Wie soll man mit den russischen Drohgebärden und Provokationen in der Ukraine-Krise umgehen? Die USA und Europa verfolgen scheinbar zwei unterschiedliche Strategien, die aber doch untrennbar miteinander verbunden sind. Effektiv ist dieses Spiel bislang nicht. Eine Analyse.

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Brüssel/Washington/Kiew – Dass prorussische Aufständische am Freitagabend neutrale OSZE-Beobachter in der ostukrainischen Stadt Slawjansk in ihre Gewalt gebracht haben, zeigt ein weiteres Mal, wie explosiv und unberechenbar Lage in der Ukraine ist. Und dass der ukrainische Übergangs-Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk nur Stunden zuvor davon gesprochen hatte, Russland nehme einen möglichen "Dritten Weltkrieg" in Kauf, um die Ukraine zu besetzen, war ein nicht minder eindeutiges Beispiel dafür, wie weit die Situation dort in den vergangenen Wochen eskaliert ist. Alle Versuche, die Krise zu entschärfen, sind bisher fehlgeschlagen. Gründlich.

Dabei wurden bisher vor allem zwei Strategien versucht, um den Konflikt zumindest zu entschärfen. Vereinfacht könnte man sagen: Die eine wird von den Europäern angewendet. Die andere von den USA. Beide konzentrieren sich vor allem darauf, die russische Führung unter Wladimir Putin zum Ablassen von der Ukraine zu bewegen. Denn, da sind sich westliche Spitzenpolitiker, -diplomaten und -militärs sicher: Der Schlüssel zur Lösung des Konflikts liegt in Russland und damit in den Händen des dortigen Präsidenten.

USA wollen Russland einschüchtern

Im eigentlichen Umgang mit Moskau unterscheiden sich beide Herangehensweisen aber stark: Die USA setzen vor allem darauf, Russland mit Gesten und Worten der Stärke einzuschüchtern und den Nachfolgestaat der Sowjetunion international zu isolieren. Amerikanische Politiker – und allen voran US-Präsident Barack Obama – werden seit Wochen nicht müde zu betonen, Russland werde "einen Preis" dafür "bezahlen" müssen, die Krim annektiert zu haben und im Osten der Ukraine Unruhe zu stiften. Die Entsendung von US-Soldaten in osteuropäische Nato-Staaten wie Polen ist eine militärstrategisch bedeutungslose Operation. Dafür illustriert diese politische Machtdemonstration, die konfrontative Strategie der USA.

Die Europäer dagegen halten sich bei solchen Muskelspielen fast völlig zurück. Sie setzen vielmehr darauf, mit Putin einen Dialog über die Zukunft der Ukraine zu führen. Die Maxime lautet: Reden ist besser als Schießen. So gesprächsbereit zeigt Europa sich selbst in den schwersten Stunde dieser Krise, dass Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch an jenem Tag, als die EU Stufe zwei ihres Sanktionsplanes gegen Russland in Kraft setzte, davon sprach, trotz dieser Strafmaßnahmen wolle man die Gespräche mit Putin nicht abreißen lassen.

Freilich dürfen beide Strategien nicht als Gegensatz verstanden, sie müssen zusammengedacht werden. So eng stimmen sich die Europäer mit den Amerikanern in der Krise ab, dass die amerikanischen Drohungen und die europäischen Gesprächsangebote als zwei Seiten der gleichen Medaille verstanden werden müssen; als eine Art Guter-Bulle-Böser-Bulle-Spiel.

Zwei Strategien und keine Lösung

Zur Lösung des Konfliktes oder wenigstens zu dessen Deeskalation hat allerdings weder die eine, noch die andere Vorgehensweise beigetragen. Und es ist aktuell höchst unwahrscheinlich, dass sich das so schnell ändern wird. Denn tatsächlich werden mögliche Erfolge der Kommunikationsangebote der Europäer mit jeder Eskalation der Gewalt im Osten der Ukraine unwahrscheinlicher. Gleichzeitig ist ein militärisches Eingreifen der USA oder der Nato in dem Land – aufgrund der möglicherweise wirklich globalen Auswirkungen – derzeit eigentlich undenkbar; aller amerikanischen Drohgebärden zum Trotz. Sicher: Schwere Krisen entwickeln leicht unkontrollierbare Eigendynamiken. Doch dass die Nato wirklich einen Krieg mit Russland für ein Land riskiert, das nicht einmal ein Mitglied des Bündnisses ist, scheint nach jetzigem Stand der Dinge unwahrscheinlich. Dass demnächst harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland folgen könnten – die die Europäer wieder mit einem Dialogangebot verbinden dürften – ist da sehr viel realistischer.

Ein Grund für das Scheitern der westlichen Strategien liegt darin, dass Russland in der Ukraine eine eigentlich bekannte, aber zuletzt doch aus der Mode gekommene Strategie anwendet: Es destabilisiert die Ukraine von innen heraus und nimmt diesem staatlichen Gebilde so seine Existenzberechtigung. Der Hebel, den Moskau dabei ansetzt, sind die Abspaltungsbestrebungen der ethnischen Russen mit ukrainischen Pässen. In einem Zeitalter, in dem – vor allem in den Vorstellungen der Europäer – nationale Identitäten nur noch dazu da sind, um in supranationalen Gebilden wie der EU aufzugehen, steht der Westen diesem Vorgehen Russlands hilflos gegenüber.

Russlands Strategie in der Krise ist dabei nicht nur abstrakt und theoretisch erfolgreicher als das europäische oder das russische Vorgehen. Auch ganz unmittelbar hat Putin so inzwischen ein Ziel erreicht, für das er sich schon lange eingesetzt hat: eine neue Osterweitung der Nato verhindern. Schon die Aufnahme Polens in die Nato hatte Russland auf das Schärfste verurteilt. Dass die Ukraine nach dem Ausbruch dieser Krise noch Mitglied des westlichen Militärbündnisses werden könnte, ist seit dem Ausbruch der Krise und bis weit in die Zukunft hinein undenkbar geworden, denn die Nato hält sich an ein ungeschriebenes Gesetz: Sie nimmt nur Staaten auf, die keine ungeklärten Grenzstreitigkeiten mit ihren Nachbarn haben, um nicht in Regionalkonflikte hineingezogen zu werden. Steinmeier hat auch vor diesem Hintergrund eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine schon vor Wochen ausgeschlossen. Beim Treffen mit seinem französischen und seinem polnischen Amtskollegen in Weimar Anfang April sagte er, er könne sich zwar "Formen der engeren Zusammenarbeit" zwischen der Ukraine und der Nato vorstellen. "Einen Weg in die Mitgliedschaft in der Nato sehe ich nicht."

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