Sebastian Kurz gilt seit Jahren als der Hoffnungsträger der ÖVP. Auch der amtierende Parteichef Reinhold Mitterlehner muss immer häufiger die Frage beantworten, ob Kurz sein Nachfolger wird. Was spricht eigentlich für einen Kanzlerkandidaten Kurz?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Schett sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es könnte Neuwahlen geben: Mit diesem Vorschlag machen aktuell nicht nur Oppositionspolitiker, sondern auch Funktionäre der Regierungsparteien auf sich aufmerksam. Unter ihnen ist Außenminister Sebastian Kurz, der die vorgeschobene EU-Präsidentschaft Österreichs als berechtigten Grund sieht, die Nationalratswahlen vorzuziehen. Und möglicherweise wird er der Spitzenkandidat sein.

Mehr aktuelle News

Warum? Weil alle es sagen. Seit Monaten schreiben die Medien über den talentierten Herrn Kurz und seine bevorstehende Ernennung zum ÖVP-Spitzenkandidaten für die nächsten Nationalratswahlen. Bislang bestreitet Kurz alles – dennoch wird der aktuelle Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner immer öfter danach gefragt. Und Argumente für einen Kanzlerkandidaten Kurz gibt es durchaus.

Alter

Sebastian Kurz ist jung. Und junge Politiker sind selten. Die Neos zogen 2013 als neue Partei in den Nationalrat ein, weil sie sich als "Stimme der Jungen" inszenieren konnten und weil das Durchschnittsalter ihrer Kandidaten geringer war als bei SPÖ oder ÖVP. Diesen Vorteil brächte auch Kurz mit – in Kombination mit seiner Erfahrung.

2011 wurde er im Alter von 24 Jahren zum Staatssekretär für Integration, 2013 nach dem Rücktritt von ÖVP-Chef Michael Spindelegger Außenminister.

Generell gilt Kurz als Spindeleggers Entdeckung, machte davor als Kandidat der Jungen ÖVP von sich hören – unter anderem mit dem "Geil-O-Mobil", einem schwarzen Auto, mit dem er im Wiener Wahlkampf junge Wähler anziehen wollte. Solche Ausrutscher passieren ihm heute nicht mehr – und die Skepsis wegen seines Alters ist längst vergangen.

Harter Kurs

Als Außenminister ist Kurz relativ unumstritten. Mit der Schließung der Balkanroute und seiner Kritik an dem Türkei-Deal hat er europaweite Debatten ausgelöst, in Österreich kommt seine restriktive Asylpolitik gut an.

Auch Vorschläge wie Internierungslager auf Mittelmeerinseln ("Vorbild Australien") schaden Kurz nicht - im Gegenteil. Mit dem harten Kurs der ÖVP in Sachen Asyl und Sicherheit behält die Partei ihre Stammwähler und ist auch für Bürger wählbar, die eigentlich eher ihr Kreuzerl bei der FPÖ machen würden – so zumindest das Kalkül.

Charisma und Beliebtheit

Viele seiner Vorschläge kann sich Kurz vor allem deshalb erlauben, weil er sie wortgewandt präsentiert. Im deutschen Fernsehen ist der Außenminister längst ein Liebling der Moderatoren, weil er einen gegensätzlichen Kurs zu Angela Merkel verfolgt, ohne dabei am rechten Rand zu sein.

In Interviews sagt er, es sei "nicht mehr erlaubt, die Wahrheit zu thematisieren" und "Man ist nicht rechts, wenn man Realist ist" – und weil Kurz der unbescholtene Außenminister einer traditionellen Regierungspartei ist, hört man ihm dabei lieber zu als den Wortführern der Opposition.

Die wohl wichtigste Sache in einem Wahlkampf: Sebastian Kurz bringt Stimmen. Wenn in der Kanzlerfrage statt Mitterlehner Kurz abgefragt wird, liegt der ÖVP-Kandidat am ersten Platz. Egal, ob sich die ÖVP unter Kurz besonders ändert oder nicht – ein attraktiveres, bekannteres Gesicht im Wahlkampf kann viel bewegen. Und verhindern, dass die ÖVP im Duell Christian Kern gegen Heinz-Christian Strache untergeht.

Opportunes Szenario für die ÖVP

Dass Kurz Parteichef wird, ist freilich noch nicht sicher – es wird aber so oft kolportiert, dass man quasi von einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Für die ÖVP könnte dieses Szenario viel bringen.

Gleichzeitig würde es aber einen weiteren Rechtsruck der Partei bedeuten. Außerdem würde die Wirtschaftskammer ihren Mann an der Parteispitze, Reinhold Mitterlehner, vermissen. Das könnte sich auch auf die Regierungspolitik und ihre Schwerpunkte auswirken. Wer auch immer Spitzenkandidat der ÖVP wird, die nächsten Wahlen werden auf jeden Fall spannend - egal, ob planmäßig 2018 oder schon 2017 gewählt wird.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.