Vorübergehend waren die Verhandlungen zur Mindestsicherung gescheitert. Nun unternimmt die ÖVP doch einen neuen Versuch für Verhandlungen - mit einem neuen Kompromissvorschlag.
Seit Wochen streiten SPÖ und ÖVP darüber, ob die Mindestsicherung reduziert oder gedeckelt werden soll. Nun sollten die Länder eigentlich ihre eigenen Süppchen kochen: Anfang vergangener Woche hatte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) die Verhandlungen für gescheitert erklärt.
Eine österreichweit einheitliche Lösung sei nicht möglich, sagte der SPÖ-Chef Dienstagabend in der "ZiB 1". "Ich bin überzeugt, dass das der richtige Weg ist."
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) erklärte tags darauf, dass er weitere Verhandlungen ebenfalls für wenig sinnvoll halte. Er sprach sich ähnlich wie
"Ein Modus könnte sein, dass man sich das ein Jahr anschaut. Weil man kann ja dann immer noch die Konsequenzen ziehen, und damit ist ja nichts vertan", sagte
Neuer Anlauf der ÖVP
Vorbei ist die bundesweite Debatte dennoch nicht: Nur zwei Tage später öffnete Mitterlehner in einem Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" die Tür wieder einen Spalt breit. "Ich erkenne wieder Bewegung, zumindest informell", sagte der Vizekanzler.
Wenn man keine bundesweite Lösung erreiche, könne eine " Sekundärmigration einsetzen, indem sich Betroffene anschauen, in welchem Bundesland sie die beste Unterstützung bekommen", befürchtet Mitterlehner. "Das wäre keine gute Lösung, deshalb besteht vielleicht noch eine Chance."
ÖVP-Verhandler August Wöginger hat nun einen neuen Vorschlag gebracht: Es soll keine fixe Untergrenze für neu nach Österreich kommende Bezieher geben, sondern einen Korridor. Zudem will er die "Wartefrist" auf den vollen Mindestsicherungsbezug ausgesetzt werden, wenn der Betroffene zuvor ein Jahr gearbeitet hat.
Die Forderung nach einem reduzierten Betrag für Flüchtlinge sowie einer Deckelung bei 1.500 Euro bleibt jedoch bestehen. Wer fünf der letzten sechs Jahre im Ausland verbracht hat, soll weniger Geld bekommen. Als Kompromiss schlägt Wöginger einen Korridor - zum Beispiel 520 bis 600 Euro - statt einer fixen Untergrenze vor.
Die bisher diskutierten Vorschläge
Erster Vorschlag: Deckelung auf 1.500 Euro
Pro Flüchtlingsfamilie soll es maximal 1.500 Euro geben, fordert die ÖVP. Darin soll der Wohnkostenanteil bereits inkludiert sein. Folglich soll es künftig maximal 1.125 Euro bar auf die Hand geben. Die 25 Prozent Wohnkostenanteil behält das Bundesland ein. Wenn die Wohnung mehr kostet als diese 375 Euro, legt das Land den Rest drauf. Bei aktuellen Immobilienpreisen führt das zu Diskussionen.Zweiter Vorschlag: Integrationsvereinbarung
Geht es nach der SPÖ, soll jeder Flüchtling eine Integrationsvereinbarung unterschreiben. Erst dann gibt es die 840 Euro. Dazu gehören Deutschkurse und gemeinnützige Arbeit. Wer dagegen verstößt, dem wird der Betrag gekürzt.Dritter Vorschlag: Fünf-Jahres-Frist
Die ÖVP schlägt vor, dass die Mindestsicherung künftig erst ausbezahlt werden soll, wenn die betroffene Person fünf Jahre in das System eingezahlt hat. Erst dann gibt es den vollen Betrag.
Geringere Sozialleistungen halten Flüchtlinge nicht ab
Walter Pfeil, Professor für Sozialrecht an der Universität Salzburg und geistiger Vater des Mindestsicherungsmodells, kann die Dringlichkeit einer bundesweiten Reform nicht erkennen: "Wenn man sich die Zahlen ansieht, wurden 2015 über 800 Millionen Euro in Österreich ausgegeben. In Relation zur Wirtschaftskraft sind das 2,4 Promille des BIP. In Wahrheit ist das eine verkraftbare Größenordnung."
