die besonders gut in der Gesichtserkennung sein sollen. Hintergrund des Projekts ist, dass der Behörde aufgefallen war, dass es oft wenige, ganz bestimmte Beamte sind, die hauptsächlich Täter identifizieren.

Wie aber funktioniert diese besondere Fähigkeit? "Bislang weiß man gar nichts darüber, ob im Gehirn von Super-Recognizern etwas anders abläuft", sagt die Neurowissenschaftlerin Meike Ramon, die zur Gesichtserkennung forscht, im Gespräch mit unserer Redaktion. Weltweit gebe es zu dem Thema bislang nur 13 Studien.

Begabung fiel nur durch einen Zufall auf

Die besondere Begabung einiger Menschen ist durch einen Zufall aufgefallen: Eigentlich hatten Wissenschaftler sich quasi mit dem Gegenteil befasst. Sie forschten zu Menschen, die gesichtsblind und folglich kaum oder gar nicht in der Lage sind, Gesichter wiederzuerkennen.

Die Forscher entwickelten Tests zur Diagnostik der Gesichtsblindheit und stellten dabei fest, dass es umgekehrt auch Personen gab, die ausgesprochen gut darin waren, Gesichter wiederzuerkennen. Daraus entwickelte sich der heute geläufige Begriff der Super-Recognizer.

Weitere Forschung ist notwendig

Wie viele Menschen mit dieser Fähigkeit es gibt, ist nicht bekannt. Das Forschungsgebiet ist noch jung. Zudem gibt es keine einheitliche Definition, ab wann ein Mensch als Super-Recognizer gilt. "Jede Forschungsgruppe kann ihre eigenen Tests verwenden", sagt Ramon. "Daher ist es schwierig, die Ergebnisse miteinander zu vergleichen."

Um herauszufinden, auf welche Weise das Gehirn von Super-Recognizern funktioniert, wäre eine große Studie mit Hunderttausenden von Teilnehmern notwendig, die sich einer Computertomografie unterziehen. "Erst muss Einigkeit darüber herrschen, wie Super-Recognizer am zuverlässigsten identifiziert werden sollen", sagt Ramon. "Erst dann sind kostenaufwendige Studien mit funktioneller Kernspintomographie sinnvoll."

Gesichter auch unter schwierigen Bedingungen erkennen

Bislang sind also noch viele Faktoren unklar. Wie aber lassen sich Super-Recognizer einsetzen? "Die Fähigkeit ist natürlich immer dann wichtig, wenn es darum geht, Menschen auch unter schwierigen Bedingungen anhand ihrer Gesichter zu erkennen", sagt Ramon. Daher können Super-Recognizer zum Beispiel für die Auswertung von Überwachungsvideos bedeutsam sein, auf denen die Gesichter oft sehr körnig erscheinen.

Auch in der Dunkelheit sind solche Personen deutlich besser darin, Gesichter zu erkennen. "Gesuchte, bereits bekannte Täter in Menschenmengen finden oder auch erstmals auffällige Straftäter identifizieren, das sind Aufgabenbereiche, in denen Super-Recognizer hilfreich sein könnten", sagt Ramon. Auch im Anti-Terror-Einsatz sieht sie Möglichkeiten.

Unterschiede beim Erkennen von Gesichtern besser verstehen

Das langfristige Ziel wird es sein, zu erforschen, auf welche Weise das Gehirn von Super-Recognizern arbeitet. "Im Idealfall hätten wir objektive neuronale Kriterien, um die Gesichtserkennungsfähigkeit einzelner Personen festzustellen", sagt Ramon. So könnte man damit zum Beispiel in Zukunft einmal vor Gericht einschätzen, wie zuverlässig eine Zeugenaussage ist.

"Zeugenaussagen haben weiterhin vor Gericht einen sehr hohen Wert", sagt Ramon. Es hat sich in der Vergangenheit aber auch immer wieder gezeigt, dass viele Zeugenaussagen nicht sehr zuverlässig sind. Gerade deshalb sei es wichtig, die Unterschiede beim Erkennen von Gesichtern besser zu verstehen.

Übrigens: Natürlich ist es oft praktisch, sich gut an Gesichter zu erinnern. Das erspart beim Networking oder auf der nächsten Party peinliche Momente. Trainieren kann man bestimmte Strategien, die sowohl für die Gesichtserkennung als auch für andere Bereiche hilfreich sein können. Eine Anleitung dafür gibt es zum Beispiel hier. Zum Super-Recognizer wird man damit aber eher nicht – denn wahrscheinlich ist diese Fähigkeit genetisch bedingt.

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