Der Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik stellt die Union vor eine Zerreißprobe. Angela Merkel und Horst Seehofer bleiben bei ihren Standpunkten hart - ein Ausweg aus der verfahrenen Situation scheint kaum möglich. Zerbricht die große Koalition damit schon nach knapp 100 Tagen?

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Im eskalierten Machtkampf zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik stehen die Zeichen weiter auf Konfrontation.

Montag wird für Union zum Schicksalstag

Die CSU dringt bis Montag auf eine Entscheidung, andernfalls droht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit einem Alleingang. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will dagegen in den kommenden zwei Wochen eine Lösung auf europäischer Ebene suchen.

Einem Bericht der Zeitung "Rheinische Post" zufolge soll nun Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zwischen den verkrachten Schwesterparteien vermitteln.

Die CDU-Führung und der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) hätten Schäuble gebeten, in den kommenden Tagen mit der CSU-Führung zu sprechen, um eine Kompromisslinie auszuloten.

Schäuble habe in der Flüchtlingspolitik immer wieder eine kritische Haltung eingenommen, ohne die Loyalität zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufzugeben, hieß es demnach. Er besitze "auf beiden Seiten Glaubwürdigkeit".

Merkel rechnet nicht mit Platzen der Koalition

Indes rechnet Merkel nach eigenen Worten nicht mit einem Platzen der Koalition. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat sie zwei Kompromissangebote der CSU abgelehnt.

Die CSU habe bei dem Krisentreffen am Mittwochabend im Bundeskanzleramt zunächst vorgeschlagen, sofort mit Zurückweisungen weiterer Asylbewerber an den deutschen Grenzen zu beginnen - dies aber bei einem Erfolg des EU-Gipfels in zwei Wochen wieder zu beenden.

Außerdem habe die CSU den Vorschlag gemacht, jetzt schon weitere Zurückweisungen an den Grenzen zu beschließen - aber nur für den Fall, dass die Verhandlungen auf europäischer Ebene scheitern.

Auch diesen zweiten Vorschlag habe die Kanzlerin abgelehnt, hieß es aus CSU-Kreisen.

Söder verteidigt harte Linie

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder verteidigte am Donnerstagabend in den ARD-"Tagesthemen" das Vorgehen der CSU.

Wenn man den Satz ernst nehme, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe, brauche man eine grundlegende Veränderung - und dazu gehöre die Sicherung der Grenzen.

Es gehe dabei nicht um Eitelkeiten, sondern darum, "was richtig ist". Zu einem möglichen Bruch der Koalition sagte Söder: "Wir wollen auf keinen Fall riskieren, Glaubwürdigkeit zu verlieren."

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sagte im ZDF-"heute journal": "In der Tat ist der Konflikt groß. Es war heute ein gebrauchter Tag für die Union. Aber was alle eint, ist, dass die Unionsfamilie zusammenbleiben muss."

Darum geht es im Streit zwischen CDU und CSU

Seit Tagen streiten CDU und CSU darüber, ob auch Asylbewerber ohne Papiere und solche, die bereits in anderen EU-Ländern als Asylbewerber registriert sind, nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen dürfen.

Die CSU will diese künftig zurückweisen, Merkel lehnt dies ab.

Lediglich bei der Zurückweisung von Personen, deren Asylantrag in Deutschland bereits abgelehnt wurde, signalisierte das CDU-Präsidium am Donnerstag Kompromissbereitschaft: Diese sollen bei einem zweiten Versuch der Einreise sofort zurückgewiesen werden. Das betrifft allerdings ohnehin nur sehr wenige Menschen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) warnt davor, an der Grenze Schutzsuchende abzuweisen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind.

"Deutschland ist verpflichtet, bei Schutzsuchenden, die an der Grenze um Asyl nachsuchen, zu prüfen, welches Land zuständig ist. Jedenfalls für die Dauer dieser Prüfung muss die betreffende Person auch bleiben dürfen", sagte der Leiter des UNHCR in Deutschland, Dominik Bartsch, der "Welt".

SPD beobachtet Entwicklung mit Sorge

Der Koalitionspartner SPD betrachtet die Entwicklung mit Sorge. "Die Lage im Streit in der Union ist offenbar ernst", sagte Justizministerin Katarina Barley der "Augsburger Allgemeinen".

Sie warnte vor einer schweren Koalitionskrise und betonte, dass ihre Partei dabei nicht über die mit der Union vereinbarten Punkte hinausgehen werde. "Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag müssen eingehalten werden."

SPD-Vize Malu Dreyer nannte das Verhalten der CSU "menschlich gesehen wirklich unterirdisch".

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden sieht im Streit über die Asylpolitik einen Kampf "um das bundespolitische Überleben" der CSU. Die Partei wisse, dass die Migrationsfrage das zentrale innenpolitische Thema sei, sagte Patzelt der "Huffington Post Deutschland".

Erste Politiker bringen für den Fall eines Scheiterns auch wieder eine Jamaika-Koalition ins Gespräch.

"Wir Liberalen stehen bereit", sagte Thüringens FDP-Landeschef Thomas Kemmerich den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). (mgb/dpa/afp)

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