Natürlich spiele die Überlegung eine Rolle, dass durch eine zu hohe Mindestsicherung die Motivation zu arbeiten fehle. Das könne durch eine Lohnerhöhung oder eine Verstärkung der Arbeitsreize ausgeglichen werden, glaubt Pfeil.
Ob eine geringere Mindestsicherung Österreich für Flüchtlinge weniger attraktiv macht? "Als in England die Sozialleistungen für Nicht-Briten drastisch gekürzt wurden, wollten die Flüchtlinge dennoch aus Frankreich weiter nach Großbritannien reisen", sagt der Experte. "Die These, dass es die Sozialleistungen sind, die diese Wanderungen auslösen, ist sehr grob."
Dass es Sanktionen braucht, davon ist auch der Sozialrechtler überzeugt. In seinen Augen ist eine Deckelung in der vorgeschlagenen Form allerdings verfassungswidrig: "Wenn es unbedingt eine braucht, wäre ein Kompromiss 1.500 Euro exklusive Wohnkosten einzuziehen. Das würde einen realistischen Deckel von 2.000 Euro ergeben und den verfassungsrechtlichen Aspekt entschärfen."
Pürmayr: Verstoß gegen Bund-Länder-Vereinbarung
Auch Josef Pürmayr, Leiter der Sozialplattform Oberösterreich, ist von der Verfassungswidrigkeit des Vorschlags überzeugt.
Auf die Situation in Oberösterreich bezogen sagt er: "Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken, weil kein sachlicher Grund vorliegt, der eine derart massive Differenzierung zwischen asylberechtigten Personen und anderen Leistungsbeziehern im Leistungsbereich der Mindestsicherung rechtfertigt."
Darüber hinaus widerspreche eine Deckelung der geltenden Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG sowie dem Europa- und Völkerrecht: "Asylberechtigte dürfen demnach gegenüber Österreichern bei Sozialhilfeleistungen nicht benachteiligt werden", betont Pürmayr.
Wer bekommt was? Das System Mindestsicherung
Derzeit beträgt der Mindestsicherungsbetrag pro Person rund 837,76 Euro. Diese setzen sich zusammen aus 628,32 Euro Grundbetrag und 209,44 Euro Wohnkostenanteil pro Monat. Letzterer variiert je Bundesland.
Personen in einer Lebensgemeinschaft, also ein Zweipersonenhaushalt, bekommen den eineinhalbfachen Betrag von 1.256,64. Für jedes Kind gibt es 150,80 Euro (variiert ebenfalls je nach Bundesland).
Auf diesen Betrag sind alle Einkünfte anzurechnen, die man aus einer Erwerbstätigkeit, aus Unterhaltszahlungen oder ähnlichem erzielt. Das heißt: Bargeld fließt noch nicht.
Wenn beispielsweise ein alleinstehender Mindestsicherungsbezieher eine Pension von 600 Euro hat ,werden diese 600 Euro abgezogen. Die Person erhält noch 237,76 Euro.
Wer zahlt was? Bundesländer-Vergleich nicht möglich
"Die Durchschnittsleistungen liegen deutlich niedriger, weil es sich nur um Differenzzahlungen handelt", sagt Sozialrechtler Pfeil. "Man kann die Zahlungen pro Bundesland nicht wirklich vergleichen, weil der Faktor Wohnen am wichtigsten ist."
Dass Wien großzügiger sei, stimme nur insofern, als man in Wien pro Kind 226 Euro bekomme. "Alleine darauf zu achten, bringt nichts - denn dafür ist der Wohnbeitrag in Niederösterreich geringer, in Salzburg wiederum höher."
Die Zahl der Personen, die die Mindestsicherung ausnutzen und in der "Hängematte" liegen würden, schätzt der Experte auf etwa zehn Prozent aller Bezieher.
Ein Kampf auf dem Rücken der Armen
Dass die Diskussion über die Mindestsicherung ein Ausspielen der Armen gegen die Armen sei, bekräftigt auch Pürmayr: "Die bedarfsorientierte Mindestsicherung ist das unterste soziale Sicherungsnetz und ein Mindeststandard, um menschenwürdige existenzielle Absicherung und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern. Eine Kürzung bedeutet prekäre Existenz und Armut." Er ist überzeugt: Die Kosten im Gesundheits- und Sicherheitsbereich, die dadurch entstünden, würden die Einsparungen bei weitem übersteigen.
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