Stefan Verra hat im Gespräch mit unserer Redaktion die Gesten von Sebastian Kurz unter die Lupe genommen. Der Körpersprache-Experte spricht im Interview über das enorme Talent des Bundeskanzlers, aber auch über dessen bedächtige Bewegungen, unnatürliches Lächeln und fehlende Lockerheit.

Ein Interview

Welche Schlüsse lassen sich aus der Körpersprache von Sebastian Kurz ziehen?

Mehr aktuelle News

Stefan Verra: Sehr auffällig ist, dass sich der Bundeskanzler in Sachen Körpersprache deutlich älter macht als er ist. Heißt: Seinen Bewegungen mangelt es an Tempo und Geschwindigkeit. Das wird zunehmend massiver.

Ich nehme aber an, dass eine Intention dahintersteckt, überall als seriös und staatstragend wahrgenommen zu werden. Das ist per se noch nicht schlecht, könnte sich aber langfristig rächen.

Inwiefern?

Menschen, die ein gewisses Tempo in ihren Bewegungen vermissen lassen und tendenziell langsam und behäbig agieren, tun sich meist schwer, Euphorie zu erzeugen. Etwas flinker wird Kurz in seinen Bewegungen nur dann, wenn ihn etwas unangenehm berührt, er ein wenig nervös wird.

Das impliziert aber auch, dass er schnelle Bewegungen prinzipiell sehr wohl drauf hat. Daraus lässt sich wieder schließen, dass er stets bemüht ist, körpersprachlich entschleunigt zu agieren, um Seriosität und Erhabenheit zu transportieren. Man muss aber auch erwähnen, dass es ein gewaltiges Talent braucht, um als 31-Jähriger so viel Stabilität vermitteln zu können.

Hat er körpersprachlich auch schon vor seiner Kanzlerschaft so agiert?

Ich würde sagen, dass es augenscheinlicher geworden ist, seit er österreichischer Bundeskanzler ist. Diese ruhige, Stabilität vermittelnde Art macht es ihm natürlich im Kreise renommierter und erfahrener Politiker leichter. Man darf ja nicht vergessen, dass Politiker selbst körpersprachlich auch nicht unbedingt intelligenter oder versierter sind als die Wähler.

Auch eine Angela Merkel oder ein Emmanuel Macron, der übrigens ebenso relativ jung, aber mit seinen Gesten ungleich lebendiger als Sebastian Kurz ist, reagieren ja nicht anders als die Wähler auf ein politisches Gegenüber, das Reife und Stabilität zum Ausdruck bringt.

Also profitiert Kurz auch von seiner Langsamkeit?

Schon, ja. Sein körpersprachlich und inhaltlich konsequentes Auftreten bewirkt ja sogar, dass deutsche Medien seine Aussagen und Behauptungen – etwa jene, dass er allein dafür verantwortlich zeichne, die Balkanroute geschlossen zu haben – weitertragen, obwohl sie es besser wissen müssten.

Natürlich hat Kurz zur Schließung der Balkanroute beigetragen, aber die Basis dafür wurde von Angela Merkel und ihrem Abkommen mit der Türkei gelegt.

Sind seine Gesten unterm Strich kanzler-like?

In der österreichischen Tradition, in der das ruhige und bedächtige Auftreten gern gesehen war – ein gutes Beispiel hierfür ist wohl der ehemalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger – sind sie absolut kanzler-like.

Ich bezweifle lediglich, dass diese Erhabenheit in der Körpersprache in der heutigen Zeit der Weisheit letzter Schluss ist. Denn Körpersprache gewinnt immer dann, wenn sie die Emotionen der Wähler widerspiegelt. Und daher denke ich, dass Politiker wie Macron besser dran sind, weil sie mehr Variabilität offerieren – vor allem in einer Zeit, die sich gesellschaftlich ständig aufheizt.

Ein gutes Beispiel für Vielseitigkeit in Sachen Gesten ist übrigens der ehemalige US-Präsident Barack Obama. Der konnte staatstragend, humorvoll, angriffslustig, leise und laut sein.

Häufig sieht man bei Sebastian Kurz, dass er, wenn er einen Politiker begrüßt, beim Handshake auch dessen Oberarm berührt. Können Sie uns das übersetzen?

Das ist unglaublich selbstbewusst. Er berührt sein Gegenüber nicht nur, sondern beugt sich auch in der Regel zu ihm hin, was wiederum eine gewisse Dominanz ausstrahlt. Anders ist die Situation, wenn ihm jemand zu nahe kommt. Stichwort: Jean-Claude Juncker!

Beim ersten Treffen mit Sebastian Kurz wollte der EU-Kommissionspräsident unseren Kanzler im Zuge der freundschaftlichen Umarmung auch auf die Wangen küssen. Er war peinlich berührt. Daran zeigt sich, dass ihm echte Nähe nicht sonderlich zusagt, er einfach ein "Verhabern", wie es so schön heißt, nicht wirklich will. Diesbezüglich ähnelt er mehr einer Merkel als einem Juncker oder Berlusconi, für den "Verhabern" part-of-the-game ist.

Immer wieder Thema – vor allem in den sozialen Medien – ist Kurz‘ unnatürliches und gequältes Lächeln, wenn es um Fotos geht. Warum kann er das nicht?

Es mangelt ihm einfach an jugendlicher Lockerheit. Kurz ist zu fokussiert, seinen Stil und sein Auftreten beizubehalten, wodurch er das menschliche Element völlig verloren hat. Wenn er das weiter so betreibt, wird er in zehn Jahren körpersprachlich bei Christian Wulff landen, dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten.

Dessen Gesten waren steif und erstarrt, weil er immer darauf abzielte, seriös und staatstragend rüberzukommen. Unser Bundeskanzler täte gut daran, einfach mal locker zu lassen.

Heißt, dass er an seinen Gesten noch feilen sollte?

Ich würde ihm das nahelegen, ja. Ich denke, dass er diesbezüglich von Leuten beraten wird, die das Körpersprachliche viel zu sehr von der politischen und zu wenig von der menschlichen Seite betrachten.

Sie machen ganz sicher vieles gut, aber Sebastian Kurz ist 31 Jahre jung. Und dafür hat er meiner Ansicht nach schon zu viel an Leichtigkeit verloren.

Stefan Verra, 44, stammt aus Lienz, wo er in einer Künstlerfamilie aufwuchs. Seit 1999 beschäftigt er sich mit dem Thema Körpersprache. Er ist Dozent, Coach und Autor ('Hey, dein Körper spricht', 'Hey dein Körper flirtet', 'Die Macht der Körpersprache im Verkauf'). Darüber hinaus hält er weltweit Vorträge zur Körpersprache für Unternehmen und Ärztekongresse und macht im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen das Thema für jedermann zugänglich.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.