Der ukrainische Präsident hat am Dienstag eine Rede vor dem Deutschen Bundestag gehalten. Für sein Gastland fand Wolodymyr Selenskyj viel Lob. Gleichzeitig appellierte er an seine Verbündeten, weiter auf einen militärischen Sieg über Russland zu setzen.

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Das Areal um das Reichstagsgebäude herum ist abgesperrt. Dutzende Polizistinnen und Polizisten sind im Einsatz und kontrollieren die Zugänge. Nur wer autorisiert ist, kommt in die Nähe des Parlamentsgebäudes. Dieser Aufwand wird betrieben, um die Sicherheit eines einzelnen Mannes zu gewährleisten: die von Wolodymyr Selenskyj.

Der ukrainische Präsident ist in Berlin, um an einer Wiederaufbaukonferenz für sein kriegsgeplagtes Land teilzunehmen – und um eine Rede im Deutschen Bundestag zu halten. Die Situation seines Landes ist dramatisch: Nach über 800 Tagen Krieg droht die Lage zugunsten Russlands zu kippen. Selenskyj ist auf heikler Mission. Er will in Deutschland für mehr Unterstützung werben.

Selenskyj glaubt an den Sieg über Russland

Unter dem stehenden Applaus der Parlamentarier betritt Selenskyj das höchste Haus der deutschen Demokratie. Wie seit Kriegsbeginn üblich trägt der Präsident keinen Anzug. Stattdessen: Schwarze Fleecejacke, beige Cargohose und Outdoor-Stiefel. Selenskyj sieht aus wie ein Staatsmann im Krieg und spricht wie einer, auch an diesem Tag.

"Wir werden diesen Krieg beenden, im Interesse der Ukraine und von ganz Europa", sagt der 46-Jährige. Soll heißen: Die Ukraine setzt nach wie vor auf einen militärischen Sieg gegen Russland. Selenskyj deutet keinerlei mögliche Zugeständnisse an Putin an. "Die Zeit der Kompromisse ist vorbei", sagt er. Russland setze auf Mord statt auf Verhandlungen.

Selenskyj will die europäischen Unterstützerstaaten, allen voran Deutschland, auf diesen Kurs einschwören. "Werden wir Russland den weiteren Marsch durch Europa erlauben?", fragt er rhetorisch. "Nein. Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg verliert." Russland müsse für begangene Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden und den Aufbau der Ukraine bezahlen.

AfD und BSW boykottieren Selenskyjs Rede

Selenskyj weiß genau, dass die militärische Unterstützung der Ukraine auch in Deutschland nicht unumstritten ist. Zweifel an mehr Waffenlieferungen gibt es nicht zuletzt in der Kanzlerpartei, der SPD. Dennoch: Für die sozialdemokratischen Abgeordneten war es selbstverständlich, an diesem Tag im Bundestag zu erscheinen.

Anders das "Bündnis Sahra Wagenknecht" und die AfD. Beide Parteien lehnten die Teilnahme an der Rede des ukrainischen Präsidenten ab. Sowohl BSW als auch AfD sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Gerne hätte man gewusst, was Selenskyj von der Abwesenheit eines Teils des Parlaments hält. Doch der erwähnt die Boykotteure in seiner Rede mit keinem Wort.

Selenskyj bedankt sich bei Bundeskanzler Scholz

Dafür findet der Präsident viel Lob für sein Gastland. Die Bundesrepublik habe die Ukraine immer unterstützt. "Ich danke dir, Deutschland", sagt Selenskyj. Die Ukrainer würden es den Deutschen nie vergessen, dass sie dem überfallenen Land beigestanden haben.

Die Bundesrepublik ist der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Doch Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird häufig Zögerlichkeit vorgeworfen: Bestimmte Waffen, etwa schwere Panzer, wurden erst nach langen Debatten an die Ukraine abgegeben. Auch Selenskyj geht es mit der deutschen Unterstützung nicht immer schnell genug. Vor allem beim deutschen Marschflugkörper Taurus sind sich die Bündnispartner uneins: Selenskyj will ihn haben, Scholz rückt ihn nicht raus.

Konkrete Forderungen erhebt Selenskyj an diesem Tag jedoch nicht. Gerade hat Olaf Scholz auf der Wiederaufbaukonferenz drei weitere Patriot-Luftabwehrsysteme für die Ukraine zugesagt. "Danke, Olaf", duzt Selenskyj den deutschen Regierungschef. Vielleicht ahnt er, dass er damit vorerst das Maximum der deutschen Unterstützung herausgeholt hat. Die Taurus-Debatte dürfte damit aber nicht beendet, sondern nur vertagt sein.

Selenskyj: "Diplomatie eine Chance geben"

Kommende Woche wird Selenskyj mit Vertretern von Dutzenden weiteren Staaten an einer Friedenskonferenz in der Schweiz teilnehmen. Russland wurde nicht eingeladen. "Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben", sagt Selenskyj im Bundestag. Die Ukraine verlasse sich nicht allein auf Waffen. Aussagen, die in Kontrast zu seiner unbedingten Siegesgewissheit stehen. Die aber auch zeigen: Der Präsident ringt um die richtigen Worte an eine deutsche Öffentlichkeit, in der die Zweifel über einen militärischen Erfolg der Ukraine wachsen.

Verwendete Quellen

  • Teilnahme an Wolodymyr Selenskys Rede im Deutschen Bundestag
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